Jesuiten-Flüchtlingsdienst: Deutschland kann deutlich mehr Syrer aufnehmen

Die Liebe zum Fremden

Die Aufnahme von 5000 syrischen Flüchtlingen in Deutschland geht dem Jesuiten-Flüchtlingsdienst nicht weit genug. "Wir können durchaus im Hunderttausender Bereich Leute aufnehmen, ohne dass es an die Grenzen geht", sagt P. Frido Pflüger im domradio.

Ankunft in Deutschland (dpa)
Ankunft in Deutschland / ( dpa )

domradio.de: Meinen Sie denn, dass Deutschland wesentlich mehr Flüchtlinge aus Syrien aufnehmen soll?

Pater Frido Pflüger SJ (Direktor des deutschen Jesuiten-Flüchtlingsdienst): Ja, da bin ich ganz überzeugt davon, weil die Zahl 5000 ist nicht sehr groß. Es klingt zunächst sehr groß, aber wir müssen es in der Relation sehen, dass es jetzt ungefähr zwei Millionen syrische Flüchtlinge insgesamt gibt und vier Millionen Menschen sind Flüchtlinge im eigenen Land. Die Nachbarländer, die ja praktisch den größten Teil der syrischen Flüchtlinge aufnehmen, sind vollkommen überlastet durch diese riesige Zahl. Der Libanon hat ca. 500.000 Leute aufgenommen, das ist ein kleines Land und muss ja damit auch zurechtkommen. Wir sprechen von  5000 und das ist ein richtiges Gezerre bis man diese 5000 unterbringt, das erschwert natürlich die Aufnahme der Leute.

domradio.de: Wenn Sie sagen, mehr Flüchtlinge sollen in Deutschland aufgenommen werden - Welche Größenordnung stellen Sie sich denn vor?

Pflüger: In der Zeit des Bosnienkrieges ´92/´93 hat Deutschland 400.000 Leute aufgenommen. Das war natürlich schon problematisch, aber das hat uns nicht an den Rand des Abgrunds geführt. Das wäre jetzt vermessen zu sagen, wir nehmen jetzt 400.000 Menschen auf. Aber ich denke, wir können durchaus im Hunderttausender Bereich Leute aufnehmen, ohne dass es an die Grenzen geht.

domradio.de: Wie ist denn so etwas logistisch überhaupt möglich? Es gibt ja schon Stimmen, die sagen, mit 5000 seien die Flüchtlingsheime schon überfüllt.

Pflüger: Das Problem ist natürlich, dass wir in den letzten Jahren als die Zahlen sehr niedrig waren, alles, was da war, abgebaut haben. Wir reißen ja sogar Wohnraum ab. Da müssten wir auch mal überlegen, ob nicht in so einer Situation, wo diese Not herrscht, so eine Vorgehensweise sinnvoll ist. Dann müsste man überlegen, wie kann man auch relativ schnell Notlager erstellen. Ich denke, die Situation der Flüchtlinge in den benachbarten Ländern im Libanon, in Jordanien, in der Türkei ist so schrecklich, dass sie gar nicht mehr nachkommen, überhaupt würdige Unterkünfte zur Verfügung zu stellen. Da geht es ja drunter und drüber. Das heißt, Notsituationen, die wir dann in Deutschland hätten, wären noch immer erträglicher als diese schrecklichen Situationen in Syrien selber oder zum Teil auch in den benachbarten Ländern.

domradio.de: Aber natürlich würde die Situation weit hinterherhinken hinter dem Anspruch, den wir uns selbst zum Beispiel im Punkt der Unterkunft stellen, oder?

Pflüger: Natürlich würde sie hinterherhinken, aber wenn es um die Frage des Lebens und Überlebens geht, dann muss ich doch zunächst einmal eine Notlösung finden und erst dann nach einem höheren Standort suchen. Ich habe viel Erfahrung aus Afrika, wenn dann auf einmal 400.000-500.000 Flüchtlinge da waren, da war halt auch zunächst das Wichtigste, dass sie ein Zelt über dem Kopf hatten. Wenn dann die Wasserversorgung nur fünf Liter pro Tag betrug, dann waren das zunächst auch nur fünf Liter und nicht 15 Liter wie vorgesehen. Das sind dann Situationen, die man anstreben muss, aber wir können ja nicht sagen, nur weil wir das jetzt nicht hinkriegen, musst Du in der Kriegssituation bleiben und Dein Leben gefährden.

domradio.de: In Berlin-Hellersdorf haben wir ja gesehen, welche Probleme manche Menschen in Deutschland haben, wenn es darum geht, nur wenige Flüchtlinge aufzunehmen. Was wäre denn der Effekt, wenn wir jetzt noch viel mehr Flüchtlinge aufnehmen würden?

Pflüger: Ich denke schon, dass das große Probleme mitbringen würde, in manchen Bevölkerungskreisen auf jeden Fall, aber ich frage mich natürlich, wir haben auf jeden Fall unsere christliche Kultur doch noch in einem sehr großen Ausmaß, wo wir uns immer darauf berufen und die verlangt auch von uns die Liebe zum Nächsten und die Liebe zum Fernsten. Und vor allem auch die Liebe zum Fremden und die Liebe vor allem zu dem, der in der Notlage ist. Ich denke, da können wir uns nicht einfach davon stehlen aus dieser Verantwortung, da muss natürlich ein offener Dialog her, der fehlt manchmal und die Leute sind dann auch überrascht, dass dann auf einmal Asylsuchende da sind. Ich glaube, dass kann man aber auch rechtzeitig im Dialog steuern und verständlich machen und wir müssen auch klar sehen: Ein ganz großer Teil dieser Leute will ja nicht auf ewig in Deutschland bleiben. Das sind ja für ganz viele auch nur vorrübergehende Zustände. Wir denken ja schon sicher, dass der Friede in Syrien auch wieder einmal kommen wird, so dass die Syrer in Syrien würdig und gut leben können.

Das Interview führte Christian Schlegel


Flüchtlingslager in der Türkei (dpa)
Flüchtlingslager in der Türkei / ( dpa )
Quelle:
DR