Im ersten Amtsjahr hat der Berliner Kardinal Woelki viele verblüfft

Gegen "falschen Perfektionismus"

Das Misstrauen war groß. Als Rainer Maria Woelki am 27. August 2011 als neuer katholischer Erzbischof in Berlin antrat, sah er sich manchem Verdacht ausgesetzt. Doch in seinem ersten Amtsjahr hat der hochgewachsene Geistliche mit dem markanten schwarzen Brillengestell alle überrascht, viele sogar verblüfft.

Autor/in:
Gregor Krumpholz
 (DR)

Als Kölner Weihbischof war Woelki zuvor bundesweit so gut wie unbekannt. Aussagen zu politischen Streitfragen gab es nicht in den Archiven. So nahmen Kritiker vor allem sein Promotionsstudium an der römischen Opus-Dei-Universität und Äußerungen zur Homosexualität aufs Korn. Vor allem Sozialdemokraten und Grüne sprachen ihm die Eignung als Bischof einer pluralen Metropole ab.



Nun sind die Kritiker weitgehend verstummt. Als Nachfolger von Kardinal Georg Sterzinsky hat Woelki seinen eigenen Weg gefunden. Schon bei der ersten großen Begegnung mit den Medien parierte er die Attacken mit Bravour. "Das Opus Dei ist nicht meine geistliche Heimat", versicherte er, bescheinigte dem "Werk" aber zugleich "in vielen Bereichen gute Arbeit".



Auch mit Blick auf gleichgeschlechtliche Partnerschaften zeigt Woelki sich ohne Berührungsängste. Von der Position, dass homosexuelle Handlungen "in sich nicht in Ordnung sind", rückt er nicht ab. Dennoch traf er als erster katholischer Bischof in Deutschland offiziell mit Vertretern des Lesben- und Schwulenverbands zusammen.



Generell entzieht sich Woelki einem Rechts-Links-Schema. So verurteilt er neue Bluttests, die das Down-Syndrom bei ungeborenen Kindern aufdecken sollen, als Weg zur Euthanasie. Einer Berliner Theateraufführung mit religiösen Symbolen warf er vor, den christlichen Glauben "durch den Dreck" zu ziehen. In den Feuilletons stieß er damit nicht auf Applaus.



Förderung von Frauen

Vor heißen Kirchenthemen scheut Woelki ebenfalls nicht zurück. So rät er zu einem offeneren Umgang mit geschiedenen Katholiken, die nach einer zweiten zivilen Eheschließung von Sakramenten wie der Eucharistie ausgeschlossen sind. "Wir müssen einen Weg finden - ohne der Lehre Abbruch zu tun -, der Menschen leben lässt", mahnt Woelki. "Heute leiden wir kirchlicherseits vielleicht manchmal an einem falschen Perfektionismus", räumt er ein.



Stark beachtet wird Woelkis Förderung von Frauen. Sie zu kirchlichen Weiheämtern zuzulassen, widerspräche zwar "dem göttlichen Stifterwillen", schränkt er ein. "Die Kirche darf aber kein reiner Männerclub sein", betont er zugleich. Mit Ulrike Kostka im Diözesancaritasverband und Martina Köppen im Katholischen Büro Berlin-Brandenburg, das politische Lobbyarbeit leistet, berief er zwei Frauen in Leitungspositionen, die zuvor Männer innehatten.



Politische Stimme

Als politische Stimme der deutschen Katholiken ist Woelki jetzt selbst stark angefragt. Die Deutsche Bischofskonferenz übertrug ihm die Zuständigkeit für die Caritas. Seither meldet er sich immer wieder für benachteiligte Menschen wie Obdachlose und Roma zu Wort. Schon mit der Wahl seines Wohnsitzes hat Woelki zuvor ein Zeichen gesetzt. Er zog in den Stadtteil Wedding, einen sozialen Brennpunkt mit hohem Migrantenanteil. Seine Erhebung zum Kardinal feierte er mit rund 100 armen Berlinern bei den Maltesern.



"Außenpolitisch" ist Woelki als Hauptstadtbischof "angekommen", auch als souveräner Gastgeber beim Papstbesuch im vergangenen September. In seinem Erzbistum, das von der Ostsee bis in den Süden Brandenburgs reicht, erwarten ihn indes noch schwierige Bewährungsproben. Wie die anderen deutschen Bischöfe steht er vor weiteren Strukturreformen mit spürbaren Folgen für die Seelsorge. Grund sind die rückläufigen Zahlen bei Priestern und Kirchenmitgliedern. Schon die Gemeindefusionen unter Kardinal Sterzinsky waren teilweise heftig umstritten. Jetzt muss der Nachfolger seine Fähigkeit zum Ausgleich der Interessen unter Beweis stellen.