DOMRADIO.DE: Frau M´Barek, Sie sagen, für die Empathie sieht es in unserer Gesellschaft gerade schlecht aus. Was für ein Problem haben wir denn mit der Empathie?
Yasmine M´Barek (Journalistin und Autorin des Buches “I feel you“): Ich glaube, dass es gar nicht zu viel oder zu wenig Empathie gibt, sondern dass die Leute die falsche Erwartung an die Empathie haben. Das ist oft ein Buzzword, das man gerade in politischen Reihen in die Debatte wirft.
Oder wenn man verärgert ist, sagt man oft, dass alles besser werden würde, wenn wir alle ein bisschen empathischer wären. Aber viele von uns, glaube ich, wissen gar nicht genau, was sie von der Empathie erwarten. Wenn man eine falsche Vorstellung hat, dann ist es auch sehr, sehr schwierig, irgendein Resultat von der Empathie zu bekommen.
DOMRADIO.DE: Ein gutes Beispiel ist dafür die Stelle in Ihrem Buch mit Bischöfin Mariann Edgar Budde. Sie hat die Predigt zum zweiten Amtsantritt vor Donald Trump gehalten und um Barmherzigkeit für Migranten und auch die queere Community gebeten. Das war ja quasi der gute Part, der empathische. Wer hat da direkt im Anschluss den schlechten oder eher unempathischen Part übernommen?
Yasmine M´Barek: Die Bischöfin hat ja versucht, Donald Trump, auch wenn sie politisch nicht auf einer Linie mit ihm ist, empathisch zu begegnen. Das hat nicht funktioniert. Auf ihre Ansage haben Vance und Trump in der ersten Reihe abschätzig geschaut, sie haben nicht darauf reagiert und fanden das von ihr total anmaßend, dass sie um Barmherzigkeit in einer Kirche bittet.
Das war natürlich äußerst unempathisch von den beiden Herren und zeigt, dass man, auch, wenn man Menschen nett und empathisch begegnet, nicht unbedingt immer Empathie zurückbekommt.
DOMRADIO.DE: Ein Grund dafür ist, dass wir abstumpfen durch die Dinge, die in der Welt passieren. Was würden Sie sagen, wie gefährlich ist denn Empathielosigkeit? Im Buch geht es auch um den Zusammenhang mit der AfD und jungen rechten Männern.
Yasmine M´Barek: Wenn wir in der Politik Gruppen begegnen, die wir vielleicht für moralisch nicht richtig halten, in dem Fall jetzt die AfD, passiert es oft, dass man belehrend ist oder mit diesen Menschen gar keine Empathie haben möchte. Beispielsweise weil man denkt, dass man gar nicht mit jemandem sprechen möchte, der eine demokratiefeindliche Partei unterstützt.
Das Problem daran ist: Wenn dann die Zahlen steigen und Mehrheitsverhältnisse entstehen, leiden oft queere Menschen, Menschen mit Behinderungen oder Migranten, weil sie als Erste von dieser Politik betroffen sind. Das heißt, eigentlich ist es die Aufgabe einer Gesellschaft und auch zum Beispiel von Journalisten oder der Politik, zu verstehen, warum diese Menschen rechts wählen.
Empathie kann also auch etwas Rationales haben; das nennt man “kognitive Empathie“. Dabei geht es darum, dass man einfach nachvollziehen kann, warum das jemand sagt.
Ein klassisches Beispiel vielleicht: Jemand aus Ostdeutschland sagt, seine Miete sei zu teuer oder er bekomme keinen guten Job mehr. Er hat vorher die SPD gewählt, aber er hat sich irgendwie vergessen gefühlt und dann AfD gewählt. Ich kann jetzt sagen, dass ich das nicht verstehen kann, wie man dann eine menschenfeindliche Partei wählt. Aber rational kann ich es nachvollziehen und vielleicht kann ich da ansetzen. Das sorgt einfach dafür, dass man mehr ins Gespräch mit Menschen kommen kann und sie vielleicht auch wieder für die Demokratie begeistern kann.
DOMRADIO.DE: Es gibt ja auch einen Lichtblick, denn Empathie kann man erlernen, nicht wahr?
Yasmine M´Barek: Total! Empathie ist überhaupt nichts, womit man geboren wird. Es gibt Menschen, die vielleicht durch die Sozialisierung etwas empathischer sind. Aber es geht wirklich darum, nur den ersten Schritt zu gehen. Besonders in dem Moment, wenn man das Gefühl hat, dass man die andere Person nicht versteht, oder es auch gar nicht will.
Genau dann geht es darum, zu versuchen, die Beweggründe einer anderen Person nachzuvollziehen, sich in die Person hineinzuversetzen. Das kann man immer üben. Vielleicht mit dem Onkel, mit dem man sich an Weihnachten streitet und nicht die gleiche Meinung hat, oder mit der Kollegin. Es gibt also ganz viele Orte, an denen man einfach immer wieder versuchen kann, die andere Perspektive nachzuvollziehen, ohne sich selbst in den Vordergrund zu stellen.
DOMRADIO.DE: Ihr Buch trägt den Titel “I Feel You“. Das ist schon beinahe eine Redewendung, denn viele junge Leute nutzen diese Aussage. Warum haben Sie sich für diesen Titel entschieden?
Yasmine M´Barek: Dieses “Ich fühle dich“ ist ja etwas, was wir oft hören und dabei denken, dass wir uns miteinander solidarisieren. Wenn jemand etwas erzählt, wischen wir ganz schnell diese Emotionen weg und sagen: Das fühle ich total. Deswegen fand ich diesen Titel total interessant, denn genau das soll Empathie eigentlich nicht, dass wir mit unseren eigenen Erfahrungen drüberwischen über das, was die andere Person erzählt und es dann so schnell vorbei ist.
Das "I feel you" ist nämlich viel größer, viel vielschichtiger. Deswegen dachte ich, diesen Impuls, zu sagen, ´ach, das fühle ich voll´, den kennen alle. Und was sozusagen dahintersteckt, das kann man dann weiterlesen in meinem Buch.
DOMRADIO.DE: Man kann sagen, dass man sich hineinversetzen kann, aber im Endeffekt kann man ja nie haargenau mitfühlen zu dem, was die Person erlebt hat oder wirklich fühlt, richtig?
Yasmine M´Barek: Genau. Empathie hat auch nie diesen Anspruch. Es gibt natürlich manchmal auch ähnliche Situationen, die man erlebt hat, beispielsweise bei Trauer, wenn man jemanden verloren hat. Da kann man schon mit anderen exakt nachempfinden.
Aber man hat ja nie exakt die gleiche Situation und ich könnte jetzt auch niemals die Perspektive eines schwarzen Mannes oder eines jüdischen Mannes verstehen, weil ich es einfach nicht bin. Das heißt, es geht eher darum, zu versuchen, mit den Emotionen, die da sind, in Erklärungen nachzuempfinden, was die andere Person erlebt.
DOMRADIO.DE: Zuletzt haben Sie gesagt, Kritik und Empathie können koexistieren und dafür nennen Sie das Beispiel von Gott und Lucifer.
Yasmine M´Barek: Ja, das ist natürlich ein sehr zugespitztes Beispiel, aber ich habe mich bei der Geschichte vom gefallenen Engel Lucifer und seinem Zerwürfnis mit Gott gefragt: Was ist die Perspektive von Lucifer? Nicht, dass ich das Böse verteidigen möchte, sondern ganz plakativ: Was ist genau die Emotion und das Empfinden auf dieser Seite gewesen?
Und dieses harte Beispiel kann man dann auch auf vieles im echten Leben anwenden. Gerade für Positionen, bei denen man denkt, dass man das einfach nicht nachvollziehen möchte. Das ist auch okay. Manchmal möchte man es einfach nicht. Aber oft lohnt es sich, um Dinge besser zu verstehen oder Dinge zu lösen.
Das Interview führte Lara Burghardt.