Historiker erkennt noch keine klaren neuen Akzente bei Leo XIV.

Der Papst als "Blackbox"

KI statt Industrialisierung, Kirchenhistoriker Jörg Ernesti sieht Papst Leo XIV. in der Nachfolge seines Namensvorgängers. Welche Antwort der neue Papst auf die aktuelle soziale Revolution gibt, sei noch unklar.

Papst Leo XIV. / © Cristian Gennari/Romano Siciliani (KNA)
Papst Leo XIV. / © Cristian Gennari/Romano Siciliani ( KNA )

Für den Kirchenhistoriker Jörg Ernesti ist Leo XIV. theologisch gesehen noch "eine Blackbox". "Wir wissen nicht, ob er konservative Beschlüsse fällen wird, oder eher progressive", erklärte er am Freitag in der Deutschlandfunk-Sendung "Tag für Tag". Aktuell arbeite der neue Papst mit der Bestätigung und Vertiefung des Programms der Weltsynode noch die Agenda von Papst Franziskus ab. Doch: "Ich erkenne in seinen öffentlichen Äußerungen jetzt noch keine ganz klaren neuen Akzente."

Jörg Ernesti, Professor für Mittlere und Neue Kirchengeschichte an der Universität Augsburg / © Christopher Beschnitt (KNA)
Jörg Ernesti, Professor für Mittlere und Neue Kirchengeschichte an der Universität Augsburg / © Christopher Beschnitt ( KNA )

Ernesti hat eine Biografie über Papst Leo XIII. geschrieben. Den neuen Papst sieht er daher noch mit der Brille seines Namensvorgängers. Der Theologe erklärt das historische Vorbild, das Robert Prevost sich mit seiner Papst-Namenswahl ausgesucht hat: Politisch habe Leo XIII. die Chance ergriffen, den Heiligen Stuhl nach der Auflösung des Kirchenstaates neu zu positionieren, sagt Ernesti. So sei der Heilige Stuhl in der Lage gewesen, in der Außenpolitik neutral aufzutreten und als überparteilicher Akteur tätig zu werden.

"Ich sehe in ihm den Begründer der modernen vatikanischen Friedens- und Außenpolitik", sagt der Theologe. Er habe gleich elfmal versucht, in internationalen Konflikten zwischen Staaten zu vermitteln. Mit seiner wiederholten Betonung des Friedens stelle sich Leo XIV. deutlich in die Nachfolge von Leo XIII., meint der Kirchenhistoriker.

Umgang mit sozialen Revolutionen

Begründet habe Leo XIV. seine Namenswahl allerdings anders: mit der Sozialenzyklika "Rerum novarum". Diese habe die Grundprinzipien der katholischen Soziallehre - Gemeinwohl, Subsidiarität und Solidarität formuliert. Die "vielleicht folgenreichste Enzyklika in der Geschichte der Enzykliken" sei damals "eingeschlagen wie eine Bombe", berichtet Ernesti. So wie Leo XIII. sich mit der ersten sozialen Frage der Industrialisierung konfrontiert gesehen habe, seien die Menschen heute mit der zweiten industriellen Revolution, "der KI-Revolution" konfrontiert.

Papst Leo XIII. / © Wikipedia Gemeinfrei
Papst Leo XIII. / © Wikipedia Gemeinfrei

Leo XIII. sei außerdem der erste Papst gewesen, der die Möglichkeiten der modernen Kommunikationsmittel gesehen habe. In ersten Filmen, Stimmaufnahmen, Interviews und mit vielen Fotos habe er seine Botschaft an die Öffentlichkeit gebracht. "Ich sehe in ihm den Begründer des Medienpapsttums", sagt Ernesti.

Laut dem Kirchenhistoriker war Leo XIII. aber nicht nur progressiv. So habe er den sogenannten Amerikanismus verurteilt. Ende des 19. Jahrhunderts seien die amerikanischen Katholiken gegenüber der Demokratie und der Trennung von Staat und Kirche aufgeschlossen gewesen. Das habe Leo XIII. klar abgelehnt. "Also, theologisch ist das sicher kein progressiver Kopf gewesen - aber sozialethisch, außenpolitisch schon", so Ernesti.

Sozialenzyklika

Sozialenzyklika ist die Bezeichnung für ein päpstliches Schreiben zu sozialen Fragen. Wie zur Glaubens- und Sittenlehre, so äußert sich das päpstliche Lehramt auch zur Soziallehre. Es tut dies unter anderem in Form der Enzyklika, zu deutsch "Rundschreiben". Die erste Sozialenzyklika "Rerum novarum" wurde am 15. Mai 1891 von Papst Leo XIII. vorgelegt. Sie ist, wie bei Enzykliken üblich, nach den Anfangsworten des in der Regel lateinischen Originaltextes benannt. Die Kirche äußerte sich in ihrer Lehrverkündigung immer schon über das rechte Verhalten in der Gesellschaft.

70 Jahre päpstliche Sozialenzyklika "Rerum Novarum" im Jahr 1961 / © N.N. (KNA)
70 Jahre päpstliche Sozialenzyklika "Rerum Novarum" im Jahr 1961 / © N.N. ( KNA )
Quelle:
KNA