Elfjähriger wandert für seinen entführten Vater

Der lange Marsch des jungen Johann

Der lange Marsch begann mit einem Gottesdienst: In der Kirche des Städtchens Ospina im Süden Kolumbiens sammelte Johan Steven Martinez Kräfte für die vor ihm liegende Herausforderung. Gerade einmal elf Lenze zählt der schmächtige Junge, der mit seinem tagelangen Gewaltmarsch in die 100 km entfernte Provinzhauptstadt Pasto zum Medienstar wurde.

Autor/in:
Tobias Käufer
 (DR)

Die Schmerzen, die ich empfinde, sind im Vergleich zu denen, die mein Vater aushalten muss, nur eine Winzigkeit", diktiert der Dreikäsehoch den mitreisenden Journalisten in die Notizblöcke. Der aufgeweckte Junge will mit dem Marsch die Öffentlichkeit auf das Schicksal seines Vaters aufmerksam machen.

Seinen "Papito", wie er den seit zwölf Jahren entführten Libio Jose Martinez liebevoll nennt, hat Johan noch nie gesehen. Als der Militärangehörige in die Fänge der Farc-Rebellen geriet, war der heute Elfjährige noch nicht geboren. Geblieben sind vergilbte Fotos aus dem vergangenen Jahrzehnt, die die Verzweiflung der Familie nur noch verstärken. Enttäuscht und frustriert nach jahrelangem Warten auf die Befreiung des Vaters, Ehemannes und Sohnes, entschloss sich Johann mit seiner Familie ein Zeichen zu setzen - und marschierte los: "Ich möchte damit die Farc bitten, meinen Vater und alle anderen Geiseln bald freizulassen."

Er hofft, dass er mit seiner Aktion den Fall seines Vaters aus der Anonymität herausholen kann. Nach der spektakulären Befreiung der prominentesten FARC-Geisel Ingrid Betancourt vor knapp einem Jahr, ist das internationale Interesse an der Lösung des Konfliktes spürbar zurückgegangen. Für die übrigen Geiseln setzen sich keine europäischen Staats- und Regierungschefs ein, wie für die ehemalige Präsidentschaftskandidatin Betancourt. Zurück bleiben Familien, die sich vom Staat und dem Rest der Welt alleine gelassen fühlen. Kolumbiens Staatspräsident Alvaro Uribe lehnt Verhandlungen mit der Farc ab - für ihn sind die Rebellen Terroristen.

Nur drei Tage für 100 Kilometer
Um die Tragödie seines Vaters bekanntzumachen, marschierte Johan tagelang über den brennend heißen Asphalt Kolumbiens. Wenn es nicht mehr weiterging, halfen Sanitäter mit Fußmassagen und kühlendem Gel. Der Junge hielt tapfer durch und schaffte die Strecke sogar schneller als erwartet. Nur drei Tage benötigte Kolumbiens jüngster Friedensaktivist für die 100 Kilometer, sogar in der Nacht marschierte er weiter.

Im Ziel angekommen riss Johann die Arme hoch, die Fotografen schossen ihre Bilder. "Papi! Verlier nicht die Hoffnung. Dein Sohn wartet auf dich", stand auf seinem weißen T-Shirt aufgedruckt - natürlich zusammen mit einem Foto von Libio Martinez. Das Bild schmückt die wichtigsten Titelseiten des Landes. Die Zeitung "El Spectador" aus Bogota schreibt etwa in riesigen Lettern darüber: "Die Fürbitte des Johan."

Ob die Aktion hilft, ist zweifelhaft
Begonnen hatte der Marsch in der vergangenen Woche. Johan machte sich in Ospina begleitet von seinen Großeltern und einer Handvoll Familienangehöriger auf den Weg nach Pasto. Drei Tage später war der Protestzug auf 200 Menschen angewachsen, die am Wochenende auf dem Plaza Carnaval begeistert empfangen wurden.

Trotzdem: Ob die Aktion hilft, eine der unzähligen Entführungstragödien zu beenden, ist zweifelhaft. Viele der rund 800 Geiseln, die sich noch in der Geiselhaft der Farc befinden, führen seit mehr als zehn Jahren ein erbärmliches Leben in den Wäldern Kolumbiens. Viele Ex-Geiseln berichten von unzumutbaren Zuständen, vor allem für verschleppte Militärs, welche die Farc im bewaffneten Konflikt als Kriegsgefangene ansieht. Doch Johan Steven Martinez gibt die Hoffnung nicht auf. "Ich werde dafür beten, dass mein Vater endlich zu uns zurückkommt", sagt er in Pasto. Und falls es jetzt nicht klappt, plant er weitere Aktionen. "Wir geben nicht auf."