Kirchbau bedeutet heute vor allem Sanierung

"Starke emotionale Bindung an ein Stück Heimat"

Ist heute von Kirchbau die Rede, geht es oft um Instandsetzung, Umbau und Modernisierung. Denn neue Kirchen werden längst nicht mehr gebraucht. Zwei Architektenbrüder aus Zülpich berichten von ihrem Berufsalltag.

Die Brüder Markus und Max Ernst werden von den Kirchengemeinden mit Sanierungsprojekten betraut / © Beatrice Tomasetti (DR)
Die Brüder Markus und Max Ernst werden von den Kirchengemeinden mit Sanierungsprojekten betraut / © Beatrice Tomasetti ( DR )

DOMRADIO.DE: Nach dem Zweiten Weltkrieg sind in Deutschland so viele neue Kirchen gebaut worden wie in allen Jahrhunderten vorher nicht. Doch das war einmal. Die letzten Gotteshäuser sind im Erzbistum Köln 2002 in Vingst und 2003 in Blumenberg entstanden. Selbst das scheint Lichtjahre her. Wann bekommen Sie heute noch mit Kirchbau zu tun?

Max Ernst (Architekt): Wenn ein Gotteshaus zum Sanierungsfall wird. Meist gibt es dafür eine Initialzündung. Entweder regnet es durchs Dach in den Kirchenraum, oder es lösen sich Steine aus dem Gemäuer. In Bensberg, wo wir gerade St. Nikolaus einer kompletten Sanierung unterziehen, war beides der Fall.

 © Beatrice Tomasetti (DR)
© Beatrice Tomasetti ( DR )

Der Turmhelm zeigte Undichtigkeiten, aber vor allem war es ein heruntergefallener Stein, der eine umfassende Baumaßnahme ins Rollen brachte, weil zum Schutz der Kirchenbesucher umgehend Sofortmaßnahmen ergriffen werden mussten. Beim ersten Besichtigungstermin haben wir mithilfe eines Steigers Turm und Hauptschiff begutachtet, auch eine Drohne kam zum Einsatz. Unsere Empfehlung nach einer ersten Bestandsaufnahme war dann, die komplette Außenhülle und auch die Fenster zu prüfen. Außerdem erwiesen sich der Glockenstuhl und die gesamte Elektronik mit ihren alten Stromverteilern als unbedingt erneuerungsbedürftig. Schnell war klar, dass hier eine Zeitbombe tickt und nur eine Komplettsanierung hilft, wenn das Gebäude nutzbar bleiben soll. Nach 40 Jahren – zuletzt wurde die Kirche 1982 instand gesetzt – ist das wie ein Generationenwechsel.

Max Ernst, Architekt

"Wenn wir zum Einsatz kommen, spielen wir eigentlich immer Feuerwehr, weil dann meist ganz akut ein Problem gelöst werden muss. Es handelt sich ja um Baudenkmäler, von daher geht es oft um den Erhalt von denkmalgeschützter Bausubstanz."

Andere Beispiele für eine Komplettsanierung, mit der uns die Kirchengemeinden betraut haben, sind die Kölner Innenstadtkirche St. Pantaleon oder auch St. Anno in Siegburg, wo der Kirchturm undicht war. Außerdem arbeiten wir gerade an der Stiftskirche in Bad Münstereifel, die während der Flut unter Wasser stand, und auch die Instandsetzung von Alt St. Martin in Bonn-Muffendorf, wo es vor ein paar Jahren gebrannt hat, liegt in unserer Verantwortung. Wenn wir zum Einsatz kommen, spielen wir eigentlich immer Feuerwehr, weil dann meist ganz akut ein Problem gelöst werden muss. Es handelt sich ja um Baudenkmäler, von daher geht es oft um den Erhalt von denkmalgeschützter Bausubstanz.

In Bensberg beginnt nach der Turmsanierung gerade der zweite Bauabschnitt mit der Einrüstung des Hauptschiffes / © Beatrice Tomasetti (DR)
In Bensberg beginnt nach der Turmsanierung gerade der zweite Bauabschnitt mit der Einrüstung des Hauptschiffes / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Markus Ernst (Architekt): Der Bedarf, neue Kirchen zu errichten, ergab sich durch die Kriegszerstörungen und auch weil viele neue Siedlungen entstanden und in kleinen Kirchen zusätzliche Sitzplätze geschaffen werden mussten, so dass Dorfkirchen oft in den 1960er oder 70er Jahren erweitert wurden. Geschuldet war diese Entwicklung einem Wachstum der katholischen Bevölkerung. Es entstanden ganze neue Stadtteile wie zum Beispiel Bonn-Tannenbusch, Hürth-Mitte oder Meckenheim-Merl. Inzwischen werden Anbauten der Nachkriegszeit mancherorts wieder rückgebaut, weil sie aufgrund der rückläufigen Kirchenmitglieder nicht mehr gebraucht werden und dieses Bauvolumen nun saniert werden müsste, dessen Erhaltung aber mit hohen Kosten verbunden wäre.

In der Tat bauen wir schon lange keine neuen Kirchen mehr. Unser letztes sakrales Neubauprojekt war 2005 die Schulkapelle für das St. Angela-Gymnasium in Bad Münstereifel – also auch schon etwas her. Kurz zuvor hatte es im Erzbistum das Projekt "Zukunft heute" gegeben, mit dem sich auch eine Bestandsaufnahme aller kirchlichen Bauten unter der Fragestellung des Bedarfs verknüpfte: Was haben wir? Was werden wir zukünftig überhaupt noch brauchen? Und wovon müssen wir uns trennen?

DOMRADIO.DE: Sie haben das Architekturbüro Ihres Vaters übernommen, der schon damals viel für die katholische Kirche gearbeitet hat. Dabei war "Bauen im Bestand" immer schon ein wichtiges Stichwort. Was versteht man darunter?

Markus Ernst: Jede Bauaufgabe ist im weitesten Sinne ein Bauen im Bestand. Selbst ein Neubau ist einzufügen in seine bestehende städtebauliche oder landschaftliche Umgebung. Die Frage ist: Wird der Bestand nur konserviert oder für neue Nutzungen umgebaut oder erweitert? Ziel ist jedenfalls immer, ein Maximum an Baubestand zu erhalten. Und das muss – gerade wenn es sich um einen denkmalgeschützten Bau handelt – sehr behutsam geschehen. Grundsätzlich ist der Erhalt bestehender Bausubstanz dem Abriss und Neubau vorzuziehen, schließlich sind viele einstmals energieintensiv produzierte Baustoffe in Bestandsbauten verbaut, so dass ein Abriss mit einem Neubau immer die weitaus schlechtere CO 2-Bilanz hat. Das ist ein hochaktuelles Thema und nicht zuletzt im Sinne des Klimaschutzes, wenn der Bestand erhalten bleibt und für Folgenutzungen ertüchtigt wird.

Markus Ernst, Architekt

"Grundsätzlich spielen aktuell energetisch-klimatische Aspekte sowie Ressourcenschonung beim Entwurf, unabhängig von Bestandsprojekten oder Neubauten, eine wichtige Rolle."

Hinzu kommt, dass historische und denkmalwerte Bausubstanzen Stadtbild prägend sind und damit schon mal per se erhaltenswert. Natürlich müssen die Mängel genau erhoben werden, so dass auch klar ist, ob die Bausubstanz überhaupt erhaltenswert ist. Die Frage ist, lässt sie sich so herrichten, dass sie nach der Sanierung noch Potenzial hat. Um das beurteilen zu können, braucht es eine gewisse Erfahrung – im Verbund mit Tragwerksplanern, Bauphysikern und weiteren Spezialisten. Tatsache ist, mit dem wachsenden Bewusstsein für den Klimawandel und die Rohstoffknappheit hat dieses Thema jedenfalls nochmals deutlich an Fahrt aufgenommen. Grundsätzlich spielen aktuell energetisch-klimatische Aspekte sowie Ressourcenschonung beim Entwurf, unabhängig von Bestandsprojekten oder Neubauten, eine wichtige Rolle.

Ein gutes Beispiel für die Einheit von Alt und Neu: St. Peter in Zülpich / © Beatrice Tomasetti (DR)
Ein gutes Beispiel für die Einheit von Alt und Neu: St. Peter in Zülpich / © Beatrice Tomasetti ( DR )

DOMRADIO.DE: Um Menschen kirchliche Räume wieder als mystische Räume mit einem Bezug zu ihrer Lebenswelt und ihrer Gottessicht entdecken zu lassen, bedarf es bei deren Ausstattung eines Brückenschlags in die Gegenwart. Moderne Akzente oder Kunstwerke können dabei eine wichtige Rolle spielen. Wie sieht für Sie dieser Spagat zwischen Tradition und Innovation aus?

Max Ernst: Ein gutes Beispiel für ein solches Zusammenspiel von Alt und Neu sind St. Laurentius in Oberdollendorf, wo der Künstler und Benediktinerpater Abraham mit im Boot war, unsere Heimatkirche St. Peter in Zülpich, die von der Künstlerin Ingrid Bussenius innen neu gestaltet wurde, oder St. Nikolaus in Sülz, wo Matthias Heiermann einen komplett neuen künstlerischen Entwurf für den Altarraum geliefert hat. Neuanschaffungen müssen allerdings immer die Kirchengemeinden aus Eigenmitteln finanzieren, und viele haben schlichtweg nicht die Möglichkeit, einen Künstler damit zu beauftragen. Aber kommt es dazu, erfolgt eine innenarchitektonische Neugestaltung immer in enger Abstimmung mit uns Architekten, weil das bei einer Sanierung miteingeplant werden muss – wie zum Beispiel bei der Schatzkammer in Siegburg.

Alt und Neu bilden im besten Fall eine Einheit. Für einen Architekten ist das immer eine tolle Herausforderung, die viel mit Lust an Kreativität und Leidenschaft zu tun hat, weil wir auf den spezifischen Raum reagieren. Schließlich tritt die Kunst in einen Dialog mit dem Bauwerk, was immer etwas Prozesshaftes hat und äußerst spannend ist.

DOMRADIO.DE: Heute sind Künstler, die in den letzten Jahrhunderten noch ganz anders in ihrem Glauben verankert waren, so dass der Auftrag der Kirche mit ihrem eigenen Lebensgefühl übereinstimmte, keine Diener mehr der Theologie. Trotzdem reizt es manch einen autonomen Künstler – nehmen wir Gerhard Richter oder Markus Lüpertz – die dennoch gezielt für die Kirche gearbeitet haben Was bedeutet das für Sie, wenn der Hauptauftraggeber in der Bauabteilung des Generalvikariates sitzt? Wie streng sind die Vorgaben bzw. wie groß die Spielräume?

Jour fixe: Architekt Max Ernst (links) trifft sich einmal wöchentlich mit Vertretern des Bauausschusses in Bensberg / © Beatrice Tomasetti (DR)
Jour fixe: Architekt Max Ernst (links) trifft sich einmal wöchentlich mit Vertretern des Bauausschusses in Bensberg / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Markus Ernst: Das Bistum als Bauherr hat eine Struktur, die für die Zusammenarbeit sehr gut und hilfreich ist. Die Aufgabe des Auftraggebers ist ja, Programm und Aufgabenstellung zu benennen. Innerhalb dieser klar umrissenen Aufgabe gibt es dann aber viele Freiheiten. Bei einem geplanten Kita-Bau oder einem Gemeindezentrum gibt es zunächst einmal keinerlei Einschränkung. Immerhin führt man bei einem Bauvorhaben viele Gespräche miteinander und erfährt, was der andere sich vorstellt. Diese Zusammenarbeit erlebe ich als höchst qualitätvoll und beispielhaft. Grundsätzlich ist Bauen ja Vertrauenssache.

Wenn wir uns nicht an einer Ausschreibung bzw. einem Wettbewerb beteiligt haben, wo wir unter Berücksichtigung aller Vorgaben und Wünsche einen konkreten Entwurf einreichen, kommt zunächst aus der betreffenden Gemeinde und vom Bistum die Aufgabenstellung. Als Planer bringen wir dann einen Entwurf ein, der früh besprochen wird und der dann von Mal zu Mal weiterentwickelt wird. Aus anfänglichen Skizzen entsteht ein Dialog mit Arbeitsergebnissen in kleinen Schritten, damit bei einem solchen Prozess auch jeder mitgenommen wird.

DOMRADIO.DE: In den Gemeinden sind es oft ehrenamtliche Mitarbeiter im Bauausschuss des Kirchenvorstandes, die für Sie Ansprechpartner vor Ort sind; Menschen – nicht unbedingt immer mit einer fachlichen Expertise – die viel Zeit in den Umbau oder in die Restaurierung ihrer Kirche oder ihres Pfarrzentrums stecken. Wie läuft so etwas ab?

Max Ernst: In der Regel treffen wir uns mit den Vertretern des Bau-Ausschuss einmal pro Woche für etwa zwei Stunden auf der Baustelle. Dieser Jour fixe dient zur Aufrechterhaltung der Kommunikation und engen Abstimmung. Als Architekt bin ich gleichzeitig Moderator dieser Treffen und verschriftliche im Anschluss dazu ein Protokoll. Eine solche Struktur ist wichtig und hat sich bewährt. Die Gemeinde ist der Bauherr und ruft bei uns das Know how ab, weil wir auf dem Gebiet des Kirchenbaus einfach viel Erfahrung haben: Zum Beispiel wissen wir, wo Denkmalfördermittel abgerufen werden können und welche Anträge beim Land, welche beim Bund dafür gestellt werden müssen. Oft handelt es sich ja um enorme Finanzvolumina, die für eine Sanierung anfallen. Das braucht nicht zuletzt Transparenz.

Außerdem ist eine Kirchensanierung oder ein Kirchenumbau ein gemeinsames Projekt und als solches letztlich ungemein inspirierend. Da entsteht eine Beziehung auf Zeit, in der wir uns eng an den Bauherrn – also die Kirchengemeinde – binden. Für einen klar definierten Zeitraum sind wir fast wie eine kleine Familie. Wichtig ist, dass man ehrlich miteinander ist und – wie gesagt – einander vertraut. Diese Arbeit mit hochengagierten Menschen, für die ihre Kirche so etwas wie die gute Stube ist, will ich nicht mehr missen.

DOMRADIO.DE: Kunst und Kirche – das war jahrhundertelang ein unverzichtbarer, sich gegenseitig enorm inspirierender Austausch. Doch ganz allmählich verabschiedet sich dieser Dialog aus der Gegenwart, wenn es vorrangig nur noch darum geht, hier ein Erbe aus vorangegangenen Generationen zu bewahren, aber keine neuen Pflöcke mehr zu setzen. Mitunter erblühen zwar von Grund auf sanierte Kirchen zu wunderbaren Leuchttürmen. Aber bis es nach Jahren der Schließung so weit ist, besteht die Gefahr, dass die "lebendigen Steine" weg sind. Wie sehen Sie das? Wie muss der Kirchenbau der Zukunft aussehen?

Markus Ernst, Architekt

"Wie sich der Kirchenbau zukünftig modernen Ansprüchen unter veränderten Rahmenbedingungen anpassen wird, hängt in erster Linie von der Veränderungsbereitschaft der jeweiligen Gemeinde ab."

Markus Ernst: Ergänzend müsste man vielleicht eher die Frage stellen: Wie muss denn Gemeindeleben gestaltet werden, damit die Menschen, die sich abgewandt haben, zurückgewonnen werden können? Schuld haben ja nicht die Gebäude, dass die Menschen weglaufen. Erst in zweiter Linie stellt sich m. E. die Frage nach dem Raum. Dann aber ist klar, dass ich für die Liturgie doch eine besondere Atmosphäre brauche, die mir nicht jeder Raum bietet. Wie sich der Kirchenbau zukünftig modernen Ansprüchen unter veränderten Rahmenbedingungen anpassen wird, hängt in erster Linie von der Veränderungsbereitschaft der jeweiligen Gemeinde ab.

Manche wollen, dass alles so bleibt, wie es ist. Andere machen sich Gedanken und treten in einen offenen Diskurs ein, weil sie einen Schritt weitergehen wollen. Wieder andere experimentieren damit, die Kirche einmal ohne Kirchenbänke völlig frei zu erleben, mobile Stühle nach Bedarf zu stellen, und entwickeln ein ganz neues Konzept für ihr Gotteshaus. In jedem Fall muss bei all dem immer auch die nachfolgende Generation einbezogen werden, soll sie – unter welchen Umständen auch immer – in dieser Kirche dauerhaft zusammenkommen und sich ihr spirituelles Zentrum bewahren wollen.

Max Ernst: Obwohl es ja zunehmend Überlegungen gibt, Kirchen regelmäßig auch für Konzerte, Lesungen und andere Gemeindeveranstaltungen wie ein "Come together" nach dem Gottesdienst zu nutzen – gerade wenn es kein Pfarrheim mehr gibt – wehren sich die Leute umgekehrt mit Händen und Füßen dagegen, ausgerechnet ihre Gottesdienste während einer laufenden Sanierung in weltliche Gebäude auszulagern, da diese ihnen nicht würdig genug erscheinen. Das ist doch hochinteressant und zeigt, wie wichtig den meisten doch bei aller Bewegung, die sich im Moment mit den hohen Austrittszahlen manifestiert, der Kirchenraum ist. Hier gibt es eine starke emotionale Bindung an ein Stück Heimat.

Max Ernst, Architekt

"Für die Gemeinden ist oft sehr schwer, diesen "heiligen Ort" auf unbestimmte Zeit abzuschließen und nicht mehr zugänglich zu machen."

Immer wieder erlebe ich, dass sie bei laufenden Bauarbeiten noch ein "Gebetseckchen" in der Kirche auszuhandeln versuchen, in dem dann die tägliche Frühmesse mit wenigen Besuchern stattfinden oder eine Kerze angezündet werden kann. Für die Gemeinden ist oft sehr schwer, diesen "heiligen Ort" auf unbestimmte Zeit abzuschließen und nicht mehr zugänglich zu machen. Von daher versuchen wir immer, auf die Bedürfnisse einer Gemeinde einzugehen und ganz individuelle Lösungen zu finden. Dafür aber müssen brauchen wir das intensive Gespräch darüber, was gewünscht ist und wie dieser Raum in Zukunft dauerhaft bespielt werden soll.

Das Interview führte Beatrice Tomasetti.

Quelle:
DR