Irakische Christen finden als Flüchtlinge in Essen eine neue Heimat

Das "Vater Unser" im Originalton

Die Flucht Zehntausender von Kirgistan nach Usbekistan ist das aktuelleste Beispiel: Für die menschlichen Katastrophen, an die Christen mit Gedenkgottesdiensten zum Weltflüchtlingstag am Sonntag bundesweit erinnerten. Auch in Essen, wo Christen aus dem Irak eine neue Heimat gefunden haben.

Autor/in:
Irene Dänzer-Vanotti
 (DR)

In der Essener Sankt Albertus Magnus Kirche wird das "Vater Unser" im Originalton gesprochen. Chaldäische Christen, die aus dem Irak nach Deutschland flohen, haben im Essener Norden eine neue Heimat in der erst im vergangenen Jahr gegründeten Gemeinde gefunden. Sie beten und singen auf Aramäisch, und das gilt als Muttersprache Jesu. Das katholische Bistum stellte der neuen chaldäisch-katholischen Gemeinde die Kirche zur Verfügung, eines von rund 20 ungenutzten Kirchengebäuden des Bistums.

Im Irak wurden die Mitglieder der chaldäischen Gemeinde verfolgt und schikaniert. Auch ihr Priester Sami Danka wurde in Bagdad entführt. Er hatte jedoch Glück und entkam seinen Peinigern nach einer Woche. "Als Seelsorger hilft es mir, dass ich das gleiche Schicksal erlitten habe wie viele meiner Landsleute", sagt er. Sami Danka leitete das Priesterseminar in Bagdad und ist heute neben der Gemeinde in Essen, der einzigen dieser Art in NRW, für irakische Christen in Bonn und Mönchengladbach zuständig.

Eine Million Menschen mussten den Irak verlassen
2.500 Flüchtlinge aus dem Irak sind im Verlauf eines Jahres im Rahmen einer EU-Vereinbarung nach Deutschland gekommen und als Flüchtlinge anerkannt worden; 545 von ihnen kamen nach NRW. Eine Million Menschen aber mussten den Irak verlassen. Vertreter von Menschenrechtsorganisationen drängen die Bundesregierung, noch mehr Iraker aufzunehmen. Im Irak lebten etwa 400.000 chaldäische Christen. Protestanten waren eine Minderheit von nur wenigen tausend Menschen, die sich meist in Hausgottesdiensten trafen.

Gorgis wendet sich ab und weint. Der 60-jährige Friseur aus Mossul im Nord-Irak erzählt im kleinen Zimmer des Übergangswohnheims in Essen von seinem Sohn. Vor fünf Jahren wurde er entführt, und seither hat die Familie kein Lebenszeichen von ihm erhalten. Christen sind im Irak aus unterschiedlichen Gründen Schikanen ausgesetzt. In der Zeit des Regimes von Saddam Hussein ging es ihnen vergleichsweise gut. Der Diktator hielt seine Hand über der Minderheit, der damalige Außenminister und Vizepremierminister Tariq Aziz ist Christ.

Seit aber 2003 der damalige US-amerikanische Präsident George W. Bush den Krieg gegen den Irak im Namen des christlichen Gottes führte, gelten Christen dort als Verbündete der US-Armee. Da sich viele zudem während des Saddam-Regimes einen gewissen Wohlstand erarbeiteten, sind sie seither verstärkt Opfer von Entführungen und Lösegeld-Erpressungen. "Als muslimische Nachbarn dann auch noch unseren Töchtern drohten, sie zu verletzen, wenn sie nicht zum Islam konvertierten, haben wir das Land Hals über Kopf verlassen", erzählt Gorgis.

Wie Tausende Iraker floh die Familie zunächst nach Syrien. Dort lebten sie als illegale Flüchtlinge, zogen von Versteck zu Versteck, brauchten ihre Ersparnisse auf und lebten von der Unterstützung ihres Sohnes, der schon in Deutschland lebte. Als die Bundesregierung sich im Jahr 2009 bereiterklärte, 2.500 Flüchtlinge aus dem Irak aufzunehmen, vermittelte das Hochkommissariat der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR) der Familie von Gorgis einen der begehrten Plätze. Jetzt leben sie im Übergangswohnheim in Essen-Katernberg.

Als der kraftvolle, grauhaarige Mann sich gefasst und seine Tränen um den entführten und vermutlich getöteten Sohn getrocknet hat, lächelt er wieder. Seine Töchter besuchten die deutsche Schule, er und seine Frau Amira den Deutschkurs, erzählt er. Sie richteten sich auf eine Zukunft in Deutschland ein und wollten sich integrieren. Dabei sei ihnen die chaldäisch-katholische Gemeinde eine Hilfe.

"Ich möchte die Menschen unterstützen"
In der Albertus Magnus Kirche in unmittelbarer Nähe der Zeche Zollverein lernen die Kinder aramäische Gebete und Lieder, Jugendgruppen treffen sich und bei Gemeindefesten gibt es arabische Spezialitäten. Das Bistum Essen hat die Kirche, deren katholische Gemeinde zu klein geworden war, den chaldäisch-katholischen Christen zu Verfügung gestellt. Chaldäische Katholiken sehen ihre Wurzeln im Urchristentum. "Schon kurz nach dem Tod Jesu kamen die ersten Christen ins Zweistromland, den heutigen Irak", sagt Priester Sami Danka. Und die Chaldäer erkennen den Papst an. Damit zählen sie nach vatikanischem Verständnis zur katholischen Kirche.

Danka hofft, dass Deutschland dem Irak beim Aufbau hilft. Seine eigene Zukunft aber sieht er in Essen. Und hier will er auch für die Deutschen beten. "Ich möchte die Menschen unterstützen, dass der Glaube wieder eine größere Rolle in ihrem Leben spielt", sagt er. Mit den Worten "Abwun d'bwaschmaja" beginnt das aramäische "Vater unser". Die Sprache Jesu zu erhalten und in die nächsten Generationen zu führen, ist für alle chaldäischen Christen eine Lebensaufgabe, auch wenn sie in Essen-Katernberg leben.