Kinder im Ukraine-Krieg brauchen besondere Unterstützung

Mehr Schutz für die Schwächsten

Wo immer Gewalt, Armut und Hunger herrschen - es sind an erster Stelle die Kinder, die leiden. Auch in der Ukraine und auf Fluchtrouten bestehen für Minderjährige große Gefahren. Nun sind schnelle Maßnahmen gefragt.

Autor/in:
Johannes Senk
Geflüchtete aus der Ukraine am 11. März 2022 vor dem Kölner Hauptbahnhof  / © Adelaide Di Nunzio (KNA)
Geflüchtete aus der Ukraine am 11. März 2022 vor dem Kölner Hauptbahnhof / © Adelaide Di Nunzio ( KNA )

Sie gelten als schwächsten, weil in der Regel wehrlosesten Mitglieder der Gesellschaft. Kommt es irgendwo auf der Welt zu Krieg, sind es oft Kinder, die - obschon unschuldig - die schwersten Konsequenzen tragen müssen. Nach Angaben des Kinderhilfswerks terre des hommes leben derzeit rund 420 Millionen Kinder weltweit in einem Kriegs- oder Konfliktgebiet. Diese Zahl habe sich in den vergangenen 20 Jahren annähernd verdoppelt. Etwa 27 Millionen Kinder könnten aufgrund bewaffneter Kämpfe nicht zur Schule gehen, litten unter Angst, Hunger und Krankheiten.

Bilder von Kindern im Krieg sind zumeist die, die besonders bewegen, besonders brutal erscheinen und das Grauen medial am eindrucksvollsten auffangen. Sie eignen sich deswegen auch dazu, Friedensappelle nachdrücklich zu unterstreichen.

Situation verschlechtert sich in der Ukraine

Papst Franziskus lächelt, Dezember 2021 im Vatikan / © Romano Siciliani (RV)
Papst Franziskus lächelt, Dezember 2021 im Vatikan / © Romano Siciliani ( RV )

So lässt es sich auch aktuell im Krieg in der Ukraine feststellen. Es war sicherlich kein Zufall, dass Papst Franziskus am vergangenen Wochenende äußerst emotional über die Kämpfe sprach, sie als "sinnloses Massaker" bezeichnete, nachdem er zuvor verletzte Kinder aus der Ukraine in der vatikanischen Kinderklinik besucht hatte. Ein Kind habe seinen Arm verloren, beklagte das Kirchenoberhaupt. "Das ist unmenschlich, ein Sakrileg; es ist eine Verletzung der Heiligkeit des Lebens."

Tatsächlich hat sich die Situation für Kinder in der Ukraine in kurzer Zeit rapide verschlechtert. Nach Zahlen von Unicef von Donnerstag sind nun, vier Wochen nach Kriegsbeginn, bereits 4,3 Millionen Kinder vertrieben worden - mehr als die Hälfte der Minderjährigen des Landes. Davon seien rund 1,8 Millionen in Nachbarländer geflohen; 2,5 Millionen suchten innerhalb der Ukraine Schutz.

Gefahr von Kinderhandel

Desweiteren wurden laut UN-Angaben seitdem 78 Kinder getötet und 105 verletzt. Dabei handle es sich aber nur um bestätigte Fälle; die tatsächliche Zahl der Opfer dürfte weit höher liegen. Das UN-Kinderhilfswerk rechne mit Folgen, die sich noch über Generationen auf die Situation für Kinder im Land auswirken könnten.

Hintergrund: Selenskyj ruft zu Widerstand und Durchhalten auf 

Angesichts der zunehmenden Gewalt gegen Zivilisten in der Ukraine hat Präsident Selenskyj seine Landsleute zum Widerstand gegen Russlands Truppen und zum Durchhalten aufgerufen. In einer am Montagabend verbreiteten Videobotschaft appellierte er an die Ukrainer, alles zu tun, um den Staat zu schützen. «Um unser Volk zu retten. Kämpft. Kämpft und helft!» Der in Kiew ausharrende Staatschef rief dazu auf, die «Eindringlinge» zu vertreiben. «Damit die Ukraine lebt, und wir alle gemeinsam mit ihr, frei und in Frieden.»

Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine / © Sergey Starostenko (dpa)
Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine / © Sergey Starostenko ( dpa )

Doch nicht nur im Krieg selbst, auch auf der Flucht bilden Kinder die vulnerabelste Gruppe. Auf den oft gefährlichen Wegen drohe ihnen Vernachlässigung, Missbrauch und Entführung, warnte die Hilfsorganisation SOS Kinderdörfer und rief nachdrücklich zum Schutz unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge aus der Ukraine auf - vor allem vor Kriminellen, die versuchten, aus der Notsituation Kapital zu schlagen: "Insbesondere Mädchen sind in Gefahr, Opfer von Kinderhandel zu werden", erklärte die Vereinsvorständin von SOS-Kinderdörfer, Lanna Idriss.

Ausbeuterische Arbeit bis zur Prostitution

Auch in Deutschland gab es bereits Berichte über kriminelle Banden, die versuchten, an den Bahnhöfen ankommende Frauen und Kinder mit falschen Schutz- und Unterkunftsversprechen anzulocken. Gerieten sie in diese Fänge, drohe ihnen ausbeuterische Arbeit bis hin zur Prostitution. Aktuelle Schätzungen gehen davon, dass rund die Hälfte der bislang rund 235.000 in Deutschland registrieren Flüchtlinge aus der Ukraine minderjährige Kinder und Jugendliche sind.

Für Kriminelle also ein besorgniserregend großer Spielraum. Die Polizei ist alarmiert: An vielen Bahnhöfen hängen inzwischen Plakate oder werden Lautsprecherdurchsagen gemacht, die vor falschen Hilfsangeboten warnen und den Weg zu offiziellen Stellen empfehlen. Zudem hat die Polizei Schutzzonen für Frauen und Minderjährige ins Spiel gebracht, in denen unmittelbar nach der Ankunft eine Erstregistrierung gemacht werden könne, in der dann auch geklärt werde, ob eine Unterkunft organisiert werden müsse. So sollen die Kinder direkt vor Fremdzugriff geschützt werden.

Schnell ins Bildungssystem

Doch ist die Unterstützung der Neuankömmlinge am Bahnhof nur ein erster Schritt von vielen, um den Kindern kurz- und mittelfristig eine Perspektive in Deutschland zu ermöglichen. Von zentraler Bedeutung werde es nun sein, die Kinder möglichst schnell ins Bildungssystem einzugliedern, sagt die Soziologin Juliane Karakayali von der Evangelischen Hochschule in Berlin. Schulen, Kitas oder andere Betreuungsmöglichkeiten müssten hierfür bereitstehen.

Probleme sieht die Expertin jedoch aktuell in der föderalen Struktur der Bundesrepublik, wonach Bildung immer noch den einzelnen Ländern obliegt. Daraus ergäben sich teils gravierende Unterschiede und Komplikationen: Während in Berlin jedes schulpflichtige geflüchtete Kind vom ersten Tag an einen Anspruch auf einen Schulplatz habe, bestehe dieser Anspruch in Bayern oder Baden-Württemberg erst nach drei, in anderen Bundesländern sogar erst nach sechs Monaten. Für Kinder sei so ein halbes Jahr ohne Beschulung "eine sehr, sehr lange Zeit", betonte Karakayali: "Das ist nicht wünschenswert."

Quelle:
KNA