Irakflüchtlinge in Deutschland quält die Angst um die Verwandten

"Helft den Menschen zu kommen"

Ende März kamen die ersten Irakflüchtlingen nach Deutschland im Rahmen des "Resettlement"-Programms der Vereinten Nationen. Viele sind verzweifelt und wütend. Sie quält die Angst um ihre Verwandten in der Heimat.

Autor/in:
Johannes Bentrup
 (DR)

Nervös sitzt Nevzat Chahir (Name geändert) am Computer und presst sich Kopfhörer an die Ohren. Tiefe Furchen umgeben seine Augen. Nun kauert er am Tisch und versucht so viele Informationen wie möglich zu erhaschen über die jüngsten Bombenanschläge vor Kirchen im Irak. Verzweifelt, fast wütend sagt er: "Wir sind mit unserer Haut heil herausgekommen. Aber meine Verwandten sind im Irak." Die Sorgen quälen ihn, den Katholiken aus Bagdad. Dabei geht die Freude, hier zu sein, fast unter. Seine Augen glänzen schwach, überlegt formuliert er: "Wir sind sehr dankbar, dass wir hier in Sicherheit leben können."

Ende März kamen Chahir, seine Frau und seine drei Kinder, nach Deutschland. Sie gehören zu den ersten Irakflüchtlingen, die im Rahmen des "Resettlement"-Programms der Vereinten Nationen (UN) nach Deutschland geflogen wurden. Die Bundesrepublik hat sich bereit erklärt, 2.500 besonders schutzwürdigen Flüchtlingen Zuflucht zu gewähren.

Die Chahirs gelangten über Friedland bei Göttingen und Gießen ins hessische Schlüchtern. Insgesamt sind nach Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge mittlerweile 733 Iraker im Rahmen des Programms nach Deutschland gekommen. Darüber hinaus haben 3.168 Iraker im ersten Halbjahr 2009 Asyl in Deutschland beantragt. Sie erreichten Deutschland auf eigene Faust.

Angst vor terroristischen Gruppen
Die Chahirs stammen aus der Millionenmetropole Bagdad. Chahir war Unternehmer und handelte mit Ersatzteilen für Kraftwagen. Doch nach dem Irakkrieg von 2003 nahmen Gewalt und Todesdrohungen gegenüber Christen und anderen Minderheiten zu. Selbst in Deutschland haben sie noch Angst vor terroristischen Gruppen im Irak, die Verwandte entführen könnten und das Land "christenfrei machen wollen".

Die Sammelunterkunft in Schlüchtern, einige große Häuser mit zahlreichen Satellitenschüsseln, liegt inmitten sanfter Hügel und Mais-Felder. Dort leben Menschen mit dreierlei Rechtsstatus: Asylbewerber, geduldete Flüchtlinge und die Irakflüchtlinge. Sie haben mehr Rechte als die anderen Zugewanderten, auch als die Asylbewerber aus dem Irak.

Die "Resettlement"-Flüchtlinge bekommen direkt eine Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung für drei Jahre und monatlich zum Leben den Hartz-VI-Regelsatz in Höhe von 359 Euro, berichtet Claudia Muschler, Sozialpädagogin beim Caritas-Verband für den Main-Kinzig-Kreis. Asylbewerber erhalten dagegen zunächst einen niedrigeren Betrag nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und dürfen meist nicht arbeiten.

"Wir können nur beten, dass ihnen nichts passiert"
"Meine Hoffnung war, in ein Land zu kommen, wo meine Kinder eine gute Ausbildung bekommen", sagt eine der Geflohenen, eine Sunnitin.
Ihr Ehemann ist im Irak verschleppt worden. Sofort präsentiert sie ihren ältesten Sohn, eines ihrer sieben Kinder. Selbstbewusst sagt der 17-Jährige in noch brüchigem Deutsch, dass er Kfz-Mechaniker werden möchte. Sobald wie möglich wolle er eine Ausbildung beginnen.

Chahir sitzt im Flur an einem Gemeinschaftstisch und spricht viel von der Vergangenheit und über die Zukunft seiner Kinder. "Egal, wie viel Deutsch ich lerne, ich werde kaum einen guten Job finden", sagt er, und es ist zu spüren, dass ihn dies noch am wenigsten belastet. Seine Gedanken schweifen ab zu den Verwandten: "Wir können nur beten, dass ihnen nichts passiert." Und: "Helft den Leuten dort, dass sie herkommen können."