Justitia et Pax findet Gewalt im Krieg zum Teil legitimiert

"Gewalt anwenden, um Gewalt zu beenden"

Dürfen Christen Menschen töten um Menschen zu retten? Rund um den Ukraine-Krieg ist eine heftige Debatte entbrannt. Markus Patenge von Justitia et Pax erläutert die Position der Kirche - und kritisiert unreflektierten Pazifismus.

Solidaritätsdemo für die Ukraine / © Jannis Chavakis (KNA)
Solidaritätsdemo für die Ukraine / © Jannis Chavakis ( KNA )

Die Gegenposition von Margot Käßmann finden Sie hier.

DOMRADIO.DE: Wenn ich auf die rechte Wange geschlagen werde, soll ich meine linke hinhalten, sagt Jesus. Christen treten für den Frieden ein. Warum gilt das nicht im Ukraine-Krieg?

Markus Patenge (privat)

Dr. Markus Patenge (Referent für den Arbeitsbereich Frieden bei der Deutschen Kommission Justitia et Pax): Ich glaube, so pauschal kann man das gar nicht sagen. Natürlich müssen wir als Christen auch im Ukraine-Krieg für den Frieden eintreten, das ist ja vollkommen klar. Es ist auch vollkommen klar, dass es unsere Grundüberzeugung ist, dass ein nachhaltiger und gerechter Friede nur auf den Wegen der Diplomatie, des Gesprächs, des Dialogs erreicht werden kann. Aber es hat leider den Anschein, so wirkt es zumindest auf uns, dass das Putin-Regime hierzu nicht wirklich bereit ist. Und außerdem, wenn wir jetzt konkret auf die Ukraine schauen, müssen wir auch die politische Dimension dieses Konfliktes beachten. Wenn wir dann zum Beispiel als deutsche Kommission Justitia et Pax - die Bischofskonferenz hat sich ja ähnlich geäußert - es für legitim erachten, dass zum Beispiel Waffen geliefert werden, dann eben nicht nur, weil wir das Selbstverteidigungsrecht der Ukraine ernst nehmen, sondern weil wir davon überzeugt sind, dass in der Ukraine auch unsere europäische Werte- und Friedensordnung, ja sogar das ganze Völkerrecht verteidigt wird. Und deswegen ist es, glaube ich, legitim hier um den Frieden zu sichern, auch Waffen zu liefern.

DOMRADIO.DE: Früher haben wir als katholische Kirche Waffen gesegnet und vom gerechten Krieg gesprochen. Was hat sich da geändert?

Patenge: Es ist ein Missverständnis, wenn wir die Friedenslehre als einen überzeitlichen, festen Block verstehen. Die gesamte Kirche hat in der Sozial- und Friedenslehre einen enormen Lernprozess durchgemacht. Und ich glaube, in Bezug auf den gerechten Krieg und auf die Lehre vom gerechten Krieg können wir von einem doppelten Lernprozess reden. Zum einen mussten wir das Missverständnis ausräumen, dass die Lehre vom gerechten Krieg dazu dient, Gewalt zu legitimieren. Das ist falsch. Die Intention dieser Lehre war es, Gewalt einzudämmen. Und der zweite Lernprozess ist, dass Krieg in welcher Form auch immer, ein Totalversagen der Menschheit ist. Er widerspricht dem Willen Gottes und deswegen darf er niemals religiös legitimiert werden.

Markus Patenge

"Die katholische Kirche nimmt eben auch ernst, dass es die Realität von Gewalt gibt. Und das können wir nicht einfach ignorieren."

Aber die katholische Kirche nimmt eben auch ernst, dass es die Realität von Gewalt gibt. Und das können wir nicht einfach ignorieren. Und deswegen müssen wir sagen, es gibt Situationen, in denen es legitim ist, Gewalt anzuwenden, um Gewalt zu beenden. Ich glaube, das ist der wichtige Punkt.

DOMRADIO.DE: Die evangelische Theologin Margot Käßmann sagt, Pazifismus war in Konflikten immer schon schwieriger zu verteidigen, aber wir Christen sollen eben zum Grundsatz des Friedens stehen, auch wenn es schwer fällt, da das eben unsere Überzeugung ist. Was entgegnen Sie?

Patenge: Zunächst einmal würde ich Frau Käßmann absolut zustimmen. Dass für uns Christen der Friede das oberste Gebot ist, das ist unbestreitbar. Und ich denke da zum Beispiel an das Zweite Vatikanische Konzil, das allen Soldatinnen und Soldaten ans Herz gelegt hat, sich als Diener des Friedens zu verstehen. Ich glaube, das ist ein ganz wichtiges Paradigma. Und doch würde ich hier rückfragen, ob die Frage der Gewalt, das Phänomen der Gewalt wirklich ernst genommen wird. Schauen wir uns den Zweiten Weltkrieg an, den Holocaust. Er wurde durch militärische Mittel beendet und wir kennen in der Geschichte viele Situationen, in denen militärisches Eingreifen nötig war, um weiteres Unrecht abzuwenden.

Markus Patenge

"Es geht nicht darum, den Pazifismus zu verteidigen, sondern es geht darum, Menschen zu verteidigen."

Aber ich glaube, man muss es wirklich sehr deutlich sagen: Aus der Perspektive der katholischen Friedenslehre ist Gewalt natürlich stets ein Übel und niemand tut sich leicht damit, diese zu rechtfertigen. Aber wir haben aus den Erfahrungen der beiden Weltkriege eben gelernt, vor allem die internationale Staatengemeinschaft hat gelernt, dass das kein gangbarer Weg mehr ist. Wir haben das Gewaltverbot im Völkerrecht. Und gerade um dieses Gewaltverbot, um das Völkerrecht, um die rechtliche Absicherung der internationalen Beziehungen zu schützen, müssen wir uns darauf einlassen, dass nicht wieder das Recht des Stärkeren greift. Und da müssen wir bereit sein, in diesen Fällen klar zu bezeugen, dass solche Methoden, Kriege, militärische Mittel nicht zum Ziel führen. Und letztlich wäre, glaube ich, meine Entgegnung an Frau Käßmann, dass es den Christen nicht darum geht, den Pazifismus zu verteidigen, sondern es geht darum, Menschen zu verteidigen. Und das ist der entscheidende Punkt.

DOMRADIO.DE: Mit Waffenlieferungen nehmen wir ja in Kauf, dass unsere Waffen Menschen töten. Damit brechen wir doch explizit eines der zehn Gebote. Wo ist da die Grenze? Gelten die Gebote nur wenn es uns passt?

Patenge: Da stimmt natürlich die zehn Gebote gelten für uns und als Grundordnung im Grunde für alle Menschen universal. Aber ich glaube, es lohnt sich, wenn wir hier exakt uns noch mal wirklich das fünfte Gebot anschauen. Im Wortlaut heißt es ja nicht: "Du sollst nicht töten", sondern "Du sollst nicht morden". Da ist natürlich die große Frage: Was verstehen wir dann unter Mord? In der Tradition der katholischen Kirche wurde das so definiert, dass jede direkte Tötung eines Unschuldigen verboten ist. Und daraus leiten sich schon auch Ausnahmen vom Tötungsverbot ab, weil eben nicht jede Tötung eine direkte Tötung eines Unschuldigen ist.

Das heißt, in Notwehrsituationen oder eben im Verteidigungskrieg ist als letzte Möglichkeit die Tötung erlaubt. Von daher würde ich sagen, die Grenze wird da überschritten, wo aus der Verteidigung ein Angriff wird. Das ist die fundamentale Grenze, die dann auch einen Bruch des fünften Gebotes implizieren würde.

DOMRADIO.DE: Machen wir uns im Gegenzug nicht auch durch Unterlassung mitschuldig? Also wenn wir wegschauen und zulassen, dass Menschen durch russische Raketen umgebracht werden?

Patenge: Vollkommen richtig. Ich fand in diesem Zusammenhang ein Interview von Bischof Kohlgraf, dem Präsidenten von Pax Christi, sehr interessant. Relativ zu Beginn des Krieges hat er ein Interview gegeben und dort von einem friedensethischen Dilemma gesprochen. Und ich glaube, das stimmt wirklich. Und ich stimme dem aus vollem Herzen zu. Wenn wir es mit Gewalt zu tun haben, stehen wir immer vor diesem Dilemma. Und Dilemma bedeutet doch, dass es in diesen Situationen keine Handlungsoptionen gibt, die entweder vollkommen richtig oder vollkommen falsch ist. Und das bedeutet auch, dass wir uns, egal wie wir uns entscheiden, ob wir jetzt pro Waffenlieferungen sind oder contra Waffenlieferungen, immer auch ein gewisses Maß an Schuld auf uns laden.

Markus Patenge

"Wenn wir Waffen liefern, machen wir uns mitschuldig an der Tötung von Menschen. Wenn wir es nicht tun, aber auch."

Wenn wir Waffen liefern, machen wir uns mitschuldig an der Tötung von Menschen. Wenn wir es nicht tun, aber auch. Und hier ist die Ethik ganz klar, dass eben auch ein Nichtstun schuldig machen kann. Und das ist ja das ganze Problem der Gewalt, dass es hier einfach keine einfachen Antworten gibt, dass jede Handlungsoption gewissermaßen mit Schuld behaftet ist.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.

Quelle:
DR
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