Irakische Flüchtlinge bringen Bewegung in die Eingliederung

Turbo-Integration

Seit die Sommerferien vorbei sind, hat auch für die irakischen Flüchtlingskinderendlich wieder die Schule begonnen. Dass sie kein einziges Wort ihrer Lehrer und Mitschüler verstehen, soll sich schnell ändern. Rasche Integration ist angesagt - mit einer Art Turbo-Integrationsprogramm.

Autor/in:
Karin Wollschläger
 (DR)

Insgesamt will Deutschland bis Ende des Jahres 2.500 Iraker aus Flüchtlingslagern in Syrien und Jordanien aufnehmen und garantiert ihnen - das ist die Besonderheit - aufgrund ihrer Notlage ein unbefristetes Aufenthaltsrecht.

Rasche Integration ist daher von der Bundesregierung als Parole an Länder und Kommunen ausgegeben worden. Die Iraker sollen zügig in Deutschland heimisch werden - deutsch lernen, eine Wohnung beziehen und einen Job bekommen. Erster Schritt des Turbo-Integrationsprogramms ist, dass die Flüchtlinge möglichst nach zwei Wochen bereits vom zentralen Aufnahmelager in Friedland bei Göttingen in ihre zukünftigen Wohnorte "verlegt" werden. Lediglich Niedersachsen, Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern haben entschieden, dass die ihnen zugeteilten Iraker zunächst drei Monate in Friedland bleiben, um dort den ersten Teil des für alle vorgesehenen umfangreichen Sprach- und Orientierungskurses zu absolvieren.

"Sie wollen möglichst schnell auf eigenen Beinen stehen"
Heinrich Hörnschemeyer, Leiter des Grenzdurchgangslagers in Friedland, ist beeindruckt von der Motivation der Flüchtlinge in den Integrationskursen: "Sie wollen möglichst schnell auf eigenen Beinen stehen und wissen, dass Sprache der Schlüssel dazu ist." Den Irakern sei klar, dass jetzt ein neuer Lebensabschnitt begonnen habe, dass es kein Zurück gebe. Täglich drücken sie nun alle die Schulbank. Für die Kinder und Jugendlichen gibt es ein eigenes Programm, die Kleinkinder betreuen arabisch sprechende Erzieherinnen.

Im Aufnahmelager in Berlin-Marienfelde, wohin knapp 50 Iraker weitergereist sind, bieten Caritas und Diakonie Beratung und Hilfe an. Doch sie kommen nur bedingt an die neuen Flüchtlinge heran. "Es gibt einfach ein riesiges Sprachproblem und die Betroffenen gehen daher lieber zum irakischen Kulturverein, der sich hier auch um die Neuen kümmert", berichtet Maria Lewandowski vom Caritasverband Berlin. Allerdings habe der Kulturverein nur bedingt Erfahrungen im Umgang etwa mit Anträgen beim Jobcenter, der Vorbereitung von Mietverträgen oder der Beantragung von Sozialhilfe. Alles grundlegende Dinge für die Integration. "Ideal wäre, wenn die Wohlfahrtsverbände, die Heimleitung Marienfelde und der Kulturverein an einen Tisch kämen, um gemeinsam ein Konzept zu erarbeiten", so Lewandowski.

Wille zur Zusammenarbeit ist bei allen groß
In Nordrhein-Westfalen ist ein solcher Runder Tisch bereits Realität
- mit Vertretern von Wohlfahrtsverbänden, Kirchen und vom eigens von der Landesregierung eingerichteten Kompetenzzentrum. Im Zuge dessen entstand beispielsweise in Essen das Projekt der "Migrationslotsen".
Diese betreuen die Neuankömmlinge intensiv: stellen Kontakte her, besorgen Wohnungen, helfen bei der Vermittlung in die Integrationskurse, in Schulen, Kindergärten, gehen mit zur Arbeitsagentur, zum Arzt, zu Behörden. "Klar, diese Flüchtlinge haben festen Anspruch auf Sprachkurse, Arbeit und Wohnung - aber alleine sind sie damit vollkommen überfordert", berichtet der Pressesprecher des Caritasverbands Essen, Rudi Löffelsend. Ihm zufolge ist jetzt etwas angestoßen, was schon lange notwendig war:  "Durch das Resettlement-Programm ist der Wille zur Zusammenarbeit bei allen groß und hat erstmals vernünftige Form angenommen."

Ähnliche die Erfahrung von Monika Steinhauser vom Münchner
Flüchtlingsrat: "Es ist verblüffend, wie entgegenkommend die Behörden auf einmal sind. Wir hoffen, dass das auch auf den Umgang mit anderen Ausländern abfärbt." In der Bayerischen Landeshauptstadt entstand die Initiative "Save me". Die von der Stadt München finanziell getragene Anlaufstelle vermittelt Paten, die die irakischen "Neu-Bayern" bei Behördengängen und bei der Integration allgemein helfen. Dazu gehören Nachbarschaftshilfen ebenso wie Hausaufgabenbetreuung.

Einen Haken gibt es
Der Rektor der Kiepert-Grundschule in Berlin-Marienfelde, Rainer Bonne, sieht dem Schulbeginn optimistisch entgegen. Bereits vor den Ferien waren knapp zwei Dutzend irakischen Flüchtlingskinder aus dem Aufnahmelager an seine Schule gekommen und haben sich wacker geschlagen. Zunächst kamen sie in eine eigene Förderklasse, um deutsch zu lernen, und dann nach und nach stundenweise am "normalen" Unterricht teilzunehmen. Das klappe ganz gut, so Bonne.

Einen Haken gibt es jedoch: Wenn die irakischen Familien eigene Wohnungen finden - was sie ja möglichst schnell sollen - zerstreuen sich die Kinder in die verschiedensten Stadtteile und damit in andere Schulen, die wahrscheinlich eigenständige Förderklassen "mangels Masse" nicht anbieten können. Bonne rät daher: "Es wäre gut für die Kinder, wenn sie mindesten ein halbes Jahr hier zusammen in der Förderklasse bleiben könnten, bis sie genügend deutsch sprechen, um am normalen Schulunterricht teilzunehmen." Ansonsten könnte die Turbo-Integration auf halber Strecke enden.