Koscher heißt manchmal auch sozial und ökologisch nachhaltig

"Nur" koschere Speisen reichen oft nicht mehr

Wenn etwas jüdischen Speisegesetzen entspricht, ist es koscher. Spielen dabei eigentlich auch ökologische und soziale Aspekte eine Rolle? Nachfragen in München und Frankfurt – und ein Blick über den deutschen Tellerrand.

Autor/in:
Leticia Witte
Der Neujahrszopf wird verteilt auf einer gedeckten Tafel bei einer Familienfeier zu Rosch Haschana, dem jüdischen Neujahrsfest, am 29. September 2019 in Bonn / © Harald Oppitz (KNA)
Der Neujahrszopf wird verteilt auf einer gedeckten Tafel bei einer Familienfeier zu Rosch Haschana, dem jüdischen Neujahrsfest, am 29. September 2019 in Bonn / © Harald Oppitz ( KNA )

Rind und Huhn ja, Schwein und Meeresfrüchte nein. Wer im Judentum die Speisegesetze einhalten möchte, beachtet diverse Regeln – vor allem auch das zentrale Verbot, Milchprodukte und Fleisch zusammen zu essen.

Koschere Speisen

Im Judentum gibt es Speisegesetze. Das, was erlaubt ist, wird "koscher" genannt. Bei den Kaschrutgesetzen geht es nicht ausschließlich um Hygiene, wie die Orthodoxe Rabbinerkonferenz Deutschland betont: Die Einhaltung dient "der Seele des Menschen und nicht unbedingt seinem Körper". Wer die Regeln einhalten möchte, verzichtet auf manche Lebensmittel, isst Fleisch und Milchprodukte nicht zusammen und richtet sich die Küche auf eine bestimmte Art und Weise ein. Einige Beispiele:

Ritualgegenstände wie die Kippa oder Gebetbücher, aber auch spezielle Lebensmittel wie koschere Gummibärchen sind Gegenstände, die bei Begegnungen zum Einsatz kommen können / © www.meetajew.de
Ritualgegenstände wie die Kippa oder Gebetbücher, aber auch spezielle Lebensmittel wie koschere Gummibärchen sind Gegenstände, die bei Begegnungen zum Einsatz kommen können / © www.meetajew.de

Es fußt auf dem biblischen Buch Exodus, in dem es heißt: "Koche nicht ein Böcklein in der Milch seiner Mutter."

Das, was den Regeln entspricht, wird koscher genannt. Spielen dabei auch ökologische und soziale Gesichtspunkte eine Rolle?

Manchen Menschen reicht "nur" koscher nicht

"Manchen Menschen reicht es nicht, wenn etwas koscher ist", sagt der Münchner Rabbiner Tom Kucera.
Er verweist auf "Hechscher Zedek", das vor einigen Jahren in den Vereinigten Staaten aufkam: ein Gütesiegel für "Gerechtigkeitskriterien".

Demnach sind Produkte koscher, die zusätzlich zu rituellen auch sozialen und ökologischen Anforderungen entsprechen. Dabei geht es zum Beispiel um faire Arbeitsbedingungen.

Kucera erinnert daran, dass 2007 in den USA ein Rabbiner der konservativen Masorti-Strömung "Hechscher Zedek" als Antwort auf unzumutbare Zustände sowohl für Tiere als auch für Arbeiter in einem US-Unternehmen für koscheres Fleisch geschaffen habe.

Ökologisches Gütesiegel verschwand nach Protesten

Bis 2013, also vor zehn Jahren, sei das neue Gütesiegel in den USA auf dem Markt gewesen, bis es nach Protesten orthodoxer Rabbiner verschwunden sei.

Ein erlaubtes Tier muss geschächtet werden, um koscher zu sein.

Dabei handelt es sich um eine Schlachtmethode, bei der ein Fachmann mit einem scharfen Messer und einem einzigen Schnitt Halsschlagader und Luftröhre eines zuvor nicht betäubten Tieres durchtrennt.

Es heißt, dass das Tier rasch bewusstlos werde und schnell ausbluten könne, denn der Verzehr von Blut ist im Judentum nicht erlaubt.

Sind die jüdischen Speisegesetze in der Moderne modifizierbar?

Das Schächten, das auch Muslime praktizieren und das durchaus umstritten ist, ist hierzulande als eine Ausnahme im Tierschutzgesetz geregelt.

Hintergrund des Verschwindens von "Hechscher Zedek" war, dass Rabbiner der orthodoxen Strömung die Aufsicht über die Kaschrut führten und nicht akzeptieren wollten, dass das Siegel aus der Masorti-Richtung kam, wie Kucera erläutert.

Die Kaschrut – bestimmte Voraussetzungen für den Verzehr von Speisen – sei kein "totales System" und könne in einer modernen Welt durchaus modifiziert werden, so der liberale Rabbiner.

Jungen Menschen ist ökologisches Konsumverhalten wichtig

Er spricht von einer Pyramide, bei der die "Öko-Kaschrut" die Spitze bilde. In Gesprächen vor allem mit jungen Menschen stelle er fest, dass ihnen wichtig sei, mit ihrem Verhalten CO2 einzusparen und den Konsum tierischer Produkte zu reduzieren oder ganz zu meiden.

Traditionelle Speisen, darunter ein Teller mit geschnittener Avocado, auf einem gedeckten Tisch zu Rosch Haschana, dem jüdischen Neujahrsfest, am 29. September 2019 in Bonn / © Harald Oppitz (KNA)
Traditionelle Speisen, darunter ein Teller mit geschnittener Avocado, auf einem gedeckten Tisch zu Rosch Haschana, dem jüdischen Neujahrsfest, am 29. September 2019 in Bonn / © Harald Oppitz ( KNA )

In Deutschland sei die Nachfrage allerdings nicht groß genug, um hier eine Art "Gerechtigkeitssiegel" einzuführen.
Kucera selbst ernährt sich vegan und empfiehlt, ganz auf Fleisch zu verzichten.

Dazu rät auch die Jewish Vegetarian Society (JVS). Die international tätige Initiative möchte ein Bewusstsein für eine gute Gesellschaft ohne Grausamkeiten gegen Mensch und Tier wecken.

Die Organisation Vegan-Kosher wirbt für koscheren Veganismus

Sie beruft sich auf die Thora, die Wohlwollen gegenüber allen fühlenden Wesen lehre. Die Organisation Vegan-Kosher mit dem israelischen Rabbiner Asa Keisar an der Spitze wirbt für Veganismus, also eine Ernährungsweise ohne jegliche tierische Produkte.

Die Initiative hatte einst einen "Vegan-Kosher-Stempel" etabliert, um sicherzustellen, dass ein Produkt komplett vegan und koscher ist.

Die Orthodoxe Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD) betont, dass sich Kaschrut-Regeln nicht nur auf Hygiene beziehen:
"Die Einhaltung der Kaschrutgesetze dient der Seele des Menschen und nicht unbedingt seinem Körper."
Die ORD hält auf ihrer Internetseite auch eine Koscherliste bereit, die zur Orientierung Lebensmittel und Hersteller aufführt.

Jüdische Speisegesetze sind laut Rabbiner Apel bereits nachhaltig

Rabbiner Avichai Apel, Vorstandsmitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland, am 30. Mai 2022 in München / © Dieter Mayr (KNA)
Rabbiner Avichai Apel, Vorstandsmitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland, am 30. Mai 2022 in München / © Dieter Mayr ( KNA )

Der Frankfurter Rabbiner Avichai Apel ist Vorstandsmitglied der ORD – und Vegetarier.

"Die jüdischen Speisegesetze 'Kaschrut' sind seit eh und je auf Nachhaltigkeit und dabei vor allem auf ökologische sowie soziale Nachhaltigkeit ausgerichtet.

Das sind unsere Leitlinien seit tausenden von Jahren", sagt er.

Nachhaltigkeit muss sozial verträglich gestaltet werden

Auch wenn wie bei der "Hechscher Zedek"-Bewegung eine "weitere Veredelung" des Nachhaltigkeitsbegriffs angestrebt und dessen Umsetzung gefordert werde, ersetze dies nicht die Rahmenbedingungen nach dem Religionsgesetz oder dürfe sie aus Gründen der Nachhaltigkeit lockern.

Zugleich betont Apel, dass er Ideen für mehr Nachhaltigkeit befürworte, um schonender mit Ressourcen umzugehen und den Konsum zu überdenken – "auch das lehren uns die jüdischen Gesetze".

Allerdings solle Nachhaltigkeit sozial verträglich sein, "um eine breite Akzeptanz in der Gemeinde und der Gesellschaft zu schaffen".

Juden in Deutschland

Jüdisches Leben auf dem Gebiet der Bundesrepublik gibt es seit mehr als 1.700 Jahren. Der älteste schriftliche Nachweis stammt aus dem Jahr 321 aus Köln. Vor der nationalsozialistischen Machtergreifung lebten 1933 auf dem Gebiet des Deutschen Reiches rund 570.000 Juden. In der Folge des Holocaust wurden etwa 180.000 von ihnen ermordet, sehr viele flohen. 1950 gab es nur noch etwa 15.000 Juden in Deutschland. Eine Zukunft jüdischen Lebens im Land der Täter schien unwahrscheinlich und war innerjüdisch umstritten.

Ein jüdischer Mann mit einer Kippa / © Nelson Antoine (shutterstock)
Ein jüdischer Mann mit einer Kippa / © Nelson Antoine ( shutterstock )
Quelle:
KNA