Kardinal Tagle - gehypt, entmachtet, geduldet

Der verlorene "heilige Sohn"?

Schon bei der Papstwahl 2013 soll Luis Tagle von einigen Kardinälen als Nachfolger für Benedikt XVI. gehandelt worden sein. Aber auch ohne weiße Soutane machte der Philippiner Karriere. Neigt sich diese nun ihrem Ende zu?

Autor/in:
Severina Bartonitschek
Kardinal Luis Antonio Tagle, Präsident der Hilfsorganisation Caritas Internationalis, während einer Zusammenkunft von Caritas-Vertretern am 22. November 2022 in Rom. / © Paolo Galosi/Romano Siciliani (KNA)
Kardinal Luis Antonio Tagle, Präsident der Hilfsorganisation Caritas Internationalis, während einer Zusammenkunft von Caritas-Vertretern am 22. November 2022 in Rom. / © Paolo Galosi/Romano Siciliani ( KNA )

Kardinal Luis Tagle galt lange als einer der aussichtsreichsten Kandidaten für den nächsten Papst. Die Beziehung zu Franziskus wird als eng beschrieben. Einst soll ihn der Papst gar, wenn auch im Scherz, als "heiligen Sohn" bezeichnet haben. Seit 2015 Präsident von Caritas Internationalis, holte der Pontifex den Philippiner 2019 ganz nach Rom - als Chef der wichtigen vatikanischen Missionsbehörde. Doch gerade scheinen die Sprossen seiner Karriereleiter morsch und brüchig zu werden.

Caritas internationalis

Caritas Internationalis ist der weltweite Dachverband von Caritas-Hilfsorganisationen der katholischen Kirche. 1951 als Zusammenschluss von 13 Mitgliedern gegründet, gehören ihm inzwischen mehr als 160 nationale Organisationen an, darunter auch die namensähnliche, aber organisatorisch getrennte deutsche Caritas international. Sitz des Verbands ist die Vatikanstadt. Den Kontakt zu den Vereinten Nationen besorgen Vertreter in New York, Genf, Rom und Paris. Eine Aufgabe von Caritas Internationalis ist die Koordination humanitärer Arbeit.

Flagge von Caritas Internationalis auf dem Petersplatz / © Cristian Gennari/Romano Siciliani (KNA)
Flagge von Caritas Internationalis auf dem Petersplatz / © Cristian Gennari/Romano Siciliani ( KNA )

Nun wohnte Tagle seiner eigenen Absetzung in einem Teilbereich seiner Aktivitäten bei, verlas gar selbst sein päpstliches Entlassungsschreiben. Am vergangenen Dienstag entmachtete Franziskus in einem Rundumschlag die gesamte Leitung des Hilfswerk-Dachverbands Caritas Internationalis. "Mit dem Inkrafttreten dieser Maßnahme scheiden die Mitglieder des Vertretungsrates und des Exekutivrates, der Präsident und die Vizepräsidenten, der Generalsekretär, der Schatzmeister und der kirchliche Assistent aus ihren jeweiligen Ämtern aus", heißt es in dem Dekret, dem eine Überprüfung durch ein unabhängiges Gremium vorausgegangen sein soll.

Gründe der überraschenden Entscheidung sollen vor allem in der Personalführung des römischen Generalsekretariats liegen. Gleich mehrfach betonte Tagle am Dienstag, die päpstliche Entscheidung habe nichts mit sexuellen Übergriffen oder finanziellen Unregelmäßigkeiten zu tun. Der Nachrichtenagentur Reuters gegenüber berichteten Insider, Angestellte hätten wegen eines Klimas des Mobbings, der Angst und der "rituellen Demütigung" ihre Arbeitsplätze in der Zentrale verlassen.

"Nur noch" Co-Vize-Chef

Nun soll es der international tätige Berater und Manager Pier Francesco Pinelli richten. Als außerordentlicher Kommissar der Organisation soll er die Verwaltung und die Managementprozesse verbessern. Die Reform soll Tagle begleiten, die Erstellung aktualisierter Statuten und Regeln unterstützen. Eine wichtige Aufgabe oder ein brüderlicher Akt des Papstes zur Gesichtswahrung unter eigentlich Verbündeten? Das wissen nur Franziskus und vielleicht Tagle selbst.

Klar ist, Caritas Internationalis ist nicht die einzige Baustelle, auf der Tagle - einst Erzbischof von Manila - eine Rolle spielt. Der bisherige Präfekt der Missions-Kongregation "Propaganda Fide" ist mit Inkrafttreten der Kurienreform "nur noch" Co-Vize-Chef der neuen Evangelisierungsbehörde - und das bislang noch nicht einmal offiziell bestätigt. Franziskus selbst hat die Leitung des neuen "Superdikasteriums" aus der "Propaganda" und dem Rat für Neuevangelisierung übernommen.

Franziskus nicht zufrieden?

Eigentlich schien der ehemalige Rat optimale Wirkungsstätte für den frommen Philippiner zu sein. Mission gehört zu seinen Hauptanliegen. Über die Videoplattform Youtube erklärt er regelmäßig und ausführlich das Evangelium. Doch in einer der mächtigsten Kurienbehörden geht es eben nicht nur um die Verbreitung des Gotteswortes. Es geht um sehr viel Geld, um viele Immobilien und die Verwaltung von beidem.

Offenbar ist Franziskus auch hier nicht zufrieden. Ende 2021 setzte er einen sogenannten Delegaten in der Verwaltung ein. Der Spanier Benjamin Estevez de Cominges überprüft in dem mächtigen Palazzo unweit der Piazza Spagna die administrative Arbeit der Behörde. Der Laie ist erfahren im Geschäfts- und Finanzmanagement, kennt sich in der Immobilienverwaltung aus.

Karriereleiter wird morsch

Steht hier also der nächste Paukenschlag bevor? De Cominges hatte nun fast ein Jahr Zeit für die Überprüfung. Franziskus hat bislang keinen der zwei möglichen Vize-Präfekten bestätigt. Tagle befindet sich seit einem halben Jahr in einer Art Warteschleife, geht weiterhin seinen täglichen Aufgaben nach. Doch weder der Vatikan noch seine eigene Behörde geben ihm seit Inkrafttreten der Kurienreform einen "Jobtitel". Sogar sein eigener Missionspressedienst "Fides" bezeichnet ihn schlicht als "Kardinal".

In Kürze soll es personelle Ernennungen im päpstlichen Superdikasterium geben. Ob Franziskus die Sprossen in Tagles Karriereleiter dabei wieder verstärkt oder sie gänzlich absägt, bleibt abzuwarten.

Quelle:
KNA