DOMRADIO.DE: Wie ordnen Sie das Wahlergebnis in Gelsenkirchen ein?
Markus Pottbäcker (Propsteipfarrei St. Augustinus Gelsenkirchen und Gelsenkirchener Stadtdechant): Wir waren durch die Bundestagswahl schon vorbereitet. Damals hat die AfD in einigen Stadtteilen sogar über 30 Prozent bekommen. In der Gesamtstadt hat sie in den Zweitstimmen sogar eine knappe Mehrheit vor der SPD erhalten.
Das Ergebnis bei den Kommunalwahlen jetzt war nach diesen Vorerfahrungen nicht überraschend. Die Thematiken, die sich damit verbinden, sind uns allen schon länger vertraut. Die Frustration vieler Leute, auch hier in der Stadt, hat sich über viele Jahre und Jahrzehnte angestaut. Das Ergebnis davon erleben wir jetzt.
DOMRADIO.DE: Als Kirche müssen sie sich dieser neuen Situation stellen. Wie gehen Sie damit um?
Pottbäcker: Wir arbeiten als Stadtkirche in unterschiedlichen Ausschüssen des Rates der Stadt zusammen. Wir sind dort vertreten und werden mit Sicherheit bei einer so starken AfD-Fraktion auf mehr Konfrontation stoßen. Da bin ich mir sicher, weil unsere Positionen weit auseinanderliegen.
Nichtsdestotrotz sind wir keine Partei. Wir können keine Brandmauer errichten. Das ist nicht Ziel und Zweck des Auftrages und der Botschaft Jesu. Wir müssen in irgendeiner Form in einen Dialog kommen. Nur muss der Dialog auf beiden Seiten mit Respekt verbunden sein.
DOMRADIO.DE: Von der Deutschen Bischofskonferenz gibt es eine klare Aussage, dass die AfD aufgrund ihres Menschenbildes und Programms für Katholiken nicht wählbar ist. Haben Sie diese Stellungnahme auch Ihrer Gemeinde mitgeteilt?
Pottbäcker: Das haben wir mitgeteilt. Es ist auch in der Kerngemeinde und bei vielen Gremien sehr positiv aufgenommen worden, dass es eine klare Positionierung gibt. Danach verfahren wir auch. Nichtsdestotrotz kommen wir um die Realität nicht herum.
Faktum ist, dass sehr viele Menschen hier in unserer Stadt die AfD gewählt haben, weil sie entweder frustriert sind oder einer sehr rechtsextremen Gesinnung angehören. Dem müssen wir uns stellen. Wir müssen als Kirche irgendwie versuchen, in einen Dialog einzutreten. Das gilt nach meiner Wahrnehmung generell. Wir sind herausgefordert und müssen jetzt die christliche Botschaft deutlich machen. Denn die Selbstverständlichkeit dessen, was die christliche Botschaft ist, ist nicht mehr selbstverständlich.
DOMRADIO.DE: Unter katholisch Engagierten gibt es sicherlich auch AfD-Wähler. Wie gehen Sie damit um?
Pottbäcker: Zum einen ist erst einmal eine Abgrenzung wichtig. Wir müssen innerhalb der Kirche deutlich machen, dass die Botschaft der AFD mit all den extremen Positionen mit der Botschaft Jesu Christi nicht vereinbar ist. Diese Kernbotschaft, dass Menschen in unterschiedlicher Weise klassifiziert werden, ist jenseits aller biblischen Dokumente. Das ist der Botschaft Jesu völlig konträr entgegengesetzt.
Ich kann aus christlicher Überzeugung nicht von "Remigration" sprechen. Ich muss alle Menschen als Menschen ansehen. Das ist die biblische und jüdisch-christliche Botschaft, dass alle Menschen Geschöpfe Gottes sind. Das ist eine andere Grundlage, als wenn ich anfange zu klassifizieren, wie das in Teilen der AfD der Fall ist.
DOMRADIO.DE: Kann es in Einzelfällen gelingen, im Dialog den Menschen nahezukommen?
Pottbäcker: Das ist meine Hoffnung, dass uns das gelingt. Wir müssen schauen, dass wir in einen Dialog erst mal richtig eintreten können. Ich nehme wahr, dass viele AFD-Wähler nach wie vor nicht nach außen tragen, was ihre Positionen sind. Zum Teil wird ein Frust der letzten Jahre thematisiert, den man durchaus nachvollziehen kann. Dieser Frust wird aber nur diffus in Worte gefasst.
Ich kann durchaus sagen, dass ich von den etablierten Parteien frustriert bin und von denen nichts mehr erhoffe. Ich übernehme dieses Vokabular jetzt nur mit dicken Anführungsstrichen. Wenn ich aber eine Art Protestwahl mache, steckt noch mehr dahinter. Eine bestimmte Sympathie für Positionen muss ich schon mitbringen, sonst würde ich, glaube ich, das nicht machen. Da ist es dann immer schwierig, in einen Dialog einzutreten.
DOMRADIO.DE: Was kann die Kirche tun? Ist es wichtig, soziales Engagement zu zeigen?
Pottbäcker: Ja, unbedingt. Das ist für uns ein entscheidendes Thema. Wir sind in der Stadt Gelsenkirchen im Bereich des Sozialportfolios sehr breit aufgestellt. Wir haben eine tolle Jugendberufshilfe-Einrichtung. Wir haben in der Caritas einen Player, der sehr engagiert bei der Flüchtlings- und in der Migrationshilfe tätig ist, aber auch bei den Obdachlosen.
Wir sind dabei, unser soziales Engegament stärker in den Vordergrund zu stellen. Das ist auch das Programm im Bistum Essen, dass unsere Botschaft wesentlich darauf beruht. Denn über die Gottesdienstbesuchenden werde ich die Thematiken nicht unbedingt an den Mann und an die Frau kriegen.
Wenn wir aber bei echten sozialen Herausforderungen helfen, ist die Chance etwas mehr gegeben. Ich sehe das als einen entscheidenden Auftakt von Kirche, sich im Rahmen der Botschaft Jesu genau da zu engagieren.
DOMRADIO.DE: In knapp zwei Wochen sind die Stichwahlen. Wird es einen AfD-Bürgermeister in Gelsenkirchen geben?
Pottbäcker: Das glaube ich nicht. Meine persönliche Einschätzung ist, dass Frau Henze (SPD) das Rennen machen wird. Zumal, soweit ich weiß, die anderen Parteien wahrscheinlich eine Unterstützungsaussage geben werden.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass der AfD-Kandidat Oberbürgermeister von Gelsenkirchen wird. Das sind nicht genug Stimmen, denn das Potenzial scheint mir erschöpft. Ich glaube nicht, dass da noch viel Raum bleibt.
Das Interview führte Johannes Schröer.