Wie sich die Kirche fit für die Zukunft machen könnte

Gibt es ein Patentrezept?

Wie sieht Deutschland in zehn Jahren aus? Und wie wird sich vor allem die Kirche bis dahin verändert haben? Björn Szymanowski beschäftigt sich mit dieser Frage. Er macht sich Gedanken, wie die Kirche Jugendliche einbeziehen kann.

Jugendliche bei Messe zur Eröffnung der Jugendsynode im Vatikan / © Paul Haring (KNA)
Jugendliche bei Messe zur Eröffnung der Jugendsynode im Vatikan / © Paul Haring ( KNA )

DOMRADIO.DE: Woher wissen Sie, was Jugendliche in zehn Jahren so denken werden?

Björn Szymanowski (Theologe am Zentrum für Angewandte Pastoralforschung): Es gibt eine noch recht junge Disziplin, die sogenannte Zukunftsforschung oder auch Futurologie. Das ist mittlerweile in Deutschland ein ganz solides wissenschaftliches Handwerk an Universitäten. Das kann gelehrt werden, das wird da praktiziert. Die arbeiten mit Daten aus der Geschichte, aus der Vergangenheit, beobachten, welche technologischen, welche sozialen Innovationen gerade anstehen. Die Zukunftsforscher stellen sich dann die Frage, welche Zukünfte wahrscheinlicher sind als andere. Und auf dieser Grundlage kann man dann sehr gut einschätzen, in welche Richtung sich das alles entwickeln könnte.

DOMRADIO.DE: Wie wahrscheinlich ist es, dass die Jugend in einer post-christlichen Gesellschaft leben wird? Und was bedeutet das?

Szymanowski: Post-christliche Gesellschaft ist erst mal ein ganz nüchterner, soziologischer Befund. 2019 waren knapp über 52 Prozent der Deutschen Mitglied in einer der beiden großen deutschen Kirchen. Und das wird sich ändern.

Manche Studien rechnen damit, dass in den nächsten zehn bis 15 Jahren etwa zehn Millionen Menschen aus den Kirchen austreten. Glaube und Kirchenzugehörigkeit sind nicht eins, das ist mir klar. Aber man muss eben auch nicht hellsehen können, wenn man sagt, dass das Christliche in Zukunft kulturell nicht mehr selbstverständlich sein wird und das Christliche eben dann in eine Post-Position gerückt wird. Das erleben wir ja heute schon vielerorts auch schon im Osten, aber das wird sich in Zukunft eben auch zu einem gesamtgesellschaftlichen Phänomen entwickeln.

DOMRADIO.DE: Und wenn das so ein gesamtgesellschaftliches Phänomen ist, wie sieht dann die Lebenswelt der Jugendlichen aus?

Szymanowski: Das kann ich hier nur ganz kurz skizzieren, da könnte man ganz viel drüber sprechen. Aber als ganz zentrales Schlaglicht würde ich sagen: Zum einen verändern sich Familienformen, es verändert sich Partnerschaft, das wird pluraler, die klassische Kernfamilie Vater-Mutter-Kind, die wird immer seltener werden. Stattdessen gibt es alternative, komplexere Formen: Alleinerziehende, gleichgeschlechtliche Partnerschaften mit Kindern werden häufiger.

Auch Beziehungsformen werden sich in Zukunft ändern. Die werden zwar, das kann man eigentlich ganz gut sagen, in Zukunft noch monogam sein, aber monogam wird dann eben nicht "ewig" heißen. Und "Beziehung" wird dann auch nicht "zwischen Mann und Frau" bedeuten. Das ist, wenn man von der seriellen Monogamie zwischen unterschiedlichen Geschlechtern spricht. Und das fordert dann natürlich auch kirchliche Ehelehre zum Beispiel total heraus.

DOMRADIO.DE: Also auf der einen Seite könnte es im Jahr 2030 post-christliche Jugendliche geben. Aber wir haben ja immer noch eine christliche Kirche, eine katholische Kirche, davon ist wohl auszugehen. Wie ist denn das Verhältnis dann zwischen den beiden?

Szymanowski: Nehmen wir 2030 mal als Chiffre für die Zukunft. Dann werden jungen Menschen viele, viele Gedanken des christlichen Glaubens fremd sein. Das meint post-christliche Gesellschaft. Und das bringt aber auch zum Ausdruck, dass religiöse Sozialisation in jeder Generation immer weiter abnehmen wird. Das können wir jetzt schon beobachten. Und in Zukunft ist es dann eben nicht mehr aus sich selbst heraus plausibel, dass es so etwas wie einen Gott gibt oder warum dieser Gott eigentlich für mein Leben wichtig sein soll. Das macht dann den Zugriff auf das Religiöse, auf das Kirchliche, viel pragmatischer.

Also in Zukunft wird da nicht mehr die Kultur entscheiden, dass Religion wichtig ist, sondern eben vielleicht die Lebenstauglichkeit, die Ästhetik, die Emotionalität. Religion muss dann passen oder eben nicht.

DOMRADIO.DE: Und das heißt, da müsste die Kirche sich dann noch ein bisschen mehr reinhängen. Oder was sagen Sie?

Szymanowski: Ja, die Frage ist nur, wie macht man das. Und das haben wir zumindest in den letzten beiden Tagen (beim Forum Jugendpastoral der Arbeitsstelle der Jugendseelsorge der Deutschen Bischofskonferenzvom 4. bis 5. November, Anm. d. Red.) gelernt. Es gibt keine Patentrezepte, aber wenn man das doch auf Prinzipien runterbrechen muss, würde ich zwei Kernbotschaften hier stark machen.

Zum einen muss sich Jugendpastoral in Zukunft dazu bereit erklären, viel mehr von den Jüngeren zu lernen. Sie braucht die Kreativität und die Kompetenzen der jungen Menschen, um selbst fit zu bleiben. Das geht bei der Veränderungsgeschwindigkeit in unserer Gesellschaft gar nicht anders.

Es reicht eben auch nicht aus, einfach nur zu hören und wahrzunehmen, sondern es braucht Formate echter Partizipation, in denen junge Menschen über die Jugendpastoral von morgen mitentscheiden können. Und das nicht nur einmal, sondern eben auch permanent. Und deswegen war die Jugendsynode von 2018 ein ganz wichtiges Ereignis, aber eben nicht das Ende, sondern der Beginn dieser stärker partizipativ ausgerichteten Jugendpastoral.

Das Interview führte Gerald Mayer.


Quelle:
DR
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