Ana Lorena Alfaro muss auf dem täglichen Weg zur Arbeit raus aus der Innenstadt Panamas. Sie fährt vorbei an Wolkenkratzern aus Glas und an menschenleeren Luxuswohnungen. Der Kontrast dazu kommt schnell. Je weiter sie fährt, desto mehr verblasst der Glanz der Türme, desto mehr werden die Straßen schmaler und die Häuser niedriger. Palmen ragen aus wildem Gebüsch heraus. Nach etwa 30 Minuten Fahrt kommt sie an einstöckigen Häusern aus Beton vorbei. Sie fährt in ein Viertel ohne Asphalt und ohne Geräuschkulisse hinein. Ein weißes Metalltor öffnet sich.

Ana Lorena Alfaro ist die Leiterin des Auffanglagers der Nichtregierungsorganisation "The Franciscan Network for Migrants", die sich auf dem ganzen amerikanischen Kontinent für geflüchtete Menschen einsetzt. In Panama ist das Projekt für abgeschobene Menschen recht neu und provisorisch.
Zwischen dem 12. und 15. Februar 2025 wurden 299 Menschen in Panama "abgeladen". Sie kamen unter anderen aus Afghanistan, Eritrea, China, Russland, Äthiopien, Sri Lanka und dem Iran. Die Geflüchteten sind alle Drittstaatsangehörige, die nichts mit Panama zu tun hatten, außer, dass sie hierhin abgeschoben wurden.
Sie hatten versucht in die USA zu kommen, um sich dort ein neues Leben aufzubauen. Das Recht auf Asyl steht ihnen laut US-amerikanischem Gesetz zu, so berichten es Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch. Die meisten erlebten nach ihren eigenen Angaben in ihren Heimatländern sexuelle Gewalt, Folter, religiöse oder politische Verfolgung und familiäre Morde. Laut der Internationalen Organisation für Migration kehrten 179 Menschen von den 299 Menschen im Rahmen eines Rückkehrprogramm in ihre Herkunftsländer zurück. Bei einigen von ihnen geschah dies unter fragwürdigen Bedingungen, die Zweifel an der Freiwilligkeit aufwerfen.

Nach dem Amtsantritt von Donald Trump am 20. Januar 2025 änderte sich alles. In seiner ersten Rede erklärte er, dass die USA von einer "Invasion illegaler Fremder" bedroht sei. Als eine seiner ersten Amtshandlungen per Dekret rief er den nationalen Notstand an der Südgrenze der USA aus und kündigte an, "Millionen und Abermillionen" irregulärer Migranten abschieben zu wollen. Die Grenzen wurden daraufhin dicht gemacht. Menschen, die in dieser Zeit die USA erreichten - viele nach monatelanger Flucht durch Wüsten, Dschungel und Gewalt - wurden verhaftet, ignoriert und entrechtet. Sie hatten keine Möglichkeit auf ein Verfahren, Übersetzer oder auf jegliche Informationen.
Das Projekt, das Ana Lorena Alfaro jetzt leitet, heißt "Fe y Alegría"- Glaube und Freude. Normalerweise finden in dieser abgelegenen Region Panamas Workshops für benachteiligte Jugendliche statt. Aber jetzt ist es ein Ort für Abgeschobene.

Das Gelände des Projektes ist weitläufig. Drei große Gebäude stehen nebeneinander, sie haben alle nur ein Stockwerk. Um die Häuser herum ist alles grün und ruhig. Die Schwüle ist hier durch das viele Grün erträglicher. Auf den weißen Wänden sieht man in roter Schrift das Logo "Fe y Alegria". Daneben sitzt Gaelle draußen auf einer Bank.
Gaelles Geschichte
Sie kommt aus Eritrea, ist orthodoxe Christin und musste ihr Land aufgrund der politischen Lage verlassen. Eritrea verfügt weder über eine geltende Verfassung noch eine funktionierende Gewaltenteilung. Die Grundrechte der Menschen dort sind sehr stark eingeschränkt. Als Folge des Grenzkriegs mit Äthiopien kam es zu einer Militarisierung der Gesellschaft und zum Zurückdrängen der Privatwirtschaft durch staatlich gelenkte Unternehmen. Das öffentlichen Lebens wird stark kontrolliert. Gaelles Familie wurde vom Regime ermordet. Sie floh über Äthiopien nach Brasilien und durch ganz Lateinamerika in die USA.

Dort wurde sie festgenommen und ohne Anhörung deportiert. Auch sie hatte keinen Zugang zu Informationen, zu Rechtsbeistand und auch kein Gespräch mit einem Richter. "Ich wusste nicht einmal, dass ich abgeschoben werde", sagt sie. In Panama wurde sie in dem ersten Auffanglager sehr schlecht behandelt, erzählt sie. Sie und die anderen Insassen durften ihre "Zimmer" nur zum Essen für ein paar Minuten verlassen. Später, berichtet sie von katastrophalen Zuständen in einem zweiten Lager, in das sie gesteckt wurde. Es war sehr heiß und es waren sehr viele Menschen in einem Raum eingesperrt. Das Essen war teilweise verdorben. Nach ein paar Wochen wurden sie gefragt, ob sie Papiere unterschreiben würden. Sie hat sich geweigert und wurde dann in einen Bus gesetzt und schließlich auf einem Parkplatz ausgesetzt.
"The Franciscan Network for Migrants" hat sie dann aufgesammelt. Jetzt sitzt sie hier. Sie ist alleine und spricht kein Spanisch. Sie sagt, sie fühle sich ohne Perspektive. Arbeiten darf sie nicht. Jeder Tag sieht gleich aus: Beten, essen, schlafen. "Wenn ich zurückgehe habe ich nichts und muss in Gefahr leben. Ich habe niemanden, der mir helfen kann", sagt sie mit Tränen in den Augen.

In einem anderem der Gebäude, früher eine Sport-Turnhalle, befindet sich ein großer Raum. An der Wand entlang liegen Matratzen. Einige Erwachsene sitzen stumm an den Wänden. Manche haben mit Laken kleine "Zimmer" abgetrennt. Es ist unglaublich heiß und schwül im Raum. In der Mitte sitzt Aaliyah.
Aaliyahs Geschichte
Sie ist in Teheran geboren. Aaliyah war eine ausgezeichnete Schülerin. Früh politisiert, weigerte sie sich, das Kopftuch korrekt zu tragen. Dafür wurde sie von einem Sittenpolizisten eine Treppe hinuntergestoßen. Sie erlitt eine Hirnblutung und wurde mit Epilepsie diagnostiziert. Einige Jahre später wurde sie vergewaltigt, ebenfalls von einem Moralpolizisten. Eine posttraumatische Belastungsstörung begleitet sie seitdem. In einem Nahtoderlebnis fand sie zum Christentum. Sie und ihr Mann konvertierten. Das machte sie endgültig zur Zielscheibe im Iran. Es folgten Verhaftungen, Verhöre durch die Revolutionsgarde und Todesdrohungen.

Als der Druck zu hoch wurde, flohen sie nach Venezuela, dann über den Darién-Dschungel nach Panama, weiter Richtung Mexiko zur US-Grenze. Dort wurde Aaliyah von ihrem Mann getrennt. Sie wurde in Ketten gelegt und eingesperrt. Ihre Medikamente bekam sie nicht. Sie bekam auch kein Übersetzter oder Anwalt. Sie sollte Dokumente unterschreiben, die sie nicht verstand. Dann wurde sie abgeschoben. Seitdem lebt sie hier in dieser Turnhalle zwischen Laken-Wänden. "Wenn ich zurückgehe, muss ich sterben", erklärt Aaliyah. Sie will wieder vereint mit ihrem Mann sein und wieder versuchen, in die USA zu kommen.
Jakovic´s Geschichte
Auch Jakovic, ein Russe, sitzt mit am Tisch und isst. In einer schwarzen Schale liegt ein wenig Reis mit Hühnchen. In seiner Heimat war er Handwerker und hatte ein normales Leben. Er war ein lautstarker Gegner des Krieges in der Ukraine. Die staatlichen Repressionen zwangen ihn zur Flucht nach Mexiko. Er überquerte die Grenze zu den USA und wurde verhaftet und dann abgeschoben. Zuerst war er drei Tage im Hotel in Panama, dann drei Wochen in einem Auffanglager an der kolumbianischen Grenze, das er nur als "Gefängnis" beschreibt. Heute lebt auch er hier im provisorischen Lager "Fe y Alegria". "Ich habe keine Option, ich werde es wieder versuchen", sagt er immer wieder.

Die Menschen hier teilen ein gemeinsames Schicksal. Sie wurden unter Missachtung des Völkerrechts alle aus den USA deportiert. Sie wurden in eiskalten Zellen ohne Anwälte und ohne Übersetzer gefangen gehalten. Viele berichten von Ketten, Fesselungen und medizinischer Vernachlässigung. Für Kinder waren die Haftbedingungen besonders traumatisch.
Nach der Ankunft in Panama wurden sie erst im Hotel, dann im Lager weiterhin isoliert. Die Handys wurden ihnen abgenommen. Damit waren sie vollkommen von der Außenwelt und ihren Familien abgeschnitten. Erst durch juristischen Druck der Interamerikanischen Menschenrechtskommission und Nichtregierungsorganisationen wurden sie freigelassen. Heute besitzen sie in Panama ein humanitäres Aufenthaltsvisum, das für sechs Monate gültig ist. Danach müssen sie das lateinamerikanische Land verlassen. Ab Juni dürfen sie ebenfalls eigene Geschäfte aufbauen und zum Beispiel durch den Verkauf von Ware Geld verdienen.
Ana Lorena Alfaro, die Leiterin des Zentrums, erklärt eindringlich: "Diese Menschen sind keine Kriminellen. Sie sind Opfer. Sie wurden unsichtbar gemacht. Wenn jemand helfen will, findet er Wege. Ich glaube, die Kirche hat geholfen, wo der Staat sie verlassen hat." Sie kennt viele Geschichten, von Kindern, die im Dschungel Geschwister verloren haben oder von Eltern, die zurückgelassen werden mussten. Sie sagt, dass die Welt verstehen müsse, dass diese Menschen niemandem etwas wegnehmen wollen. Sie wollen leben und arbeiten und vor allem frei und sicher sein.
Das Projekt bietet ihnen ein Dach über den Kopf, Nahrung, Hygiene, Internet und medizinische Versorgung. Außerdem haben sie hier die Möglichkeit, sich mit einem Psychologen zu besprechen und auch Beratung bezüglich ihrer Situation zu bekommen. Besonders wertvoll ist auch der Kontakt zu den Mitarbeitenden und den Freiwilligen. Sie gehen mit den Menschen ins Gespräch, lenken sie ab oder geben ihnen die Möglichkeit, ihre Gedanken und Emotionen zu fördern. Die Kirche hilft ihnen beim Kontaktaufbau zu Anwälten, aber auch beim Organisieren von Verkaufsgeschäften. Vor allem sind die Menschen hier sicher und müssen keine Angst haben.

Aktuell sind noch 23 Menschen im Auffanglager der Kirche. Die USA haben jedoch diesen Monat ein Einreiseverbot für Afghanistan, Myanmar, Tschad, Demokratische Republik Kongo, Äquatorialguinea, Eritrea, Haiti, Iran, Libyen, Somalia, Sudan und Jemen erhoben. Daher sind weitere Abschiebungen nicht abwegig. Die Menschen leiden nach der Flucht und der Art und Weise ihrer Abschiebung unter emotionaler Angespanntheit, Ungewissheit über ihr Leben und das ihrer Familien. Sie leiden unter psychologischen und körperlichen Folgen.
Umso wichtiger ist die Kirche. Sie gibt den geflüchteten Menschen Halt und zumindest etwas Hoffnung. Die Menschen hier besitzen nichts mehr, außer der Hoffnung auf ein besseres Leben und ihren Geschichten.