Religionsbeauftragter Grübel kritisiert Urteil über Hagia Sophia

"Ich sehe die Maßnahme als Abwendung von Europa"

Die Hagia Sophia darf wieder in eine Moschee umgewandelt werden, sagt ein türkisches Gericht. International hagelte es Kritik an dem Urteil. Der Religionsbeauftragte der Bundesregierung sieht darin auch eine Abwendung von Toleranz und Respekt.

Decke in der Hagia Sophia / © Marion Sendker (privat)
Decke in der Hagia Sophia / © Marion Sendker ( privat )

DOMRADIO.DE: Die Hagia Sophia wird wohl kein Museum mehr sein, sondern eine Moschee werden. Den Weg dafür hat Gericht in der Türkei am 10. Juli frei gemacht. Kritik kam von der Europäischen Union, der Deutschen Bischofskonferenz, aus Griechenland, auch von der orthodoxen Kirche. Warum ist diese Entscheidung so dramatisch?

Markus Grübel (Beauftragter der Bundesregierung für weltweite Religionsfreiheit): Ich bedaure sehr, dass die Hagia Sophia nun ausschließlich einer Religion zum Gebet zur Verfügung gestellt wird. Das Gebäude hat eine große historische Bedeutung, sowohl für das Christentum als auch für den Islam. Ich hätte mir gewünscht, dass es bei einer Statutusänderung als Ort zur Begegnung und des Austausches zwischen beiden Religionen dient oder als Simultangotteshaus, das von Muslimen und Christen gemeinsam genutzt wird.

DOMRADIO.DE: Das ist auch in Teilen die Kritik des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell. Er bedauerte in einem offiziellen Statement die Entscheidung der Türkei. Schließen Sie sich im Namen der Bundesregierung an?

Grübel: Ich sehe darin eine Abkehr von den Reformen von Kemal Atatürk. Eine unnötige Provokation der orthodoxen Christen, insbesondere in Griechenland und Russland. Die Umwandlung hat innenpolitische Gründe. Das Ansehen des türkischen Präsidenten wird schwächer. Er macht Symbolpolitik.

Vergleichbares geschieht auch in anderen Ländern. Der US-Präsident hatte einen Fototermin mit der Bibel vor der Kirche. Bloß: Trump war nach fünf Minuten wieder weg, während diese Umwandlung lange bestehen bleiben wird, und es wird zu Schwierigkeiten führen, diese Umwandlung rückgängig zu machen.

DOMRADIO.DE: Die Tradition der Hagia Sophia geht bis ins 5. Jahrhundert zurück. Sie war jahrelang als Kirche geweiht. Dann, nach der Eroberung Konstantinopels, wurde die Hagia Sophia 1453 zur Moschee, 1934 in ein Museum umgewandelt. Jetzt wird sie also wieder ein Gotteshaus, aber nur für eine Religion. Ist das auch Ihre Kritik?

Grübel: Ich sehe die Maßnahme als Abwendung von Europa, von westlichen Werten, auch Abwendung von Toleranz und Respekt der jeweils anderen Religionen gegenüber, auch dieser langen christlichen Geschichte der Hagia Sophia. Ich bedauere es sehr.

DOMRADIO.DE: Was würden Sie jetzt sagen, wenn jemand sagt, das das doch allein Sache der Türken sei?

Grübel: Die Hagia Sophia ist Weltkulturerbe, Kulturerbe der ganzen Menschheit. Und eine Umwandlung ohne Beteiligung der Unesco ist eine Missachtung der internationalen Staatengemeinschaft.

DOMRADIO.DE: Die Unesco hat mitgeteilt, dass die Entscheidung auch für sie überraschend kam. Könnte diese Umwandlung auch den Weltkulturerbestatus der Hagia Sophia gefährden?

Grübel: Der Status könnte in Gefahr sein. Hagia Sophia - Heilige Weisheit - ist ein so schöner Name für ein so schönes Gebäude. Ich hätte mir gewünscht, dass eine weitere Entscheidung getroffen wird, vor der Entscheidung auch eine Beteiligung von verschiedenen Stellen und Betroffenen stattgefunden hätte, und man dann versucht hätte, eine einvernehmliche Lösung hinzukriegen.


Markus Grübel ist Beauftragter der Bundesregierung für weltweite Religionsfreiheit / © Harald Oppitz (KNA)
Markus Grübel ist Beauftragter der Bundesregierung für weltweite Religionsfreiheit / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
DR