Letzter Franziskaner und Wohnungslosen-Seelsorger verlässt Köln

"Ich habe hier Gott auf der Straße entdeckt"

Er ist der letzte Franziskaner Kölns: Pater Markus Fuhrmann beendet seine Arbeit mit und für Wohnungslose, um in Zukunft als Provinzialvikar die Geschicke des Ordens zu leiten. Im Interview blickt er voller Dankbarkeit auf seine Zeit in Köln zurück.

Obdachloser auf einer Bank / © Srdjan Randjelovic (shutterstock)
Obdachloser auf einer Bank / © Srdjan Randjelovic ( shutterstock )

DOMRADIO: Fast zehn Jahre waren Sie in der Wohnungslosen-Seelsorge in Köln aktiv. Sie haben länger hier gelebt, auch hier studiert. Was ist das für ein Gefühl?

Pater Markus Emmanuel Fuhrmann (Franziskaner und Wohnungslosen-Seelsorger in Köln): Jetzt heißt es wirklich Abschied nehmen von Köln, aber auch vom Rheinland, wo ich lange Zeit meines Lebens verbracht habe. Mein Postulat habe ich 1996, 1997 in Düsselsdorf verbracht und die Zeit des Juniorats, wie die Zeit nach dem Noviziat bei uns heißt, in Köln-Vingst. Zur gleichen Zeit habe ich Sozialarbeit in der Südstadt studiert. Das Diakonat habe ich dann bei Pfarrer Franz Meurer in HöVi-Land gemacht.

Es folgten einige Jahre als Kaplan in Euskirchen, dann wieder in Vingst als Wohnungslosen-Seelsorger. Es waren insgesamt 16 prägende Jahre für mich. Eine wichtige Zeit, im Prinzip eine Zeit des Erwachsenwerdens im Orden. Der Wechsel nach München ist ein großer Schritt. Ich lasse viel zurück, was ich lieb gewonnen habe.

DOMRADIO: Was haben Sie in der langen Zeit mit den Obdach- und Wohnungslosen gelernt? Hat sich Ihr Blick auf die Welt verändert?

Pater Markus: Das hat es auf jeden Fall. Davon werde ich auch beim Abschiedsgottesdienst (Am Mittwoch, 4. September, um 15:30 in der Kirche der Wohnungslosenseelsorge Gubbio (ehemaliges Franziskanerkloster) in der Ulrichstraße Köln, Anm. d. Red.) erzählen. Das große Wort, das über allem steht, ist Dankbarkeit. Ich habe, glaube ich, wirklich sehr viel gelernt, auch über mich selbst. Wo meine Grenzen sind, meine Ängste und wie ich damit dennoch ganz offen umgehen kann.

Der Kontakt mit den Wohnungslosen und mit Drogenabhängigen hat mir noch einmal gezeigt: Es sind Menschen mit einer ganz hohen emotionalen Intelligenz, die mich und andere sehr schnell durchschauen. Das ist manchmal schwierig, oft aber auch eine große Chance. Eine Chance zum Wachstum. Das nehme ich auf alle Fälle mit.

In der Arbeit habe ich viel über mich entdeckt. Mein Gottesbild hat sich verändert. Ich habe Gott viel mehr auf der Straße entdeckt - in den kleinen Dingen, die oft ganz konkret vor meinen Füßen lagen. Da fallen mir ein paar Begegnungen ein, wo Gott wirklich spürbar war.

Auch das Miteinander werde ich vermissen. Das ist natürlich nicht nur bei den Wohnungslosen so gewesen. Es ist auch die rheinische Art, auch schwierige Dinge locker ansprechen zu können und sehr offen miteinander umzugehen.

DOMRADIO: Wenn Sie die vergangenen Jahre Revue passieren lassen: Gibt es Momente, die Sie besonders gern in Erinnerung behalten?

Pater Markus: Ja, da denke ich vor allen Dingen an die Fahrten, die wir von der Wohnungslosen-Seelsorge Gubbio aus gemacht haben. Wo wir mit den Menschen noch einmal ganz anders zusammen sein und das Leben ganz anders teilen konnten. Zuletzt hatten wir Tage der Stille. Wir waren insgesamt 15 Leute im Haus der Stille der evangelischen Kirche. Wir pflegen eine gute Ökumene bei Gubbio. Unser Ehrenamtler Rüdiger Maschwitz hatte sie vorbereitet. Die Tage in Rengsdorf waren sehr, sehr schön. Klar gabe es auch mal Stress zwischendurch - wenn man in die Stille geht, wird ja auch manches laut in einem. Das aber so miteinander zu teilen, in dieser typisch offenen "Gubbio-Art", war eine gute Erfahrung, die ich mitnehmen werde.

DOMRADIO: Jetzt habe ich nach den schönen Momenten gefragt. Da muss ich auch nach den schweren fragen...

Pater Markus: Ich musste im letzten Jahr meine eigene Kollegin beerdigen. Das hat sich wohl keiner ausgesucht, am wenigsten die Betreffende selber. Der Tod von Schwester Franziska war wirklich ein Schlag, der die Menschen auf der Straße - aber auch mich und natürlich die Mitschwestern - sehr getroffen hat. Es war eine Erfahrung, auf die ich gut hätte verzichten können. Wir haben ihren Tod miteinander bewältigt, vielleicht sind wir daran sogar gewachsen. Ich hoffe es.

Und ich freue mich natürlich, dass mit Schwester Christina eine gute Nachfolgerin gefunden werden konnte und es deshalb mit Gubbio weitergeht.

DOMRADIO: Viele der Wohnungslosen, die Sie über Jahre kennengelernt haben, sind sehr, sehr traurig darüber, dass Sie gehen. Was sagen Sie denen?

Pater Markus: Dass ich es auch traurig finde. Es ist ja auch erstmal traurig. Das kann ich auch nicht wegnehmen. Das ist Abschied immer. Auf der anderen Seite müssen wir, was wir lieben, auch loslassen. Was dann bleibt, bleibt auch. Ich könnte mir schon vorstellen, dass die eine oder andere Beziehung durchaus noch weitergeht. Man trifft sich ja manchmal zweimal im Leben.

Ich bin gespannt. Ich weiß auch noch nicht, wohin im Orden es mich noch verschlägt. Jetzt geht es erst einmal nach München, und dann schauen wir weiter. Schwieriger ist es natürlich immer für die, die zurückbleiben. Insofern kann ich da gar nicht so viel zu sagen. Ich glaube aber, auch darin liegt eine Chance.

DOMRADIO: Sie haben gesagt, dass es nach München geht. Was werden Sie da tun?

Pater Markus: Wir hatten im Juli Provinzkapitel in Osnabrück. Da haben die Brüder mich zum Provinzialvikar gewählt - das ist sozusagen der stellvertretende Sozialminister. Ich werde unserem Provinzial Cornelius zur Seite stehen und ihn in seiner Arbeit unterstützen. Da geht es um Leitungsfragen und personelle Fragen, um unsere Häuser und Einrichtungen, um Finanzielles und Strukturfragen. Wir sind in einem großen Umbruchsprozess, aber das unterscheidet uns gar nicht von anderen Orden, von Kirche überhaupt. Vieles wird weniger und kleiner und muss neu aufgestellt werden. Wir sind mittendrin.

Wir werden viele Häuser schließen, aber auch das ein oder andere neue Projekt beginnen. Zum Beispiel wollen wir ein franziskanisches soziales Jahr in Europa initiieren - eine Art Europa-FSJ. Wir wollen uns im Bereich Citypastoral an einem Ort neu aufstellen - vielleicht auch interfranziskanisch. Da gibt es einiges zu entwickeln und zu tun. Bei diesen Unterfangen unterstütze ich jetzt den Provinzialminister.

DOMRADIO: Das klingt nach einer komplett anderen Aufgabe als der, die Sie die letzten Jahre gemacht haben.

Pater Markus: Das ist es, das ist auch spannend für mich. Ich weiß noch gar nicht ganz genau, wer was macht. Das muss sich sortieren. Der bisherige Provinzialvikar war zugleich auch der Provinzökonom, jetzt gibt es einen eigenen Provinzialvikar. Da muss erstmal erfunden werden, was das heißt. Wer welche Aufgaben übernimmt und welche Zuständigkeiten verteilt werden, damit es sinnvoll ist und den Brüdern nützt.

DOMRADIO: Das heiß, dass Sie jetzt ganz aktiv die Zukunft ihres Ordens in Deutschland mitgestalten?

Pater Markus: Mit den Brüdern zusammen, ja, das ist die Idee. Da müssen wir ran und wollen auch ran. Ich glaube, es ist gar nicht so verkehrt, dass es eine so ganz andere Aufgabe sein wird. Wenn ich zum Beispiel in unsere Gemeinschaft nach Berlin-Pankow gewechselt hätte - wo, glaube ich, Berlins größte Suppenküche ist - und dafür Fundraising oder ähnliche Aufgaben übernommen hätte, dann wäre ich ja wieder nah an der bisherigen Zielgruppe gewesen.

Das hätte einerseits den Reiz gehabt, dass ich Erfahrung mitbringe. Auf der anderen Seite hätte ich dann aber auch in Köln bleiben können. Insofern ist es jetzt gut. Es ist was ganz anderes. Die Brüder habe mich dazu gewählt. Jetzt ist der Moment, da kann ich auch gut loslassen. Na ja, im Loslassen übe ich noch ein bisschen.

DOMRADIO: Die Franziskaner in Deutschland sind in einem großen Wandlungsprozess. Sie geben gerade viele Standorte auf, neben Köln etwa auch Werl. Ist das nicht ganz schön traurig?

Pater Markus: Ja, das ist traurig - vor allen Dingen erst einmal für die Menschen vor Ort. Auch für die Brüder vor Ort. Es heißt permanent Abschied nehmen. Wir haben uns jetzt am Sonntag vom Wallfahrtsort Werl verabschiedet. Wir werden uns, um nochmal auf das Erzbistum Köln zu schauen, Ende des neuen Jahres auch von Neviges verabschieden. Da sind viele Abschiede angesagt. Das ist erstmal schwer, weil gute Geschichte zu Ende geht.

Gleichzeitig merken wir: Es ist für uns eine Notwendigkeit, weil wir eben ziemlichen Nachwuchsmangel haben und die Aufgaben, die wir bisher gestemmt und erfüllt haben, nur noch mit Mühe bis gar nicht mehr erfüllen können. Dann ist es natürlich auch ein Befreiungsschlag zu sagen: Das und das machen wir jetzt nicht mehr, damit wir uns auf das konzentrieren können, was wir noch machen wollen. Wir haben in den letzten zwei Jahren einen Emmaus-Prozess mitgemacht, der extern begleitet wurde. Wo wir mit Befragungen und Treffen genau sondiert haben, was wir machen möchten. Wo dann am Ende eine Liste herauskam mit den Schwerpunkten und Innovationsprojekten, die wir setzen wollen. Das ist stark reduziert, aber das wollen wir wagen und dafür muss man anderes loslassen.

DOMRADIO: Eine gute Nachricht ist: Sie gehen, aber das Projekt Gubbio in Köln geht weiter. Wie wird das künftig sein?

Pater Markus: Genau, das ist vielleicht die wichtigste Nachricht in diesen Tagen. Über die Buschtrommeln auf der Straße war immer wieder mal zu hören. Jetzt ist wohl alles vorbei oder so. Das ist es selbstverständlich nicht! Zum einen ist da Schwester Christina, die sich wirklich erfolgreich in die Arbeit eingefunden hat, seit April auch mit ganzer Kraft. Da ist Martina Biller, die schon lange Zeit ehrenamtlich, dann im Rahmen einer geringfügigen Anstellung, das Gubbio unterstützt und trägt. Und da sind die vielen guten Ehrenamtlichen, die wir haben.

Und für mich wird noch ein Nachfolger gesucht. Da sich das tatsächlich etwas schwieriger gestaltet, ist für den Übergang eine recht prominente Lösung gefunden worden. Zu der kann ich leider noch nichts sagen. Das wird morgen im Abschiedsgottesdienst verraten. Und ich kann mir vorstellen, dass das auch eine gute Lösung ist.

DOMRADIO: An diesem Mittwoch ist die Abschiedsmesse. Das wird bestimmt ganz schön emotional. Wissen Sie schon, was Sie zum Abschied sagen werden?

Pater Markus: Ja, das weiß ich schon so einigermaßen. Die innere Struktur, der rote Faden steht. Ich bitte um Verständnis, dass ich das jetzt nicht sagen werde. Es geht sehr viel um Begegnung und um Dankbarkeit. Und um das Wachsen durch Begegnung, was wiederum zur Dankbarkeit führt. Der Tenor soll wirklich auf dem Dank liegen. Ich möchte einfach Dank sagen, das passt natürlich auch in eine Eucharistiefeier. Sie ist ein guter Rahmen. Nach der Feier werden wir noch beisammen sein. Es gibt Suppe und Chili. Ich hoffe, es reicht. Und dann können wir auch gut Abschied nehmen.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Im ökumenischen Gottesdienst mit dem Franziskaner Bruder Markus Fuhrmann und seinem evangelischen Kollegen, Pfarrer Ivo Masanek, stand die Emmaus-Geschichte im Zentrum / © Beatrice Tomasetti (DR)
Im ökumenischen Gottesdienst mit dem Franziskaner Bruder Markus Fuhrmann und seinem evangelischen Kollegen, Pfarrer Ivo Masanek, stand die Emmaus-Geschichte im Zentrum / © Beatrice Tomasetti ( DR )
Quelle:
DR
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