Kirchenhistoriker kritisiert Kardinalsauswahl des Papstes

"Eine Verzerrung von Franziskus' Vision"

Wieder keine deutschen Kardinäle. Wird Deutschland vom Papst abgestraft? Der Kirchenhistoriker Massimo Faggioli sagt: Ja. Das betreffe aber nicht nur Deutschland. Viele neue Ernennungen aber auch Nicht-Ernennungen sind bemerkenswert.

Birett eines Kardinals / © Daniel Ibanez (KNA)
Birett eines Kardinals / © Daniel Ibanez ( KNA )
Massimo Faggioli (privat)
Massimo Faggioli / ( privat )

DOMRADIO.DE: Die Liste der neuen Kardinäle scheint dem üblichen Franziskus-Muster zu folgen. Der erste europäische Weihbischof, der erste Kardinal für den Südsudan. Welche Ernennung finden Sie denn am interessantesten?

Massimo Faggioli (Kirchenhistoriker, Villanova University): Da sind viele wichtige Namen und Orte dabei: Juba, Hongkong, Penang. Am interessantesten finde ich aber, dass der neue Erzbischof von Madrid unter den ernannten Kardinälen ist, José Cobo Cano. 

Franziskus vermeidet eigentlich Erzbischöfe aus europäischen Hauptstädten in den Kardinalsrang zu erheben, ebenso wie er übliche Kardinalssitze wie Venedig, Mailand, Turin oder Paris auslässt. In diesem Fall ist er seiner Regel allerdings nicht treu geblieben.

Cobo Cano wurde zudem erst vor wenigen Wochen zum Erzbischof von Madrid ernannt, im Juni. Für Kirchenverhältnisse ist er auch noch ziemlich jung.

 Zum Konsistorium Ende September wird er 58 Jahre alt sein, damit könnte er für über 20 Jahre zum Kreis der Papstwähler zählen. Damit ist er allerdings nicht alleine, viele der neuen Kardinäle sind relativ jung.

Erzbischof Emil Paul Tscherrig, Apostolischer Nuntius in San Marino, am 12. November 2018 im Vatikan. / © Romano Siciliani (KNA)
Erzbischof Emil Paul Tscherrig, Apostolischer Nuntius in San Marino, am 12. November 2018 im Vatikan. / © Romano Siciliani ( KNA )

DOMRADIO.DE: Der Papst hat auch eine Reihe von Diplomaten in den Kardinalsrang erhoben, unter anderem den Schweizer Emil Tscherrig, der gerade amtierender Papstbotschafter in Italien ist. 

Bricht das nicht mit der vatikanischen Tradition, einen Nuntius als Kardinal zu erheben?

Faggioli: Zu den neuen Kardinälen zählt auch der aktuelle Nuntius in den USA, Christophe Pierre, der in den Augen vieler US-Katholiken und auch der Bischöfe als Liberaler zählt, aber theologisch und kirchenpolitisch eher in der Mitte steht.

Es gibt tatsächlich eine lange Tradition, Kardinäle aus den Reihen der Nuntien zu erheben, die allerdings in den letzten Jahrzehnten etwas verloren gegangen ist. Das System, wie Kardinalsposten besetzt werden, hat sich bereits in der frühen Moderne entwickelt, in den letzten 200 Jahren hat sich daran allerdings einiges geändert. 

Es gibt klassische Posten, wo sich der Bischof früher eigentlich sicher sein konnte, den Kardinalstitel zu erhalten. Dazu zählen die Erzbischöfe von Paris, Wien, Madrid oder Lissabon, einige Vorsitzende von Bischofskonferenzen oder auch hohe Kurienbeamte.

Massimo Faggioli

"Objektiv betrachtet hat dieses System den Papst durchaus eingeschränkt."

Objektiv betrachtet hat dieses System den Papst allerdings bei seinen Ernennungen durchaus eingeschränkt, vor allem darin, Kardinäle aus verschiedenen kulturellen Hintergründen einzusetzen. Zu einzelnen Momenten der Kirchengeschichte hat das auch dazu geführt, dass das Kollegium mit eher mittelmäßigen Kirchenmännern besetzt war.

Erzbischof Christophe Pierre / © Bob Roller (KNA)
Erzbischof Christophe Pierre / © Bob Roller ( KNA )

Franziskus setzt in seinem Pontifikat andere Schwerpunkte bei der Auswahl. Manchmal hält er sich an diese traditionellen Auswahlkriterien, manchmal fügt er auch neue hinzu oder umgeht die Traditionen. 

Nuntien zu erheben ist also nicht neu oder ungewöhnlich. Im Gegenteil: Das gibt dem Amt des päpstlichen Diplomaten mehr Glaubwürdigkeit, was es auch verdient.

DOMRADIO.DE: Ähnliches könnte man über den lateinischen Patriarchen in Jerusalem sagen. Der aus Italien stammende Erzbischof Pierbattista Pizzaballa zählt auch zu den neuen Kardinälen. 

Normalerweise wurde der Patriarch aus Jerusalem aus Respekt vor den anderen Konfessionen im Heiligen Land nicht in diesen Status erhoben. Zeigt das jetzt eine neue Herangehensweise des Papstes im Heiligen Land?

Erzbischof Pierbattista Pizzaballa, Apostolischer Administrator des Lateinischen Patriarchats von Jerusalem, begrüßt Passanten bei der Prozession zum Krippenplatz vor der Geburtskirche am Heiligabend, dem 24. Dezember 2019 in Bethlehem / © Andrea Krogmann (KNA)
Erzbischof Pierbattista Pizzaballa, Apostolischer Administrator des Lateinischen Patriarchats von Jerusalem, begrüßt Passanten bei der Prozession zum Krippenplatz vor der Geburtskirche am Heiligabend, dem 24. Dezember 2019 in Bethlehem / © Andrea Krogmann ( KNA )

Faggioli: Die Wahl von Jerusalem als Kardinalssitz ist aus verschiedenen Gründen bemerkenswert, kirchlich wie auch politisch. 

Der lateinische, also der römisch-katholische, Patriarch von Jerusalem unterscheidet sich von den ostkatholischen Patriarchen in Jerusalem, weil seine Position keine durchgehende Tradition in der Kirchengeschichte hat. Er wurde erst wieder Mitte des 19. Jahrhunderts eingesetzt. 

Er ist verantwortlich für die Katholiken des lateinischen Ritus in Israel, den Palästinensergebieten, Jordanien und Zypern. Er ist auch der Vorsitzende der lateinischen Bischofskonferenz in der arabischen Welt.

Papst Franziskus hat seine Sorge über die Zukunft der Christen im Mittleren Osten mehrmals deutlich gemacht. Die Erhebung des Patriarchen von Jerusalem kann auch als Reaktion darauf betrachtet werden. Man kann auch sagen, dass damit mehr Fokus auf die Ökumene im Heiligen Land gesetzt wird. 

Franziskus nennt das eine "Ökumene des Blutes". Ich sehe das also absolut nicht als Affront gegenüber den anderen Konfessionen im Heiligen Land, eher im Gegenteil.

Massimo Faggioli

"Franziskus wird von den Massenmedien in einem positiveren Licht dargestellt als seine Vorgänger."

DOMRADIO.DE: Es scheint auch etwas verwunderlich, dass unter den Ernennungen so viele Lateinamerikaner, oder spanisch-sprachige Kardinäle sind. Einige davon, die Franziskus noch aus seiner Zeit in Buenos Aires kennt, unter anderem Luis Pasqual Dri, der als "Beichtvater des Papstes" bezeichnet wird und vor seiner Erhebung zum Kardinal erst mal noch zum Bischof geweiht werden muss. 

Gegenüber Johannes Paul II. oder Benedikt XVI. gab es immer wieder mal die Vorwürfe, sie würden als Kardinäle Menschen aus ihrem Umfeld in Polen oder Deutschland anderen Kandidaten vorziehen. Kann man das gleiche nun nicht auch Franziskus vorwerfen?

Faggioli: Definitiv. Seine neuen Kardinäle geben ein Bild der Weltkirche ab, teilen seine pastoralen Schwerpunkte, das heißt aber auch, dass darunter Kandidaten sind, die er persönlich kennt und denen er vertraut.

Einige der zukünftigen Purpurträger sind für Franziskus sehr persönliche Ernennungen, Priester, die ihm in seinem Bild von Kirche sehr ähneln. Man muss aber auch sagen, dass Franziskus von den Massenmedien in einem positiveren Licht dargestellt wird als seine Vorgänger. 

Das betrifft auch die säkularen Massenmedien. Dieser persönliche Aspekt wird deshalb nicht so in den Vordergrund gestellt wie bei seinen Vorgängern.

DOMRADIO.DE: Mit jedem Konsistorium wächst auch die Irritierung in Deutschland. Unter Franziskus wurde bis jetzt kein residierender Erzbischof aus Deutschland in den Kardinalsrang erhoben. Erzbischof Koch wartet seit zehn Jahren, obwohl Berlin als Kardinalssitz auch Tradition hat. 

Inzwischen gibt es in der Deutschen Bischofskonferenz mit Marx (München) und Woelki (Köln) nur noch zwei Kardinäle. – Wie betrachten Sie diese Entwicklung denn von außen? Wird Deutschland vom Papst abgestraft, gerade in Zeiten der Spannungen um den Synodalen Weg?

Papst Franziskus und Bischof Bätzing beim Ad limina-Besuch der deutschen Bischöfe / © Romano Siciliani (KNA)
Papst Franziskus und Bischof Bätzing beim Ad limina-Besuch der deutschen Bischöfe / © Romano Siciliani ( KNA )

Faggioli: Das kann man so sagen. Wir wissen ja, dass Franziskus‘ Verhältnis mit der Kirche in Deutschland angespannt ist. Er denkt Deutschland als Kirche ist viel zu elitär und akademisch. 

Das greift noch zurück auf seine Studienzeiten in Deutschland. Man merkt das aber auch ganz deutlich an seinen Kommentaren zum Synodalen Weg. 

Er hält sich da meistens zurück, ist aber definitiv kein Fan von der Art, wie der Prozess in Deutschland strukturiert und durchgeführt wird. Deutschland ist also definitiv Opfer dieser Neugewichtung in der Kirche, was man auch an den Ernennungen der Teilnehmer für die Weltsynode im Oktober sieht.

Massimo Faggioli

"Er denkt Deutschland als Kirche ist viel zu elitär und akademisch."

Das ist allerdings nicht nur ein Problem in Deutschland. Da gibt es noch andere Länder, wo das noch deutlicher und schwieriger zu rechtfertigen ist. Beispiel: In den nächsten fünf Jahren wird die Stadt Lissabon zwei Papstwähler haben, während in Irland oder Australien überhaupt keiner mehr sitzt. Die Gründe dafür sind sowohl historisch als kirchenpolitisch.

Für mich ist das allerdings eine Verzerrung der Vision, die Franziskus eigentlich hatte, die Kirche mehr "an die Ränder" zu bringen. Die Kirche in Australien hat mit ihrem Plenarkonzil, das vor ein paar Monaten erst zu Ende ging, einen großen Beitrag zur Vorbereitung der Weltsynode geliefert. 

Die Rolle des Katholizismus in Irland ist – auch historisch – viel bedeutender, als es die aktuellen Zahlen von Kirchgängern in der Republik Irland erscheinen lassen. Franziskus denkt anscheinend, dass der anglo-amerikanische und englischsprachige Katholizismus in der Weltkirche im Moment keine neuen Kardinalsernennungen braucht.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.

Sieben deutsche Kardinäle - aber nur drei Papstwähler

Dem Kardinalskollegium gehören derzeit noch sieben Deutsche an: Walter Brandmüller (94), Paul Josef Cordes (89), Walter Kasper (90), Reinhard Marx (70), Gerhard Ludwig Müller (75), Friedrich Wetter (95) und Rainer Maria Woelki (67). Davon wären aber bei einer Papstwahl nur die drei unter 80-Jährigen stimmberechtigt: Marx, Müller und Woelki.

Blick von oben auf Kardinäle und Bischöfe, am 5. Januar 2023, während der Trauermesse für den emeritierten Papst Benedikt XVI. auf dem Petersplatz im Vatikan. / © Chris Warde-Jones/CNS photo (KNA)
Blick von oben auf Kardinäle und Bischöfe, am 5. Januar 2023, während der Trauermesse für den emeritierten Papst Benedikt XVI. auf dem Petersplatz im Vatikan. / © Chris Warde-Jones/CNS photo ( KNA )
Quelle:
DR