Gelsenkirchener Gemeinde sieht AfD-Anzeige gelassen

"Den Schuh ziehe ich mir nicht an"

Haben zwei Kirchengemeinden mit ihrem Glockengeläut eine AfD-Wahlkampfveranstaltung gestört? Darüber könnte bald ein Gericht entscheiden. Propst Markus Pottbäcker weist den Vorwurf von sich: Glockengeläut sei nicht politisch.

Die beiden Türme von St. Augustinus und der evangelischen Stadtkirche in Gelsenkirchen / © Opterix (shutterstock)
Die beiden Türme von St. Augustinus und der evangelischen Stadtkirche in Gelsenkirchen / © Opterix ( shutterstock )

 

Wahlkampfauftakt der AfD in Gelsenkirchen / © Caroline SeidSeidel-Dißmannel (dpa)
Wahlkampfauftakt der AfD in Gelsenkirchen / © Caroline SeidSeidel-Dißmannel ( dpa )

DOMRADIO.DE: Wie viele AfD-Anhänger hatten sich versammelt und wie häufig haben Sie die Glocken geläutet?

Propst Markus Pottbäcker (St. Augustinus Gelsenkirchen): Nach meiner Kenntnis waren es um die 150 Personen, die da waren und wir haben geläutet. Wir haben seit Ende Februar angesichts des Krieges in der Ukraine ein Friedensgebet jeden Samstag um zwölf Uhr. Und wie bei jeder Andacht, bei jedem Gottesdienst außer Karfreitag und Karsamstag, läuten wir vor dem Gottesdienst.

Das war um viertel vor zwölf. Für ein paar Minuten, vielleicht fünf Minuten. Das kann ich auf die Sekunde jetzt nicht sagen. Und um zwölf Uhr läutet es halt zum Angelus, wie man das so kennt. Sowohl bei der evangelischen Kirche, die keine hundert Meter von der Augustinus Kirche entfernt ist, als auch bei uns.

DOMRADIO.DE: Haben Sie tatsächlich nur Glocken geläutet oder gab es noch andere Aktionen?

Pottbäcker: Wir haben das Friedensgebet tatsächlich auch ein bisschen inhaltlich ausgestattet, dass wir eben von so manchen Hassparolen, die oft in die Welt gesetzt werden oder zumindest toleriert werden – auch von der AfD –, darauf haben wir schon inhaltlich Bezug genommen. Aber wir haben weiter nichts anderes gemacht.

Propst Markus Pottbäcker (privat)
Propst Markus Pottbäcker / ( privat )

DOMRADIO.DE: Jetzt hat die AfD sie angezeigt, beide Kirchen, und stützt sich dabei auf Paragraph 21 des Versammlungsgesetzes. Danach ist es untersagt, nicht verbotene Versammlungen oder Aufzüge zu vereiteln oder grobe Störungen zu verursachen. Ziehen Sie sich den Schuh an?

Pottbäcker: Nein, den ziehe ich mir überhaupt nicht an. Die Altstadtkirche steht an der Stelle, wo ich glaube seit dem elften Jahrhundert eine Kirche stand und auch immer wieder gestanden hat. Die Augustinuskirche ist erst seit 1874 da, aber das ist schon auch ganz schön lange. Und seit dieser Zeit wird hier immer um 12 Uhr Angelus geläutet, morgens um sieben und abends um sechs. Übrigens etwas, was es seit dem, wenn ich es richtig sehe, 13. und 14. Jahrhundert in der katholischen Kirche gibt.

Also wenn man eine Wahlkampfveranstaltung zwischen zwei Kirchengebäuden macht und das vielleicht nicht unbedingt wissen muss, dass um 12 Uhr da geläutet wird, dann ist das aber trotzdem keine grobe Störung, denn wir waren da eher, das muss man dann wirklich sagen.

DOMRADIO.DE: Also richtig überraschend kam dieses Geläut nicht. Fakt ist aber, dass der Ton in der Gesellschaft definitiv rauer geworden ist. Immer dann auch, wenn die AfD im Spiel ist. Was haben Sie jetzt für Reaktionen auf das Läuten bekommen und auch auf die Folgen?

Pottbäcker: Ja, es gibt so zwei Reaktionen. Die einen sagen: Toll, dass ihr das macht. Wobei ich schon immer auch mal darauf hinweise: Ich möchte weder so noch so instrumentalisiert werden. In gewisser Weise. Also es war halt das normale Läuten zur Andacht bzw. zum Angelus. Meine persönliche Meinung spielt da ja vielleicht erst mal gar nicht so eine große Rolle.

Wahlkampfauftakt der AfD in Gelsenkirchen / © Caroline SeidSeidel-Dißmannel (dpa)
Wahlkampfauftakt der AfD in Gelsenkirchen / © Caroline SeidSeidel-Dißmannel ( dpa )

Aber es gibt eben auch die andere Reaktionsweise, dass uns gesagt wird: Wie können Sie es wagen, eine demokratische Partei in dieser Weise zu stören? Den Leuten sage ich: Wenn da die CDU, die SPD oder wer auch immer eine Wahlkampfveranstaltung gemacht hätte, hätte es auch geläutet. Wir schalten die Glocken deswegen nicht ab. Wir schalten die auch nicht ab, wenn Stadtfeste sind oder so etwas.

DOMRADIO.DE: Was sagen die Leute in der Gemeinde?

Pottbäcker: Von da kommen relativ positive Rückmeldungen. Denn ich meine, das muss man natürlich auch schon sagen, die AfD ist eine umstrittene Partei und Frau Weidel, die ja hier gesprochen hat, ist natürlich auch eine sehr umstrittene Persönlichkeit. Und die Menschen, die mit ihr politisch nicht übereinstimmen, freuen sich dann immer darüber, wenn da mal Zeichen gegen gesetzt werden.

DOMRADIO.DE: Wie hält es die Kirche denn generell mit politisch motiviertem Läuten?

Pottbäcker: Es gibt klare Anweisungen von der Bischofskonferenz, dass die Glocken nur für liturgische Zwecke zu benutzen sind. Dem werde ich natürlich immer Folge leisten, bis auf eine Ausnahme. Wenn nämlich Schalke Deutscher Meister wird, dann werde ich ganz bestimmt die Glocken in ganz Gelsenkirchen läuten lassen.

Aber ansonsten ist das natürlich ein schwieriges Parkett, wenn man sich darauf einlässt zu sagen: Wir läuten jetzt sehr bewusst gegen eine Partei, ob meine persönliche Meinung davon jetzt tangiert ist oder nicht, dann muss ich mich immer fragen lassen: Muss ich es bei einer anderen auch? Das – glaube ich – ist tatsächlich ein schwieriges Terrain. Das würde ich auch tatsächlich zugestehen.

Markus Pottbäcker

"Wenn man eine Wahlkampfveranstaltung zwischen zwei Kirchengebäuden macht und das vielleicht nicht unbedingt wissen muss, dass um 12 Uhr da geläutet wird, dann ist das aber trotzdem keine grobe Störung, denn wir waren da eher."

DOMRADIO.DE: Der Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen fängt ja gerade erst an. Es wird bestimmt wieder AfD-Wahlkampfveranstaltungen geben. Wissen Sie schon, wie Sie es da halten werden?

Pottbäcker: Ich weiß jetzt tatsächlich von keiner größeren Veranstaltung. Es werden ja wahrscheinlich hauptsächlich kleinere Stände sein. Ich weiß, dass die Linken hier eine Veranstaltung in der Gelsenkirchener Innenstadt machen werden und Herr Bartsch wird kommen. Aber die haben sich auf den Bahnhofsvorplatz kapriziert und da sind sie weit genug weg von den Glocken. Also da werden die sicher nicht gestört werden. So weit reicht der Schall dann nicht. Also ich glaube, das muss man einfach bei der Auswahl der Lokalität auch im Hinterkopf behalten.

DOMRADIO.DE: Wie besorgt gucken Sie jetzt auf die Anzeige, die da im Raum steht?

Pottbäcker: Da glaube ich schlicht, was ich auch eingangs sagte. Dadurch, dass das Glockengeläut einfach täglich ist. – ich meine, das kann die Staatsanwaltschaft gerne überprüfen und das wird sie vielleicht sogar auch hören – sehe ich da sehr, sehr locker dem Ganzen entgegen. Ich meine, dann müssten wir, wenn Veranstaltungen in der Stadt wären, jedes Mal das Geläut einstellen.

Es gibt jeden Mittwoch einen Feierabendmarkt hier in Gelsenkirchen unmittelbar an der Kirche. Da können sich die Leute um 19 Uhr auch nicht mehr unterhalten, wenn abends dann geläutet wird. Das müssten wir ja alles immer einstellen. Ich meine, das ist dann eine Grundsatzfrage, die – glaube ich – nicht auf der Ebene der Stadt Gelsenkirchen geklärt werden kann. Ich bin da völlig gelassen.

Das Interview führte Hilde Regeniter.

Zeitung: AfD zeigt Kirchengemeinden wegen Glockengeläuts an

Die AfD in Gelsenkirchen hat nach einem Bericht der "WAZ" eine evangelische und eine katholische Kirchengemeinde wegen andauernden Glockenläutens bei einer Wahlkampfveranstaltung angezeigt. Die Anzeige werde jetzt zur Überprüfung an die Staatsanwaltschaft gegeben, sagte ein Polizeisprecher der "WAZ".

AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel / © Kay Nietfeld (dpa)
AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel / © Kay Nietfeld ( dpa )
Quelle:
DR
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