Jenseitsversprechungen für gefallene Soldaten

Der Tod im Krieg als Freifahrschein ins Paradies?

Süß und ehrenvoll ist es, für das Vaterland zu sterben, schrieb der römische Dichter Horaz. Aber Religionen bieten durchaus noch weitere Versprechungen an – das Paradies betreffend.

Autor/in:
Christiane Laudage
Symbolbild Friedhof für gefallene Soldaten / © Dawid K Photography (shutterstock)
Symbolbild Friedhof für gefallene Soldaten / © Dawid K Photography ( shutterstock )

Der russische Patriarch Kyrill I. hat den Soldaten, die im Krieg gegen die Ukraine fallen, am Wochenende versprochen, dass ihnen all ihre Sünden vergeben würden. Er betonte zugleich, die Kirche wisse, dass jene, die bei der Erfüllung ihrer militärischen Pflichten sterben, sich für andere aufopfern. "Und deshalb glauben wir, dass dieses Opfer alle Sünden abwäscht, die ein Mensch begangen hat", so der Patriarch.

Ablass

Der Ablass (lateinisch "indulgentia") ist ein Nachlass zeitlicher Bußstrafen für die Sünden, die man gebeichtet hat und die hinsichtlich der Schuld schon vergeben sind. Entstanden aus verschiedenen Elementen des spätantiken und frühmittelalterlichen Bußwesens, stellt er eine besondere Form des Umgangs mit dem Büßer dar, die nur die katholische Kirche kennt.

Ablasstruhe aus dem 16. Jahrhundert (KNA)
Ablasstruhe aus dem 16. Jahrhundert / ( KNA )

Dieses Versprechen kommt bekannt vor. Hatte nicht schon die katholische Kirche vor über 900 Jahren den Menschen angekündigt, dass ihnen, wenn sie sich am Kreuzzug zur Wiedereroberung Jerusalems und des Heiligen Landes beteiligten, die Sünden vergeben würden? Was Papst Urban II. 1095 bei der Synode von Clermont in Frankreich anbot, war sowohl ein geistliches Versprechen wie auch ein Deal: Ihr zieht mit nach Jerusalem – und dafür braucht ihr für eure Sünden keine Bußstrafen abzuleisten. Dieses Versprechen ging als "Kreuzzugsablass" in die Geschichte ein.

Ablass in der orthodoxen Kirche unbekannt

Der russisch-orthodoxe Patriarch Kyrill bietet den Soldaten also ein Jenseitsversprechen für den Fall ihres Todes an, das schwer nach Kreuzzugsablass klingt. Allerdings: Die orthodoxe Kirche kennt das Instrument der Ablässe gar nicht. Denn als die katholische Kirche in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts den Gedanken der Kreuzzüge entwickelte, war bereits die Trennung von der orthodoxen Kirche vollzogen.

Doch: Die Vorstellung von Kreuzfahrern, ihren Zielen und der Belohnung für ihren Einsatz haben sich jenseits des theologischen und historischen Kontexts breit ins allgemeine Bewusstsein gegraben – und ist breit abrufbar. Tatsächlich bedient sich der russisch-orthodoxe Patriarch an Konzepten, wie man sie im Kontext der Kreuzzüge kennt. Kyrill betete am Sonntag auch um Gottes Beistand und den Sieg über Feinde, die das Volk der sogenannten Heiligen Rus "spalten und vernichten" wollten.

Kreuzzugsablässe an Tod des Kriegers gekoppelt

Auch Georg Strack, Professor für mittelalterliche Geschichte an der Universität Marburg und Autor eines gerade veröffentlichten Buches über politische Ansprachen mittelalterlicher Päpste, hat die Bemerkungen Kyrills mit dem Jenseitsversprechen interessiert zur Kenntnis genommen. Er sagte der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) auf Anfrage, die Kreuzzugsablässe im 11. und 12. Jahrhundert wären in ihrer "sicheren Variante" an den Tod des Kriegers gekoppelt gewesen.

Strack verweist auf Fulcher von Chartres, den wichtigsten Geschichtsschreiber des Ersten Kreuzzugs (1096-1099), der dekretierte: Wer sich ins Heilige Land aufmache und auf dem Weg oder im Kampf gegen die Heiden sterbe, erhalte einen Ablass, was Gott selbst legitimiert habe.

Krieg gegen die Ungläubigen

Auch im Islam gibt es die Idee, dass im Krieg gefallene Soldaten eine Belohnung erwartet. "Haltet diejenigen, die auf dem Wege Gottes getötet wurden, nicht für tot. Sie sind vielmehr bei ihrem Herrn, und sie werden versorgt und sie freuen sich über das, was Gott ihnen von seiner Huld zukommen lässt", heißt es im Koran (Sure 3, 169f.) Mit der Formulierung "auf dem Wege Gottes" ist der Dschihad gemeint, also der Krieg gegen die Ungläubigen.

Historiker Strack vermutet, dass Papst Urban II. schon vor seiner Geschichte machenden Rede in Clermont (November 1095) mit diesen Ideen aus dem Islam vertraut war. Denn bevor der Erste Kreuzzug ins Heilige Land startete, hätten die Päpste eigentlich die Spanische Halbinsel im Blick gehabt, die damals in weiten Teilen zum muslimischen Machtbereich gehörte. Strack sagt, Urban sei über Bittsteller aus Spanien über die Lage dort informiert worden.

Freifahrschein ins Paradies

Der englische Historiker Robert Swanson bezeichnet mittelalterliche Ablässe als "passport to paradise", als Freifahrschein ins Paradies; denn sie höben jene Strafen auf, die man für seine Sünden ableisten müsse. Der Tod im Krieg als direkter Weg ins Paradies: Ist es das, was der russisch-orthodoxe Patriarch versprach?

Das Paradies wird gerne als Belohnung für gefallene Krieger ausgelobt. In Zusammenhang mit dem islamischen Terrorismus wurde den "Märtyrern" noch viel mehr versprochen: 72 Jungfrauen, die dort warteten. Es soll also nicht nur ehrenvoll sein, für das Vaterland zu sterben; eine süße Belohnung sollte auch dabei sein.

Quelle:
KNA