Kirchenrechtler warnt vor schnellen Urteilen über Benedikt

Hat "die Türen für Franziskus geöffnet"

Vor einer voreiligen Bewertung des Umgangs des verstorbenen emeritierten Papstes Benedikt XVI. mit Missbrauchsfällen warnt der Kirchenrechtler Thomas Schüller. Eine gesicherte Einschätzung sei erst in 60 Jahren möglich, so Schüller.

2016: Papst Franziskus und der emeritierte Papst Benedikt XVI. in der Kapelle des Klosters Mater Ecclesiae / © Osservatore Romano (KNA)
2016: Papst Franziskus und der emeritierte Papst Benedikt XVI. in der Kapelle des Klosters Mater Ecclesiae / © Osservatore Romano ( KNA )

Dies sei dann der Fall, "wenn die Akten der Glaubenskongregation aus seiner Amtszeit zugänglich sind", sagte Schüller der "Kölnischen Rundschau" (Montag).

Man könne indes schon jetzt sagen: "Joseph Ratzinger hat im Unterschied zu seinem heiliggesprochenen Vorgänger Johannes Paul II. überhaupt erkannt, dass das ein dramatisches Thema ist."

Thomas Schüller / © Lars Berg (KNA)
Thomas Schüller / © Lars Berg ( KNA )

Als Präfekt der Glaubenskongregation habe der spätere Papst es geschafft, Johannes Paul II. davon überzeugen, dass solche Delikte zentral in Rom untersucht werden müssen.

Schüller: "Ich verstehe aber gut, dass aus Sicht der Opfer sexualisierter Gewalt nichts von dem ausreicht, was von 1980 bis heute geschehen ist. Das darf man auch nicht kleinreden."

Was wäre wenn?

Aus Schüllers Sicht wäre es interessant gewesen, wie Benedikt als Papst agiert hätte, wenn ihn 2013 nicht die Kräfte verlassen hätten.

"Denn er hatte ja einiges angestoßen, während sein Nachfolger Franziskus in den letzten Jahren dann wichtige Normen erließ. Man könnte sagen, Benedikt hat als Papst die Türen für Franziskus geöffnet, durch die sein Nachfolger dann mit der Verschärfung des kirchlichen Strafrechts gegangen ist."

Papst Benedikt XVI. im Jahr 2007 / © Günter Vahlkampf (KNA)
Papst Benedikt XVI. im Jahr 2007 / © Günter Vahlkampf ( KNA )

Allerdings habe Benedikt, was seine eigene Verantwortung als früherer Erzbischof von München und Freising angeht, stets nur von Fehlern in seiner Amtszeit gesprochen, nicht von persönlichen Fehlern. Schüller: "Das ist charakteristisch, er konnte Fehler schwer eingestehen - ob es um problematische theologische Aussagen ging oder um amtliches Handeln. Das hat sicher auch damit zu tun, dass er die Institution, für die er handelte, um jeden Preis schützen wollte."

Benedikt XVI. war am Samstagmorgen im Alter von 95 Jahren in seiner Wohnung im Vatikan gestorben. Er war von 2005 bis 2013 Oberhaupt der katholischen Kirche und damit der erste deutsche Papst seit 482 Jahren. Vor seiner Wahl war er gut 23 Jahre lang Leiter der Glaubenskongregation im Vatikan.

Die wichtigsten Leitlinien des Denkens von Joseph Ratzinger

Benedikt XVI. war der erste Papst der Neuzeit, der freiwillig sein Amt abgab. Dabei berief er sich auf sein Gewissen - obwohl er dieser Instanz stets misstraute und theologisch ganz andere Schwerpunkte setzte. Wie wohl kein Papst vor ihm ist Benedikt XVI. auch auf dem Stuhl Petri ein Theologe geblieben.

Bereits als junger Wissenschaftler gehörte er zu den führenden deutschen Dogmatik-Professoren, die das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) prägten. Später entfremdete er sich immer mehr von seinen Kollegen.

Papst em. Benedikt XVI. am Schreibtisch / © Osservatore Romano/Romano Siciliani (KNA)
Papst em. Benedikt XVI. am Schreibtisch / © Osservatore Romano/Romano Siciliani ( KNA )
Quelle:
KNA