Gericht rät Kirche und Missbrauchsopfern zu einem Vergleich

Unklarheiten und Verjährung

680.000 Euro Schmerzensgeld verlangt ein Missbrauchsopfer vom Bistum Aachen. Der Richter schlägt vor, sich auf eine Entschädigung von 190.000 Euro zu einigen. Auch in zwei weiteren Prozessen plädiert das Landgericht für eine Einigung.

Ein Stuhl steht in einer dunklen Kirche am 28. September 2021 in Köln. Symbolfoto: Missbrauchsaufklärung / © Harald Oppitz (KNA)
Ein Stuhl steht in einer dunklen Kirche am 28. September 2021 in Köln. Symbolfoto: Missbrauchsaufklärung / © Harald Oppitz ( KNA )

In einem Schmerzensgeldprozess gegen das katholische Bistum Aachen hat das Landgericht Aachen eine sechsstellige Vergleichszahlung an einen Missbrauchsbetroffenen angeregt. Er war über Jahre von zwei Priestern sexuell misshandelt und vergewaltigt worden, wie bei der Verhandlung am Dienstag bestätigt wurde.

Der Kläger fordert von der katholischen Diözese 680.000 Euro Schmerzensgeld. Nach Abwägung schlug der Vorsitzende Richter Uwe Meiendresch eine Entschädigung von 190.000 Euro vor.

Symbolbild Geldscheine / © AlbertoGonzalez (shutterstock)
Symbolbild Geldscheine / © AlbertoGonzalez ( shutterstock )

Offene Frage der Verjährung 

Die Kirche hatte dem Betroffenen in ihrem freiwilligen System nur 80.000 Euro in Anerkennung des Leids gezahlt, zuzüglich 7.500 Euro Psychotherapiekosten. Der Richter bezog sich bei seinem Vorschlag auf das wegweisende Urteil des Landgerichts Köln aus dem vergangenen Jahr: Danach musste das Erzbistum Köln im Zuge der Amtshaftung einem als Messdiener missbrauchten Mann 300.000 Euro zahlen. 

Im Aachener Fall ergebe dies nach Abzug der bereits gezahlten 80.000 Euro rund 220.000 Euro, so der Richter. Diese Summe sei aber wegen der offenen Frage der Verjährung und wegen Unklarheiten über einzelne Punkte aus der Anklageschrift zu halbieren.

Ziel: Rechtsfrieden

Kläger und Beklagte haben nun Zeit, sich bis zum 11. Juni zu dem Vorschlag zu äußern. Zu beachten ist laut Gericht, dass nach der Annahme dieser Abfindungsregelung kein weiterer Rechtsweg beschritten werden könne. Ziel sei es, Rechtsfrieden herzustellen.

Das Gericht wies darauf hin, dass die Klärung der Verjährungsfrage lange Zeit in Anspruch nehmen könne. Es stelle sich die Frage, ob eine Institution wie die Kirche mit hohen Moralansprüchen Verjährung beanspruchen könne. Aufgrund der zu erwartenden Verfahrensdauer sei ein Vergleich daher für beide Seiten vorteilhaft.

Das Bistum Aachen hatte in dem Fall Verjährung geltend gemacht. Ziel ist aber nicht, das Verfahren auf diese Weise zu beenden. Vielmehr strebt das Bistum ein gerichtliches Mediationsverfahren an. Richter Meiendresch machte deutlich, dass er dies nicht für zielführend halte.

Zweiter Schmerzensgeldprozess

Auch in einem zweiten Schmerzensgeldprozess gegen das Bistum Aachen hat das Landgericht Aachen am Dienstag eine Vergleichszahlung an das Missbrauchsopfer angeregt. Der Kläger wirft einem Kaplan und Religionslehrer vor, ihn im Jahr 1990 als 17-Jährigen in seiner Wohnung vergewaltigt zu haben. 

In anderen Fällen schwerer Vergewaltigung seien Zahlungen von rund 100.000 Euro üblich, sagte der Vorsitzende Richter Uwe Meiendresch am Dienstag bei der Verhandlung. Nach Abzug der von der Kirche bereits freiwillig gezahlten 35.000 Euro bleibe ein Rest von 65.000 Euro. Diese Summe sei aber aufgrund der Umstände auf 20.000 bis 25.000 Euro zu reduzieren.

Offene Fragen drücken die Summe

Der Abzug beruht laut Gericht auch hier auf der offenen Frage, ob der Fall verjährt ist, sowie einer mögliche Haftbarkeit des Landes Nordrhein-Westfalen. Der Anwalt des Bistums hatte deutlich gemacht, dass der beschuldigte Priester zum Zeitpunkt der Tat zwar Kaplan gewesen sei. 

Zugleich sei er aber beim Land Nordrhein-Westfalen als Lehrer angestellt gewesen und die Tat im Zusammenhang mit seiner Lehrtätigkeit begangen worden. Grundsätzlich zweifle das Bistum die Tat aber nicht an, auch weil der Täter von weiteren Personen beschuldigt werde. Der Kläger ist nach Angaben seiner Anwältin durch die Tat schwer psychisch beeinträchtigt. Per Attest war er von einer Teilnahme an der Verhandlung entschuldigt. 

Entscheidung für Juli angesetzt 

Im dritten Fall fordert der Kläger 180.000 Euro. Er sei als Kind über Jahre in rund 200 Fällen von einem Kaplan missbraucht worden. Nach Einschätzung des Gerichts wird in vergleichbaren Fällen 200.000 Euro Schmerzensgeld gezahlt. Auch hier schlug es eine halbierte Summe vor - zum einen wegen der offenen Verjährungsfrage und zum anderen wegen der vom Bistum geäußerten Zweifel an der Zahl der Fälle. Allerdings soll diesmal nicht die von der Kirche bezahlte Summe abgezogen werden. Denn die 10.000 Euro seien unangemessen niedrig, so Meiendresch.

Kläger und Bistum haben nun Zeit, sich bis zum 11. Juni zu den Vorschlägen des Gerichts zu äußern. Ein eventueller nächster Verhandlungstermin wurde für den 2. Juli angesetzt.

Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel wurde am 14.05.2024 um 14:36 Uhr aktualisiert. 

Quelle:
KNA