Kirchen erinnern an Novemberpogrome und warnen vor Antisemitismus

Gemeinsames Gedenken

Die Kirchen in Deutschland haben am Sonntag bundesweit mit Gottesdiensten und Andachten an die Reichspogromnacht der Nationalsozialisten vor 70 Jahren erinnert. "Die Sünde der Gleichgültigkeit gegenüber dem Leid der Anderen stirbt nicht aus", heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der katholischen und evangelischen Kirche zum 9. November 1938. Im Vatikan gedachte Papst Benedikt XVI. aller Opfer der Judenverfolgung.

 (DR)

Vor mehreren zehntausend Besuchern auf dem Petersplatz rief er zum Gebet für die Opfer und zu «tiefer Solidarität mit der jüdischen Welt» auf. Damit «ähnliche Schrecken sich nie wiederholen», sei es die Pflicht jedes Einzelnen, auf allen Ebenen gegen jede Form des Antisemitismus und der Diskriminierung einzutreten.

In Deutschland gab es zahlreiche kirchliche Gedenkveranstaltungen und Gottesdienste, bei denen die katholische und die evangelische Kirche vor anhaltendem Antisemitismus und Rassismus warnten. Die schrecklichen Bilder brennender Synagogen lehrten auch heute, dass es ohne Respekt vor dem Heiligen auch keinen Respekt vor den Menschen gebe, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der Kirchen, die vom Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, und dem Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, unterzeichnet ist.

Huber beteiligte sich auch gemeinsam mit dem Berliner Kardinal Georg Sterzinsky an einem Gebetsgang der Kirchen in der Hauptstadt. Dabei beklagte Sterzinsky das Fehlen eines «Aufstands der Anständigen» am 9. November 1938. Es sei erschreckend, dass die meisten Christen damals geschwiegen hätten und beschämend, dass so wenige katholische und protestantische Amtsträger genannt werden könnten, die jüdischen Mitbürgern geholfen haben. Auch Huber betonte, das Zeugnis einiger weniger mutiger Christen könne das Versagen so vieler nicht vergessen machen. Umso wichtiger sei es, dass sich die «Sünde der Gleichgültigkeit» heute nicht fortsetze.

An der zentralen deutschen Gedenkfeier in einer Berliner Synagoge nahmen als Vertreter der katholischen Kirche der Görlitzer Bischof Konrad Zdarsa, der Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz, Pater Hans Langendörfer, und der Leiter des Katholischen Büros, Prälat Karl Jüsten, teil. Der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, rief in einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) dazu auf, aus der Erinnerung an die furchtbaren Taten und aus dem eigenen Versagen zu lernen und «mitzuhelfen, dass so etwas nie mehr geschehen kann».

In München beteiligten sich prominente Kirchenvertreter wie der katholische Erzbischof Reinhard Marx und der evangelische Landesbischof Johannes Friedrich an einer neunstündigen Lesung der Namen aller 4.587 jüdischer Bürger Münchens, die von den Nationalsozialisten ermordet wurden.

Pogrom-Gedenken: Eindringliche Appelle
Mit eindringlichen Aufrufen zum Kampf gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus haben Politik und Vertreter des Judentums in Berlin dem 70. Jahrestag der Novemberpogrome von 1938 gedacht. «Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus dürfen in Europa nie wieder eine Chance haben», sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei der zentralen Gedenkfeier in der Synagoge Rykestraße in Berlin.

Deutschland habe die immerwährende Verantwortung, sich die Bedeutung des «Schatzes von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit» bewusst zu machen und Angriffe darauf nicht hinzunehmen. Die Kanzlerin bezeichnete es vor rund 1.000 Gästen aus Politik und Gesellschaft als «alles andere als selbstverständlich, dass Juden wieder Vertrauen in unser Land fassen». Mit Blick auf die durch Zuwanderung aus Osteuropa wachsenden jüdischen Gemeinden betonte Merkel: «Jüdisches Leben muss immer einen guten Platz und eine gute Heimat in Deutschland haben.»

Auch die Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, nannte den Einsatz gegen die «braunen Rattenfänger» als bleibenden Auftrag aus der Vernichtung der Juden durch die Nationalsozialisten. «Nur eine gelebte, lebendige Demokratie kann gesunde Abwehrmechanismen entwickeln», sagte Knobloch, die die Novemberpogrome als Sechsjährige erlebt hatte.

Mehr zum Thema