Jesuit kritisiert Aufregung über Hagia Sophia

"Ich finde das heuchlerisch"

Stimmen aus Kirche und Politik bedauern die Umwidmung der Hagia Sophia zur Moschee. Der Islamwissenschaftler Felix Körner mahnt ein differenzierteres Bild an, und sieht eine Chance darin, wenn das Museum wieder zum Gotteshaus wird.

Hagia Sophia in Istanbul / © photo.ua (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Die Hagia Sophia wird wieder Moschee. Wie ist Ihre Haltung dazu?

Prof. Dr. Dr. Felix Körner SJ (Islamwissenschaftler und Jesuit): Ich fange mal an bei dem Wort, das der Papst gebraucht hat. Es schmerzt ihn. Was schmerzt einen, wenn man daran denkt, dass ein Museum, das unter Atatürk laizistisch nur noch als Besichtigungort und nicht mehr als Gebetsort genutzt wurde, jetzt wieder zum Gebetsort wird? Das kann ja nicht schmerzen als religiöser Mensch. Das kann einen freuen. Aber natürlich kommt da eine alte Erinnerung wieder hoch. Wir haben als westliche Christenheit uns nicht um Ostrom gekümmert, als die Osmanen immer näher rücken. 1453 haben wir die Stadt verloren und damit auch die Hagia Sophia für die Christenheit verloren. Das kann uns natürlich schmerzen.

Aber was uns noch mehr schmerzt, ist, dass jetzt so eine Geschichte nochmal aufgekocht wird und als kleiner Messerstich verwendet wird. Es wird Politik mit einem Gebetshaus und es wird Selbstprofilierung und Machtspiel mit dem Beten gemacht. Das ist traurig. Aber die eigentliche Botschaft, die wir dahinter sehen können, ist: Das ist eine Gelegenheit, noch einmal neu darüber nachzudenken, was aus einem säkularisierten Museum, das damit ja auch steif geworden war, werden kann, das es Haus des Gebets für alle Völker werden kann.

DOMRADIO.DE: Es schmerzt, das kann man nachvollziehen. Aber warum ist die Entscheidung so dramatisch? Es war eine Kirche, es war eine Moschee. Warum also jetzt nicht wieder zur Moschee?

Körner: Ich empfinde es nicht als Drama, dass jetzt ein Museum wieder Gebetshaus wird. Ich finde es nur als Drama, wenn daraus jetzt so ein Spiel der Macht gemacht wird, vonseiten beispielsweise Erdoğans selber. Und ich meine jetzt: Wir dürfen ja auch nicht in die Falle tappen und das noch überdramatisieren, sondern können sagen: Nehmen wir es als Impuls auf, mit der Frage: Was kann jetzt aus diesem Ort der vielen Religionen, der vor allem Christentum und Islam ein heiliger Ort ist und Symbol-Ort ist, werden?

Die Regierung hat entschieden, die Gerichte haben entschieden, es wird wieder eine Moschee. Aber die Türken haben sich, übrigens auch Erdogan selber, so geäußert. Dann wird sie eben, wie die Sultan Ahmet Moschee, die sogenannte Blaue Moschee, wieder zugänglich für alle, ohne dass die Menschen Eintritt zahlen müssen. Und man kann dann eben auch beten.

Ich weiß nicht, ob Sie schon mal - ich jedenfalls sehr gerne - in einer Moschee gebetet haben. Das ist dann auch wirklich eine Gelegenheit für uns zu sagen: Gut, wir als gläubige Menschen können diesen Ort dann auch wieder nicht nur als tollen Kunstgegenstand, sondern auch als geistlichen Ort wahrnehmen und annehmen.

DOMRADIO.DE: Sie wittern also eine kleine Chance. Aber hat das Christentum damit nicht endgültig eine Kirche verloren?

Körner: Das wird manchmal jetzt so dargestellt. Ich finde das wirklich heuchlerisch. Das ärgert mich sogar, denn verloren haben wir diese Kirche der heiligen Weisheit - übrigens die heilige Weisheit ist ja Christus selber - 1453, und seitdem war sie Moschee. Dann haben wir sie noch ein zweites Mal verloren, als sie vom geistlichen Haus zum Museum kristallisiert wurde, musealisiert wurde - und dadurch eigentlich nochmal entfernt wurde.

Jetzt haben wir sie nicht neu verloren, sondern wir dürfen das jetzt so sehen als gläubige Menschen: Wir haben sie neu gewonnen und nehmen diese Einladung des Gebetsrufes, der dann auch wieder von der Hagia Sophia erschallen wird, zum Gebet an und sagen: Gerne gehen wir auch in diese Moschee, ohne Gebietsansprüche zu haben, aber um gemeinsam mit Muslimen oder auch einzeln, wie man das möchte, diesen Ort als geistlichen Impuls und geistlichen Träger für unsere Gottesverehrung zu nutzen. So würde ich das sehen.

DOMRADIO.DE: Und um weiter die Wogen zu glätten: Wie sollten jetzt alle Akteure mit dieser Entscheidung umgehen?

Körner: Wenn der Papst sagt, dass es ihn schmerzt, und wenn die Bischöfe, auch die von der Orthodoxie sagen, dass es schmerzt, dann müssen sie deutlich sagen, warum es sie schmerzt. Weil sie eine traurige Erinnerung haben, weil sie nicht möchten, dass es politisiert wird. Wir können jetzt gemeinsam Vorschläge auch mit den türkisch-muslimischen Freunden ausarbeiten, wie man zeigen kann, dass das jetzt kein Gebietsanspruch oder einen Stich gegen das Christentum sein sollte, was wirklich eine absurde Interpretation wäre, sondern dass wir jetzt überlegen, wie wir auch die interreligiöse Zeugnishaftigkeit eines solchen Ortes nutzen können.

Beispielsweise, wenn wir als Christen auch bewusst eingeladen werden, dort zu beten. So wie übrigens Muhammad selber auch Christen der Überlieferung nach in Medina eingeladen hat, in seiner Moschee dort damals, im siebten jahrhundert, zu beten. Solche Zeichen – und vielleicht auch mal eine interreligiöse Dialogveranstaltung an Hagia Sophia ansiedeln und den Symbolort so auch zum Ort der Verständigung und der geistlichen Ausstrahlung für alle zu machen.

Das Interview führte Tobias Fricke.


Jesuitenpater Felix Körner / © Harald Oppitz
Jesuitenpater Felix Körner / © Harald Oppitz
Quelle:
DR
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