Konferenz beschäftigt sich mit Menschenhandel in Europa

Moderne Sklaverei vor unserer Haustür

Ausbeuterische Arbeitsverhältnisse und moderne Sklaverei - das sind keine Phänomene, die es nur auf der anderen Seite der Welt gibt. Experten rücken nun die EU in den Fokus.

Autor/in:
Von Annika Schmitz
Menschenhandel Sklaverei Skulptur Petersplatz Vatikan Rom / © Stefano Carofei (KNA)
Menschenhandel Sklaverei Skulptur Petersplatz Vatikan Rom / © Stefano Carofei ( KNA )

Die Zahlen werden auch bei näherer Betrachtung nicht besser. Etwa 40 Millionen Menschen weltweit sind Schätzungen zufolge Opfer von Menschenhandel und moderner Sklaverei. Sie arbeiten als Zwangsprostituierte, in der Lebensmittel- und Bekleidungsindustrie, im Bauwesen, in der Pflege und Betreuung. Manchen werden Organe entnommen, andere zur Bettelei gezwungen. Jedes vierte Opfer ist ein Kind. Mit der Ausbeutung werden jährlich rund 150 Milliarden US-Dollar "erwirtschaftet".

Diese Zahlen sind Schätzungen, die der Programmdirektor der Initiative FAST (Finance Against Slavery and Trafficking) an der Universität der Vereinten Nationen, Daniel Thelesklaf, am Dienstag auf einer Online-Fachtagung vorlegte. Die Veranstaltung "Sklaverei heute abschaffen - wie kann es uns gelingen?" mit über 100 Teilnehmenden aus 21 Ländern sollte ursprünglich auf Einladung des Erzbistums Köln noch bis Mittwoch in der Domstadt stattfinden. Wegen der Pandemie wurde sie ins Internet verlegt.

Hilfswerk: Pandemie hat weltweiten Menschenhandel verschärft

Der Menschenhandel weltweit ist nach Aussage der kirchlichen Hilfsorganisation "Talitha Kum" durch die Corona-Pandemie verschärft worden. Durch wirtschaftliche Schwierigkeiten in vielen Ländern fielen Frauen und Männer leichter Ausbeutung zum Opfer, sagte die Koordinatorin des Netzwerks, die Ordensschwester Gabriella Bottani, im Interview der Zeitung "Avvenire".

Menschenhandel Sklaverei Skulptur Petersplatz Vatikan Rom / © Stefano Carofei (KNA)
Menschenhandel Sklaverei Skulptur Petersplatz Vatikan Rom / © Stefano Carofei ( KNA )

Santa-Marta-Gruppe

Es ist die erste Europa-Konferenz der Santa-Marta-Gruppe. Papst Franziskus hatte sie 2014 initiiert, der Name lehnt sich an das vatikanische Gästehaus an. Es ist eine Allianz aus hochrangigen Kirchenvertretern und Strafverfolgungsbehörden sowie weiteren staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen mit dem Ziel, Menschenhandel und moderne Sklaverei zu beenden.

Ein hehres Ziel. Sklaverei sei längst nichts, was überwunden wäre, sagte Thelesklaf. Im Gegenteil seien davon mehr Menschen betroffen als im 19. Jahrhundert. Die UN-Agenda für nachhaltige Entwicklung sieht vor, Zwangsarbeit bis 2030 zu eliminieren. Dafür müssten täglich rund 10.000 Menschen aus ebendiesen Verhältnissen entlassen werden.

Straflosigkeit

2020 seien aber so wenige Verdächtige wie nie zuvor wegen Menschenhandels verfolgt und vor Gericht gestellt worden, erklärte der Menschenhandelsexperte des Europarats, Kevin Hyland. Hoffnung setzt er unter anderem auf das deutsche Lieferkettengesetz, das am 1. Januar 2023 in Kraft treten soll.

Dann drohen Unternehmen, die bei der Herstellung von Produkten in ihren Lieferketten nicht auf die Einhaltung von Menschenrechts- und Umweltstandards achten, hohe Bußgelder. Es sind Sanktionen dieser Art, die international bislang oft fehlten, erklärte der ehemalige britische Hochkommissar für den Kampf gegen Menschenhandel.

Europa Ziel von Menschenhändlern

Dass Arbeitsausbeutung nicht irgendwo stattfindet, sondern direkt vor der eigenen Haustür und innerhalb der Europäischen Union, darauf verwiesen auch Kirchenvertreter. Die Europäische Union sei ein "häufig angesteuertes Ziel global agierender Menschenhändler", sagte der deutsche katholische Flüchtlingsbischof Stefan Heße.

Nicht nur einmal wurde dabei auf den Fall Tönnies verwiesen. In dem nordrhein-westfälischen Schlachthof hatten sich im Frühjahr 2020 mehr als 1.000 Mitarbeitende, viele von ihnen aus Osteuropa, mit dem Coronavirus infiziert. In diesem Zusammenhang entstanden bundesweit Debatten über die Arbeits- und Lebensbedingungen in der Fleischindustrie.

Die Pandemie war derweil auch das Stichwort, mit dem der Präsident der Santa-Marta-Gruppe, der britische Kardinal Vincent Nichols, auf verletzliche Gruppen verwies. Sie seien wegen Corona einer noch höheren Gefahr ausgesetzt, Opfer von Menschenhandel zu werden. Die Koordinatorin der EU gegen Menschenhandel, Diane Schmitt, sprach davon, dass es sich hierbei um Verbrechen mit geringem Risiko und hohem Profit handele.

Aktionsplan gegen Menschenhandel

Die Allianz will nun einen Aktionsplan für bessere Gesetze gegen Menschenhandel und deren Umsetzung auf EU-Ebene entwickeln. Doch Gesetze allein werden wohl kaum ausreichen. So forderte die Referentin beim katholischen Verband für Mädchen- und Frauensozialarbeit "In Via", Regine Rosner, mehr "Sensibilisierung der Polizei". Im Bereich der Prostitution untersuchten viele Beamte bereits, ob es sich auch um Menschenhandel handele - doch das Bauwesen werde meist nur auf illegale Beschäftigung hin kontrolliert, nicht aber auf Sklaverei.

Menschenhandel sei Gewalt, bekräftigte Papst Franziskus an diesem Dienstag. In der katholischen Kirche wird der 8. Februar als Gebets- und Aktionstag gegen Sklaverei und Menschenhandel begangen. Es ist der Gedenktag der heiligen Josefine Bakhita (ca. 1869-1947), einer ehemaligen sudanesischen Sklavin. Franziskus: "Kämpfen wir weiter gegen Menschenhandel, jede Form von Sklaverei und Ausbeutung."

Quelle:
KNA