Gangelter Pfarrer sieht auch heute noch die Folgen der Corona-Pandemie

"Corona war eine Art Katalysator"

Vor fünf Jahren schlossen im ersten Corona-Lockdown Schulen, Geschäfte und andere Einrichtungen. Doch schon Wochen zuvor wurde die Gemeinde Gangelt zum ersten Corona-Hotspot. Pfarrer Daniel Wenzel erinnert sich an die Ereignisse.

Autor/in:
Jan Hendrik Stens
Erlangte im Februar 2020 medial bundesweite Bekanntheit: das Gangelter Stadttor / © Oliver Berg (dpa)
Erlangte im Februar 2020 medial bundesweite Bekanntheit: das Gangelter Stadttor / © Oliver Berg ( dpa )

DOMRADIO.DE: Welche Bilder von damals haben Sie heute noch in Ihrem Kopf?

Pfarrer Daniel Wenzel (privat)
Pfarrer Daniel Wenzel / ( privat )

Daniel Wenzel (Pfarrer der Weggemeinschaft Gangelt): Es war eine Zeit, in der viele Entscheidungen getroffen werden mussten. Als wir jetzt vor einigen Tagen Karneval gefeiert haben, drängte sich noch die eine oder andere Erinnerung auf; sei es bei der Kappensitzung in Langbroich, sei es aber auch im kleinen Kreis, als wir den Hoppeditz beerdigt haben. Da wurden doch noch einmal Erinnerungen wach, wie damals das Telefon nicht stillstand.

DOMRADIO.DE: Wie haben Sie damals vor fünf Jahren als leitender Pfarrer auf die Verbreitung des Coronavirus in Ihrer Gemeinde reagiert, noch bevor im März der nationale Lockdown kam?

Daniel Wenzel

"Schon in der Nacht zu Aschermittwoch war die Frage im Raum, ob überhaupt die Gottesdienste stattfinden konnten, sollten, durften."

Wenzel: Es war eigentlich ein mehr Reagieren als großes Nachdenken. Wir mussten spontan Entscheidungen treffen. Schon in der Nacht zu Aschermittwoch war die Frage im Raum, ob überhaupt die Gottesdienste stattfinden konnten, sollten, durften. Damals war da noch eher das Narrativ, das wir es selbstverständlich akzeptieren, wenn die Schulen nicht kommen wollen, wir es aber weiterhin grundsätzlich anbieten.

Das war ein paar Tage später schon ganz anders. Da haben wir von uns aus gesagt, dass wir reduzieren, dass wir in den Gottesdiensten keine Kommunion mehr austeilen. Es hat am Donnerstag nach Karneval Gespräche gegeben, in denen es um Beerdigungen ging, ob die überhaupt noch auf öffentlichen Friedhöfen stattfinden konnten.

Landrat Pusch hatte damals gesagt, dass am besten alle zu Hause bleiben. Am Donnerstagmorgen habe ich also erst einmal Stunden am Telefon verbracht, um herauszufinden, ob wir für die Beerdigung nachmittags überhaupt noch auf dem Friedhof durften.

St. Nikolaus in Gangelt / © Jan Hendrik Stens (DR)
St. Nikolaus in Gangelt / © Jan Hendrik Stens ( DR )

DOMRADIO.DE: Dann kam der nationale Lockdown. Alles war lahmgelegt, Ostern fiel mehr oder weniger aus. Einige Pfarreien haben für die Ostergottesdienste zu Onlineübertragungen gegriffen. Manche haben zu einem bestimmten Zeitpunkt die Glocken geläutet. Welche Möglichkeiten haben Sie genutzt, Ostern dennoch in der Gemeinde irgendwie unter die Menschen zu bringen?

Wenzel: Wir haben beim ersten Osterfest auch viel online angeboten: Impulse, die wir gesetzt haben. Ich machte ein paar Aufnahmen von einem Osterfeuer, welches ich bei mir im Garten entzündet hatte. Wir haben dann das Osterfeuer als Ewiges Licht in die Kirchen getragen, wo es sich die Leute dann, so sie es wünschten, ähnlich den Friedenslichtern abholen und nach Hause nehmen konnten.

Ansonsten haben wir einfach versucht die Botschaft zu versenden, dass wir, auch wenn wir uns nicht in der Kirche treffen, trotzdem vereint beten können; jeder für sich zu Hause. Zum Osterfest hat es einen Flyer mit einer Einladung zu einem Gebet zu Hause gegeben, den wir dann in der Tagespresse verteilt haben. Ähnliches hat es dann auch noch einmal zu Weihnachten gegeben.

DOMRADIO.DE: Im Sommer wurden allmählich die Maßnahmen gelockert, dann zum Winter hin wieder verschärft. Es hat also immer ein leichtes Auf und Ab gegeben. Wie lange hat es gedauert, bis Ihre Gemeinden wieder einigermaßen zur Normalität zurückgefunden haben?

Daniel Wenzel

"Ein sehr markanter Punkt war damals der Rücktritt vom Rücktritt von Bundeskanzlerin Merkel, die zuerst gesagt hat, dass Ostern ausfällt."

Wenzel: Das waren oft sehr fließende Übergänge. Ein sehr markanter Punkt war damals der Rücktritt vom Rücktritt von Bundeskanzlerin Merkel, die zuerst gesagt hat, dass Ostern ausfällt. Und dann hat es doch wieder stattgefunden. Danach ging es eigentlich peu à peu. Gottesdienste fanden mit Abstandsregelung statt. Die wurden dann langsam gelockert. Es war wirklich ein fließender Übergang. Letzte Desinfektionsfläschchen, die wir in den Kirchen stehen hatten, haben wir erst vor ein paar Wochen, Monaten aus den Sakristeien entfernt, weil sie immer da standen und keiner sie bewusst wegräumen wollte.

Handdesinfektion in der Kirche / © Heide Pinkall (shutterstock)
Handdesinfektion in der Kirche / © Heide Pinkall ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Welche Auswirkungen hat Corona bis heute auf Ihr Gemeinde- und Gottesdienstleben?

Wenzel: Corona war eine Art Katalysator, der gewisse Prozesse beschleunigt hat. Wir hatten schon vor Corona gemerkt, dass es insgesamt eine Profanisierung der Gesellschaft gibt, weniger Nachfrage, dass der Pastor als Ehrengast irgendwo eingeladen worden ist, dass er irgendwohin zur Einweihung eines Hauses gerufen wurde. Das gibt es zwar immer noch, aber immer weniger.

Corona war sicherlich ein Punkt, wo viele Leute von heute auf morgen wegen der Infektionsgefahr nicht in die Kirche gehen durften. Ein paar Monate später haben sie sich dann gefragt, warum sie das überhaupt noch sollen. Als dann die Beschränkungen aufgehoben waren, haben sie gar nicht mehr damit angefangen.

DOMRADIO.DE: Die Kirchen sind also leerer als vor Corona, kann man sagen.

Wenzel: Ja.

DOMRADIO.DE: Der Gangelter Bürgermeister Guido Willems blickt heute kritisch auf das damalige Handeln zurück. Es habe auch viel Panik und Hysterie geherrscht. Man hätte viele Sachen schneller abarbeiten können, wenn man mehr Ruhe bewahrt hätte, so heißt es in einer Berichterstattung des WDR. Wie ist Ihr persönliches Resümee als Pfarrer der Gemeinden in Gangelt?

Daniel Wenzel

"Sicherlich hätte man mit dem Wissen von heute einige Dinge anders entscheiden können."

Wenzel: Panikmache ist ein Urteil, das man von heute aus treffen könnte, wenn man denn wollte. Ich finde es immer schwierig, aus heutiger Perspektive ein Urteil über das Handeln von damals zu treffen, zumindest wenn es moralisch orientiert ist.

Sicherlich hätte man mit dem Wissen von heute einige Dinge anders entscheiden können. Aber es gab damals keine Blaupause. Man musste spontan entscheiden und es war dann, wie es war.

DOMRADIO.DE: Es gibt auch im Nachhinein Kritik an den Kirchen, sie hätten ihre Gläubigen im Stich gelassen. Andere weisen das zurück, gerade die Kirchen hätten neue Mittel und Wege versucht, an die Gläubigen heranzukommen. Wie sehen Sie das?

Wenzel: Von mir aus kann ich sagen, dass wir bemüht waren, die Leute zu erreichen. Ob das alle wahrgenommen haben, das muss man die Leute fragen. Es gab aber auch teilweise unreflektierte, spontane Äußerungen, wenn wir schon keine Gottesdienste halten, dann hätten wir die alten Leute wenigstens zu Hause besuchen können. Wer dann ein bisschen weiterdenkt, merkt schon sehr schnell, dass Hausbesuche wegen der Infektionsgefahr wenig Sinn gemacht haben.

Nichtsdestotrotz haben wir versucht, durch Telefonate, durch Videoaufzeichnungen irgendetwas zu machen. Für viele war das Neuland, da irgendetwas hinzukriegen. Insofern würde ich sagen, dass wir im Rahmen der Möglichkeiten nicht schlecht reagiert haben. Mit dem Wissen von heute hätte man Dinge vielleicht anders machen können. Man hätte andere thematische Schwerpunkte setzen können. Aber das ist immer das berühmte: Im Nachhinein ist man schlauer.

Das Interview führte Jan Hendrik Stens.

Gangelt war der erste Corona-Hotspot

Einer der ersten bekannten Corona-Hotspots in Deutschland vor fünf Jahren war der Kreis Heinsberg in Nordrhein-Westfalen. Der Kreis an der Grenze zu den Niederlanden wurde damals in einem Atemzug mit Ausbruchsorten in China und Italien genannt, erinnert sich der Heinsberger Landrat Stephan Pusch. "Warum poppt das ausgerechnet bei uns auf?", sei seine erste Reaktion gewesen, erinnert sich der Landrat im Gespräch mit der "Aachener Zeitung". 

Ein Wegweiser zur Stadt Gangelt im Kreis Heinsberg steht an einer Straße. / © Roberto Pfeil (dpa)
Ein Wegweiser zur Stadt Gangelt im Kreis Heinsberg steht an einer Straße. / © Roberto Pfeil ( dpa )
Quelle:
DR

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