Gemeinde in Neuwied setzt auf neue Glaubensformen

"Manches ist vielleicht ungewohnt"

Die offene Gemeinde Heilig Kreuz in Neuwied wurde vor gut drei Jahren als Teil der Pfarrgemeinde St. Matthias gegründet. Sie schließt niemanden aus. Auch Andersgläubige nicht. Denn die Gemeinde ist sozialraumorientiert. Was heißt das?

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DOMRADIO.DE: Was ist eine offene, sozialraumorientierte Gemeinde?

Prof. Josef Freise (Aktives Gemeindemitglied der offenen Gemeinde Neuwied, emeritierter Professor an der Katholischen Hochschule Köln): Wir waren mal eine normale Neuwieder Innenstadtpfarrei. Vor 20 Jahren wurden wir schon mit den zwei anderen Innenstadtgemeinden fusioniert. Allerdings sehen wir das Konzept der Territorialpfarrei von Katholiken für Katholiken als überlebt an. Wir wollen eine sozialraumorientierte Gemeinde sein. Also für alle Menschen aus "Sonnenland", so heißt der Stadtteil.

Josef Freise / © Angela Krumpen (ak)
Josef Freise / © Angela Krumpen ( ak )

Wir als Katholikinnen und Katholiken engagieren uns mit Andersgläubigen und nicht religiösen Menschen und gestalten das Stadtviertel. Zum Beispiel engagieren wir uns bei der Neuwieder Tafel, die in unseren Gemeinderäumen beheimatet ist. Wir versuchen uns nicht abzugrenzen, wollen niemanden diskriminieren oder niemanden ausschließen.

Praktisch gibt es einen Kernkreis von Menschen, die sich aus ihrem Glauben an Jesus Christus heraus engagieren. Aber um bei uns mitzumachen, ist der christliche Glaube nicht erforderlich. Es kommen auch Muslime.

Wir hatten in einem Sonntagsgottesdienst zum Beispiel eine Dialogpredigt mit einer Muslima über den Koran und die Bibel gehabt. Damit haben wir die Geflüchteten der hiesigen Initiativen angesprochen, weil die Menschen eben hier leben, wir sie einbinden wollen und mit ihnen ihren Alltag teilen.

DOMRADIO.DE: Wo liegt denn der Unterschied zu einer klassischen katholischen Gemeinde?

Freise: Katholische Gemeinden sind oft Sonntagsgottesdienstgemeinden und sie schrumpfen.

Gemeindestruktur der Offenen Gemeinde Heilig Kreuz

Die Offene Gemeinde Heilig Kreuz will missionarisch-diakonisch Kirche sein, wie es in der Trierer Bistumssynode beschrieben wurde, oder auch prophetisch-samaritanisch, wie es auf der Amazonassynode erläutert wurde: In einer Welt, die sich durch den Klimawandel, die Globalisierung und die Digitalisierung extrem verändert, versucht die Offene Gemeinde Heilig Kreuz, zeitgemäß mit Blick auf die Zukunft (das meint „prophetisch“) die froh machende Botschaft des Evangeliums auszulegen und achtsam gegenüber der Schöpfung und den Menschen zu sein, die unter die Räder dieser Veränderungen geraten – w

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Teil des christlichen Glaubens sind aber auch die sehr beliebten und anerkannten Wohlfahrtsverbände wie die Caritas oder die Diakonie, die beide eine gute Arbeit machen. Außerdem gibt es zahlreiche Initiativen wie Eine-Welt-Läden, Jugendverbände, unser "Café Asyl" in Neuwied und neuerdings das "Café Kiew". Wir wollen diese drei Stränge, also unternehmerische Diakonie, Initiativen von engagierten Leuten und die Sonntagskirchgänger zusammenbringen.

Wenn wir auf den Sonntag gucken, versuchen wir Menschen in die Sonntagsgottesdienste einzuladen. Da wird dann aus der Notlage des Priestermangels eine Chance. Als Gemeinde haben wir jeden dritten Sonntag keine heilige Messe mehr. An diesen Sonntagen gestalten wir das Gemeindeleben anders. Bei sonntäglichen Wort Gottes-Feiern mit Kommunionausteilung stehen Frauen am Altar und leiten den Gottesdienst.

Zum Beispiel haben wir letzten Sonntag die ukrainischen Flüchtlinge eingeladen, die bei uns im vakanten Pfarrhaus leben - drei Familien sind es im Augenblick. Wir haben mit den orthodoxen Christen aus der Ukraine das Brot geteilt und im Anschluss gab es eine Suppe mit Würstchen vor der Kirche.

Wir versuchen als Gemeinde Dinge neu zusammen zu binden. Das geht auch unter der Woche mit den Menschen, die zur Tafel kommen. Die Menschen werden nicht nur mit Lebensmitteln versorgt, sondern es wird auch ein Mittagessen gekocht und gemeinsam gegessen. Also wir versuchen Menschen, die sehr unterschiedlich sind, zusammenzubringen, die bürgerliche Gemeinde und die Aktiven in der Sozialarbeit.

DOMRADIO.DE: Ecken Sie mit Ihren Aktionen innerhalb der Kirche und mit Ihren anderen Vorstellungen von Kirche schon mal an?

Freise: Bisher wurde die Gemeinde sehr positiv wahrgenommen. Wir erleben auch vonseiten der Diözesanleitung in Trier Unterstützung. Was wir machen, wird gewünscht. Manches ist vielleicht ungewohnt. An diesen Stellen muss man das dann mit der Leitung der Pfarrei Neuwied St. Matthias absprechen.

Wir haben zum Beispiel in der Coronazeit die Kirchenbänke zu einem Kreis zusammengestellt. So konnten wir trotz Abstand, den wir während Corona brauchten, doch noch ein Gemeinschaftsgefühl entwickeln, weil nicht alle nach vorne auf den Altar geguckt haben. Also manches ist vielleicht ungewohnt, aber wir erleben erstaunlich viel Zuspruch.

Das Interview führte Martin Mölder.

Quelle:
DR