Katholische Akademie zur Corona-Situation in Sachsen

"Hotspot" im Osten

In Sachsen sind die Inzidenzzahlen besonders hoch. Warum ist das so, wo man doch vergleichsweise gut durch die "erste Welle" gekommen ist? Der Direktor der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen über ein Bundesland als "Hotspot".

Eine Mund-Nase-Schutzmaske auf dem Boden / © Anniota (shutterstock)
Eine Mund-Nase-Schutzmaske auf dem Boden / © Anniota ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Der "Tagesspiegel" aus Berlin hat vor wenigen Tagen eine Deutschlandkarte veröffentlicht, auf der dargestellt war, dass in den Orten, wo die Menschen AfD wählen, die Coronazahlen außerordentlich hoch sind. In Sachsen zum Beispiel ist das so. Kann es da einen Zusammenhang geben? Haben Sie die Karte auch gesehen?

Dr. Thomas Arnold (Direktor der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen): Ich habe da mal drauf geschaut und würde sagen, da überbewerten wir die AfD. Ich bin kein Freund dieser Partei. Aber ihr jetzt die Schuld dafür zu geben, dass die Coronazahlen in Sachsen so hoch sind, geht ein bisschen zu weit. Es ist zumindest nicht der alleinige Grund.

Es gibt andere Regionen, die auch sehr hohe AfD-Wahlergebnisse haben, wie zum Beispiel der Norden von Deutschland. In Mecklenburg-Vorpommern gibt es bis jetzt sehr niedrige Inzidenzzahlen. Ich würde behaupten, das wäre ein zu intensiver Kurzschluss, es auf diese Partei zu begrenzen. Man macht dieser Partei auch viel zu viel Ehre, wenn man meint, sie wären zumindest allein daran schuld. Da gibt es wahrscheinlich viele andere Gründe, die auch mit reinspielen.

DOMRADIO.DE: Was kann das beispielsweise sein?

Arnold: Wir diskutieren ja jetzt seit Wochen, warum die Zahlen gerade in Sachsen so hoch sind. Da gibt es verschiedene Perspektiven. Die eine, die ich für schlüssig halte, ist natürlich die Nähe zu den Grenzen zu Tschechien und Polen. Da konnte man beobachten, dass auch Reisegruppen im Frühherbst kamen. Das war eine erste Begründung.

Ich nehme natürlich wahr, dass wir in Sachsen auch eine enorm leichte, erste Welle hatten im Vergleich zur zweiten. Wir hatten keinen Karneval, wir hatten wenige Reiserückkehrer aus den Skigebieten gehabt. Das waren ja die ersten Anlässe im Frühjahr, die zu diesen hohen Zahlen in NRW, aber auch in Bayern geführt haben. Da hatten wir deutlich weniger und Sachsen.

Wir hatten aber die gleichen Lockdown-Maßnahmen. Dementsprechend ist natürlich ein ganzes Stück Vertrauen in die Maßnahmen oder vielleicht auch in die Gefahr des Virus verloren gegangen oder nie dagewesen. Deswegen hat man die Warnungen, die dann im Oktober aufkamen, zunächst nicht so ernst genommen. Ich nehme schon wahr, dass inzwischen mehr Leute sagen: Ja, dieses Virus ist eine Gefahr und dieses Virus bringt auch unsere Gesundheitssysteme in Sachsen an seine Belastungsgrenzen. Es ist deutlich spürbar.

DOMRADIO.DE: Wie ist die Corona-Situation in Sachsen?

Arnold: Wir haben – und das will ich gerne auch Richtung NRW erwähnen – im Moment Krematorien, die nicht mehr hinterherkommen, die Toten zu verbrennen. Wir haben Krankenhäuser, die in ihren OPs Leichen kühlen, weil sie sie nicht mehr aus den Häusern herausbekommen. Diese Situation stellt sich momentan dar.

Vor kurzem gab es ja auch eine Meldung in den Medien zu einer sogenannten Triage-Situation in Zittau. Der Ärztliche Direktor eines Klinikums soll gesagt haben: Wir haben eine Triage-Situation und dieses Dilemma. Später wurde das nochmal eingeordnet und gesagt, es sei ein Weckruf für die politische Seite gewesen. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob wir kurz vor der Triage stehen oder tatsächlich schon drin sind. Aber wir sind auf jeden Fall einer prekären Situation. Es ist deutlich absehbar.

Wir haben erstens nur noch wenige freie Betten. Zweitens arbeitet das ärztliche Personal am Limit. Drittens funktioniert auch der Wechsel zwischen Altenheimen und Krankenhäusern nicht mehr richtig, so wie wir es in normalen Zeiten haben. Das sind natürlich alles Kennzeichen, die Angst machen – zumal die Inzidenz weiter in Sachsen klettert.

Und dann gibt es einen letzten Punkt, der sicher auch eine Rolle spielt. Wir haben in Sachsen eine ältere Bevölkerung als in anderen Teilen Deutschlands. Ich glaube, dass die Sterberate und die Rate heftigerer Erkrankungen in Sachsen etwas höher ist. Die Übersterblichkeit in Sachsen lag im November bei 46 Prozent. Das sind deutliche Zahlen im Moment. Das sind alles Kennzahlen, aber auch Hinweise in den letzten Wochen und Monaten, die dazu führen, dass wir in Sachsen im Moment wirklich ein Corona-Hotspot sind.

DOMRADIO.DE: Welche Rolle spielen denn die Kirchen in der Situation?

Arnold: Sie hatten vielleicht mitbekommen, dass der Ministerpräsident in der letzten Woche dazu aufgefordert hat, nicht zu den Gottesdiensten am Heiligabend zu gehen. Er selbst gehe auch nicht. Wir können zumindest zunächst einmal sagen, dass die Staatsregierung den Kirchen den Freiraum lässt, selbst die Religionsausübung gerade in dieser schwierigen Zeit weiter zu gestalten. Das ist erst mal ein Plus.

Bischof Timmerevers hat es jetzt am Wochenende nochmal gesagt, dass die Kirchen natürlich offen bleiben, dass auch Gottesdienste stattfinden, aber dass keiner ein schlechterer Christ ist, nur weil er zu Hause eventuell vom Fernseher die Christmette schaut oder in seiner Familie am Heiligabend die Weihnachtsbotschaft liest und auslegt. Ich glaube, das ist nochmal ein deutliches Zeichen der Entlastung. Sowohl das eine als auch das andere ist gut, aber handelt verantwortlich.

In der Position nehme ich nicht nur die katholische Seite wahr, sondern auch die evangelische Seite. Es bleibt zu hoffen, dass die Leute nicht nur wegen ihres Wohlgefühls am Heiligabend in die Kirche gehen, sondern wirklich überlegen: Ist es mir das wert? Brauche ich den Gottesdienst in dieser Präsenzsituation, in einen Gottesdienstraum oder kann ich Gottesdienst auch zuhause feiern – am Bildschirm oder im Livestream.

Wir diskutieren im Moment ganz häufig über die Aussage, dass die Kirchen die Gottesdienste absagen. Das ist so ja nicht ganz wahr. Wir halten die Kirchen offen, wir feiern Gottesdienste. Aber natürlich unterscheiden sich der Ort und die Form der Gottesdienstfeier. Ich verstehe auch alle Kritiker, wenn sie sagen, dass im digitalen Format einer Gottesdienstfeier natürlich nicht die ganze Emotionalität eines Weihnachtsfestes rüberkommt. Das wird mir auch so gehen, wenn ich am Fernseher sitze.

Wenn aber in den Kirchen geschwiegen wird, kein Gesang ertönt und man auf Distanz zueinander sitzt, kommt da dann die große Emotionalität rüber, die man sonst aus den letzten Jahren und Jahrzehnten gewohnt ist? Das wäre die Frage, die ich den Kritikern entgegenhalten würde.

Das Interview führte Heike Sicconi.


Dr. Thomas Arnold, Direktor der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen / © Oliver Killig (Katholische Akademie Bistum Dresden-Meißen)
Quelle:
DR
Mehr zum Thema