Warum die Drusen in Syrien zwischen die Fronten geraten

Zwischen Israel, Iran und den Beduinen

Seit Tagen bedrohen Ausschreitungen im Süden Syriens die Einheit des Landes. Anhänger der drusischen Minderheit, der Interimsregierung und Beduinen kämpfen gegeneinander. Bei dem Konflikt geht es nur oberflächlich um die Drusen.

Autor/in:
Rena Netjes und Marion Sendker
Scheich Dabous empfängt Besucher in seinem Haus in Jaramana. / © Marion Sendker (DR)
Scheich Dabous empfängt Besucher in seinem Haus in Jaramana. / © Marion Sendker ( DR )

Kein Schluck Kaffee mehr, bis Syrien wieder vereint ist. Das verkündeten Beduinenführer vor ein paar Tagen. In einem Video zeigten sie sich mit Waffen und Kaffeekannen. Die Kannen wurden ausgeschüttet. Die Waffen festgehalten. Ein Beduinenführer erklärte: "Kaffee ist untersagt, bis Suwayda wieder unter der Führung des Staates steht". Daraufhin zogen Zehntausende bewaffnete Beduinen in Richtung Suwayda, einem Gouvernement im Süden des Landes. 

In Jaramana singt ein Chor patriotische Lieder von der Einheit Syriens. / © Marion Sendker (DR)
In Jaramana singt ein Chor patriotische Lieder von der Einheit Syriens. / © Marion Sendker ( DR )

Hier und in der nahe gelegenen Ortschaft Jaramana leben die meisten der syrischen Drusen. Insgesamt machen sie gut drei Prozent der Bevölkerung aus. Vor einigen Tagen hissten manche von ihnen die Flagge Israels in Suwayda. Die meisten Drusen lehnten das aber ab. Nur Stunden zuvor hatte die israelische Luftwaffe die nah gelegene Hauptstadt Damaskus bombardiert. Die Angriffe waren gezielt, sie zerstörten Teile des Präsidentenpalasts und des Verteidigungsministeriums.

Wer sind die Drusen?

Israel begründete die Bombardierungen unter anderem mit dem Schutz der Drusen in Syrien. Die Beduinen, die vorerst keinen Kaffee mehr wollen, begründeten ihren Aufmarsch dagegen damit, dass sie die Drusen vor Israel beschützen wollen. Sie wollten gegen die Drusen kämpfen, die für Israel sind. Zwischen Beduinenstämmen und drusischen Gruppen in der Region gibt es jahrhundertealte Rivalitäten. Das Verhältnis ist angespannt. Es gibt keine klaren Seiten. In dem aktuellen Konflikt sind die Drusen zum Spielball eines internationalen Machtkampfes um Syrien geworden. Für Machtkämpfe eignen sich Minderheiten besonders gut – erst recht, wenn sie politisch uneins sind, wie die Drusen in Syrien.

Scheich Dabous in seinem Besucherzimmer in Jaramana. / © Marion Sendker (DR)
Scheich Dabous in seinem Besucherzimmer in Jaramana. / © Marion Sendker ( DR )

"Es gibt verschiedene politische Lager, dabei sind wir religiös gleich", erklärt ein älterer Druse bei einem Treffen im Mai im syrischen Jaramana. Zwischen seinem langen weißen Vollbart und einem genauso weißen Spitzbart ruht ein sanftes Lächeln. Auf dem Kopf trägt er einen weißen Fes. Der Mann ist Scheich Dabous. Er ist ein Richter in seiner Gemeinschaft. "Wir lösen unsere Probleme selbst, wie wenn zum Beispiel jemand etwas gestohlen hat", sagt er. Die Strafen würden sich aber nicht nach der islamischen Scharia richten. "Die härteste Entscheidung ist ein Ausschluss aus der Gesellschaft", erklärt Scheich Dabous.

"Druse" gleich Ketzer

Die Minderheit ist zwar aus dem Islam hervorgegangen, sieht sich aber nicht als muslimisch. Drusen gehen zurück auf den persischen Missionar Hamza ibn Ali der Ismaeliten – einer Gruppe im schiitischen Islam. Bereits bei ersten, meist geheimen Treffen wurde der Koran allegorisch ausgelegt. Deswegen galten Drusen von Anfang an für muslimische Religionsführer als Ketzer. Das soll auch die Bezeichnung "Druse" zeigen: Einer vorherrschenden Erklärung nach stammt der Namen vom Prediger Muhammad bin Ismail Nashtakin ad-Darazī aus dem elften Jahrhundert, den die Drusen selbst aber als Häretiker ansehen. Die Minderheit nach ihm zu benennen, ist also eine Abwertung, falsche Zuschreibung und Anschuldigung. "Aber manchmal ist die Geschichte stärker als die Realität", sagt Scheich Dabous aus Jaramana. In Wahrheit heißen die Anhänger seiner Gemeinschaft "al-Muwaḥḥidūn", also "die Monotheisten".

Gesprächsrunde bei Scheich Dabous in Jaramana. / © Marion Sendker (DR)
Gesprächsrunde bei Scheich Dabous in Jaramana. / © Marion Sendker ( DR )

Drusen glauben an einen Gott. Er ist für sie eine alles überragende Macht, die aus sich selbst besteht. Seine Entscheidungen können von Menschen nicht erklärt werden. Dazu gehört auch, dass es verschiedene Religionen gibt. Drusen glauben, dass Gott sie verteilt hat. Missionierung oder Diskriminierung Andersgläubiger sind daher als Widerstand gegen den Willen des Allmächtigen verboten.

"Schön, wenn sie andere Religionen kennenlernen"

Was das im Alltag bedeutet, erklärt ein Mann auf dem Sofa im Besuchsraum von Scheich Dabous. Seine Kinder besuchen eine christliche Musikschule. "Sie lernen dort auch Geschichten von Jesus und haben eine Bibel bekommen", sagt er. Für ihn und seine Frau sei das kein Problem, im Gegenteil. "Es ist schön, wenn sie andere Religionen kennenlernen."

An der Wand des Besucherzimmers von Scheich Dabous in Jaramana hängt ein Bild des heiligen Georg. / © Marion Sendker (DR)
An der Wand des Besucherzimmers von Scheich Dabous in Jaramana hängt ein Bild des heiligen Georg. / © Marion Sendker ( DR )

Wie weit der Respekt vor dem Religiösen geht, zeigt ein Bild an der Wand im Haus des Scheichs. Eingerahmt ist der heilige Georg, Erzmärtyrer für christlich-orthodoxe Gemeinschaften, zu sehen, wie er einen Drachen tötet. "Er ist ein Prophet", sagt Scheich Dabous. In der drusischen Spiritualität finden sich daneben ismaelitische, abgewandelte schiitische Elemente und Lehren von nicht-abrahamitische Figuren wie Buddha oder Platon. So glauben Drusen etwa an die Wiedergeburt und an Parallelwelten: Das menschliche Sein ist ein wandernder, heiliger Geist.

Drusen in Syrien: keine einheitliche Minderheit

Der Glaube verbindet die Drusen seit gut eintausend Jahren. Politik und Ländergrenzen trennen sie. Durch Kriege und Verfolgung verstreuten sich die Gläubigen in der Welt. Am stärksten sind sie heute mit gut 700.000 Anhängern in Syrien und knapp 300.000 Gläubigen im Libanon vertreten. Auch in Israel leben Drusen, es sollen dort etwa 150.000 sein. Manche sind Teil der Armee und sollen auch in Gaza kämpfen. "Drusen verteidigen das Land, in dem sie leben", erklärt Khaled Nufal, ein älterer drusischer Mann im südsyrischen Ashrafiyyat Sahnaya. Das bedeute im Ernstfall: Sollten Drusen aus Israel in Syrien kämpfen, würden syrische Drusen gegen sie vorgehen, sagt er. Nation sticht Religion.

Im Gespräch mit den Drusenbrüdern Khaled und Riyad Nafal in Ashrafiyyat Sahnaya. / © Marion Sendker (DR)
Im Gespräch mit den Drusenbrüdern Khaled und Riyad Nafal in Ashrafiyyat Sahnaya. / © Marion Sendker ( DR )

Khaled und sein Bruder Riyad haben zum Tee geladen. Es ist Mitte Mai, vor Kurzem hat es Unruhen in mehrheitlich drusisch bewohnten Gebieten gegeben. Wenige Tage später wird es dort zu erneuten Ausschreitungen kommen, im Juli werden die Kämpfe mit Beduinen folgen. Die beiden Brüder haben schon jetzt eine Vorahnung, dass die Lage unruhig bleiben wird.

Gegner der Interimsregierung

Die Anspannung ist auf Machtkämpfe zwischen den politischen Lagern der Drusen zurückzuführen. Die Mehrheit gehört zwei Fraktionen an, die aufseiten der Regierung in Damaskus stehen. Und es gibt die Gruppe um Hikmat Salman al-Hijri, einem einflussreichen drusischen Scheich. Al-Hijri paktierte in der Vergangenheit mit dem Assad-Regime und in seinem Militärrat gibt es noch immer Verbindungen zu Iran.

In der Mitte hängt ein Bild von Amir Hasan al-Atrash. Er führte die drusischen Militäreinheiten erfolgreich gegen die Franzosen und erreichte im Jahr 1945 die Unabhängigkeit für die Drusen. / © Marion Sendker (DR)
In der Mitte hängt ein Bild von Amir Hasan al-Atrash. Er führte die drusischen Militäreinheiten erfolgreich gegen die Franzosen und erreichte im Jahr 1945 die Unabhängigkeit für die Drusen. / © Marion Sendker ( DR )

Spätestens seit dem Sturz des Ex-Diktators hat sich auch Israel der al-Hijri-Fraktion genähert. Es soll finanzielle, militärische und nachrichtendienstliche Unterstützung geben. Für die meisten syrischen Drusen ist das eine rote Linie. Sie wollen, dass sich Israel komplett aus Syrien zurückzieht. Doch al-Hijri ist ein erklärter Gegner der Interimsregierung in Damaskus. Während des aktuellen Konflikts schaffte er es unbestätigten Berichten zufolge, weitere Drusen auf seine Seite zu ziehen. Al-Hijri und seine Leute werden dadurch zu Erfüllungsgehilfen von fremden und in Israels Fall vor allem geopolitischen Interessen.

Der Faktor Isarel

Der Süden Syriens grenzt an den Norden Israels. Dort liegen die Golanhöhen. Völkerrechtlich gehören sie Syrien, werden aber seit 1967 von israelischen Einheiten okkupiert. Seit Monaten breiten sie sich militärisch und mit Infrastruktur in Richtung Norden und Osten aus. Das israelische Mobilfunknetz reicht mittlerweile bis Damaskus.

Auch in Jaramana im Süden Syriens kam es zu Ausschreitungen gegen die Drusen. / © Marion Sendker (DR)
Auch in Jaramana im Süden Syriens kam es zu Ausschreitungen gegen die Drusen. / © Marion Sendker ( DR )

Warum kooperiert das Land mit einer Gruppe, die sich in Teilen vom Iran, dem erklärten Erzfeind Israels, unterstützten lässt? Dafür gibt es mehrere Gründe. Vor allem dürfte es um Einfluss im Nachbarland gehen. Israel will die Golanhöhen, aus denen etwa ein Drittel des eigenen Wasserbedarfes gedeckt werden soll, nicht verlieren. Je weiter israelische Einheiten voranschreiten, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass die Golanhöhen sicher sind. Daneben will Israel ein unbewaffnetes Syrien, aus dem keine Gefahr durch iranische oder andere Kämpfer für die eigene Sicherheit droht. Al-Hajiri macht das nach Angaben aus Syrien mit, weil er dafür aus Israel bezahlt wird und so selbst als regionaler Kriegsherr aufsteigen kann.

Diversität - Syriens Reichtum?

In Syrien, einem Land wie ein ethnisches und religiöses Mosaik, gibt es viele Akteure, die – wie mutmaßlich al-Hajiri – von ihrem eigenen Reich träumen. Im Nordosten lehnen kurdisch geführte Milizen die Interimsregierung in Damaskus ab. Im Westen des Landes halten sich vor allem alawitische Anhänger des alten Regimes versteckt. Woanders schmieden Dschihadisten Pläne: Sie kommen vom Islamischen Staat oder von Hayat Tahir al Sham. Das ist jene Miliz, deren früherer Führer, Ahmet al-Sharaa, heute Interimspräsident ist. Sein Überleben hängt an der Befriedung des Landes. Intrigen gegen ihn gibt es aber von allen Seiten. Meistens wird Sektarismus bewusst geschürt. Die Diversität, die Syriens Reichtum sein könnte, wird so zu ihrer Achillesferse pervertiert.

Die Stadtverwaltung von Jaramana wird von zahlreichen Drusen geleitet. / © Marion Sendker (DR)
Die Stadtverwaltung von Jaramana wird von zahlreichen Drusen geleitet. / © Marion Sendker ( DR )

Der drusische Schriftsteller und Aktivist Adham Mas'oud al-Qaq erinnert an Angriffe von Islamisten auf Drusen im Mai, nachdem ein syrischer Druse angeblich in einem Video den Propheten beleidigt haben soll. Der Clip sei gefälscht und aus den Niederlanden in die sozialen Netzwerke hochgeladen worden, sagt er. Ein Versuch, Unruhe zu stiften. Auch manche Akteure im Zusammenhang mit dem Massaker an den Alawiten im März sollen aus dem Ausland gehandelt haben.

Syrer sehnen sich nach einem Leben in Einheit

Al-Qaq nennt eine verbreitete Theorie über die Zukunft seines Landes: "Syrien soll in Selbstverwaltungszonen aufgeteilt werden." Al-Qaq und viele andere Syrer sind gegen so einen Plan, der seit Monaten in den sozialen Medien kursiert. Oft wird er von israelischen Profilen verbreitet: Der Nordosten ist demnach ein "Kurdistan", der Westen ein "Alawistan", der Süden ein "Drusistan" und der Rest steht unter sunnitischer Kontrolle. Für manche radikale Gruppen in der Region wäre das ein Traumszenario. Viele Beobachter halten es dagegen für wenig wahrscheinlich, weil es Widerstand gibt.

Eine Gasse in Jaramana: Die Farben des Regenbogens sind die Farben der Drusen. / © Marion Sendker (DR)
Eine Gasse in Jaramana: Die Farben des Regenbogens sind die Farben der Drusen. / © Marion Sendker ( DR )

Während der aktuellen Kämpfe und nach den beispiellosen Angriffen Israels auf Damaskus rief etwa der saudische Außenminister seinen Amtskollegen in den USA an. Er soll erklärt haben, dass der syrischen Armee die Stationierung im Süden gestattet werden muss und Israel die Bedingungen diktieren nicht darf. Doch die Kämpfe im Süden Syriens gehen weiter. Zivilisten greifen zu Waffen, zahlreiche Beduinenkinder wurden von Truppen des Drusen al-Hajiri entführt. Nach einer Kundgebung in Damaskus griffen Islamisten friedliche Demonstranten an. Auch wenn die Mehrheit der Syrer sich nach einem Leben in Einheit sehnt: Die Entscheidung über die Zukunft ihrer Heimat dürften andere treffen.

Quelle:
DR

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