DOMRADIO.DE: Sie sind nicht nur Caritasdirektor, sondern auch Facharzt und kennen die Situation von Kliniken aus verschiedenen Blickwinkeln. Warum ist es wichtig, dass eine Reform stattfindet?
Dr. Frank Johannes Hensel (Direktor des Diözesan-Caritasverbandes im Erzbistum Köln): Der Gesundheitsminister hat das mit sehr guten Überschriften zum Ausdruck gebracht: "Nicht mehr alles überall". Übrigens ist das in der Wirklichkeit schon so. Es wird aber trotzdem immer wieder betont, als müsse das endlich mal herbeigeführt werden. Man kann da noch mehr machen, aber es geht auch schon längst in diese Richtung. Die Konzentration von Behandlungszentren wird voranschreiten. Das ist ein guter Schritt.
Die Kommerzialisierung durch die Bezahlung reiner Fallpauschalen wurde vor vielen Jahren noch unter Lauterbach eingeführt. Das ist jetzt in Teilen zurückgeführt – allerdings längst nicht so, wie er sagt. Es sind nicht 60 Prozent Vorhaltekosten. Beispielrechnungen zeigen, dass es weniger ist.
Tatsächlich kriegen 90 Prozent der Krankenhäuser in Vorausberechnungen ungefähr das Gleiche. Insofern scheint da kein richtiger Ruck durchzugehen. Aber Vorhaltekosten einzusetzen und nicht alles nur Fall abhängig zu bezahlen, ist eine gute Idee.
Also gut ist weniger Kommerzialisierung, Vorhaltekosten und Exzellenzzentren. (Anmerkung der Red.: Vorhaltekosten sind Kosten, die einem Krankenhaus unabhängig von seiner Leistung entstehen. Ungeachtet der Zahl der behandelten Patientinnen und Patienten sollen diese Fixkosten gedeckt werden, um den wirtschaftlichen Druck zu verringern.)
DOMRADIO.DE: Die Reform ist auf längere Zeit angelegt. So viel Geduld haben die Kliniken aber nicht.
Hensel: Ja, sie haben nicht so einen langen Atem, denn sie sind ja schon jetzt sehr unterfinanziert. Wir hatten im letzten Jahr 30 Insolvenzen. In diesem Jahr kommen bundesweit voraussichtlich noch mal 80 dazu. Das ist jetzt eine kalte Strukturreform. Der Gesundheitsminister oder das Ministerium sagt, das müsse so bleiben. Es gibt nichts zur Überbrückung. Erst die Reform würde das wieder aufheben.
Das ist natürlich eine Rosskur, also nicht wirklich ein gezielter Vorgang, sondern "survival of the fittest". Die, die am meisten Rücklagen haben, kommen über eine solche Dürreperiode hinüber. So macht man keine Gesundheitspolitik. Es geht schließlich um die Versorgung von Menschen. Das ist kein Experiment.
DOMRADIO.DE: Die Umstellung von einer Fallpauschale auf eine Vorhaltepauschale kann man sich im Grunde vorstellen wie bei der Feuerwehr: Man steht parat, egal ob es brennt oder nicht. Die Vorhaltepauschale soll die Existenz des Krankenhauses sichern und die Patienten vor OPs schützen, die sie nicht brauchen. Klingt ganz sinnvoll.
Hensel: Das klingt erst mal so, als wäre dieses Gesundheitssystem so kommerzialisiert und marode, dass man irgendwas operiert. Diese Unterstellung würde ich schon mal nicht teilen. Trotzdem gibt es Fehlanreize darin, sich in bestimmte, besonders gut bezahlte Richtungen fachlich weiterzuentwickeln. Wenn man eine gute Vorhaltepauschale machen würde, müsste man für eine breite Grundversorgung eine ordentliche finanzielle Absicherung schaffen.
In der Theorie ist das wunderbar. Praktisch haben wir mal versucht ein paar Modelle auszurechnen, denn das Ministerium gibt sie uns ja nicht. Es gibt keinerlei Auswirkungsanalysen. Das soll erst in mehreren Jahren erfolgen. Das ist, wie wenn Sie ein Betriebssystem aufspielen und dann mal gucken, welche Fehler zurückgemeldet werden. Uns ist das zu unsicher. Wir müssen wirklich davon ausgehen, dass die Versorgung geschwächt und ausgedünnt wird.
Es ist kein Krakeelen der Länder, dass es gerade in strukturschwächeren Regionen aufgrund von Vorgaben, was es alles braucht, um die Leistung überhaupt noch bezahlt erbringen zu dürfen, an mancher Stelle schwierig wird und daher die Versorgung geschwächt wird. Ein Beispiel möchte ich Ihnen gerne mal nennen. Es stand noch bis letzte Woche in den Vorgaben des Bundesministeriums, dass eine Geburtshilfe nur da sein darf, wo es auch gleichzeitig eine Pädiatrie gibt. Das ist in den meisten Fällen nicht der Fall. Das würde schlagartig zu einem Zusammenbrechen der Versorgung führen. Jetzt hat man wohl immerhin eine Übergangsfrist kryptisch hineinformuliert. Man sieht, dass man da noch ganz viel dran arbeiten muss. Die Länder wissen das etwas besser als irgendeine zentrale Stelle.
DOMRADIO.DE: Die Länder hätten sich im Bundesrat deutlich mehr Mitbestimmung gewünscht. Ihre Forderung nach Mitbestimmung geht in eine ähnliche Richtung.
Hensel: Ja, die Planung, welche Leistungen wo gebracht werden – natürlich unter Qualitätsvorgaben, das ist jetzt schon der Fall und die können auch gerne weiter geschärft und ausgesprochen sein und dann abhängig gemacht werden von der Bezahlung. Das ist alles eine Richtung, die sowieso richtig ist, die auch alle mitgehen. Aber diese Planung darf nicht zu zentral sein.
Dann macht man solche Fehler, wie eben von mir genannt, mit der Geburtshilfe und der Kinderheilkunde, die in einem Haus sein muss. Das muss nicht sein, man kann es auch im Verbund tun. Das funktioniert in der modernen Medizin.
Das galt genauso für die Geriatrie, eine ganz wichtige Disziplin in Kliniken. Die sollte nur noch da sein, wo es gleichzeitig eine Urologie im Haus gibt. Auch das mussten wir jetzt auf der Endstrecke versuchen, wenigstens mit einer Übergangsfrist hinaus zu verhandeln.
Man sieht also, dass die zentralen Ideen nicht versorgungsnah genug sind. Darum brauchen wir diese Planung mehr auch auf der regionalen Ebene.
Das Interview führte Tobias Fricke.