Sportseelsorgerin blickt auf den Beginn der EM

Fußball hat Integrationskraft

Ob aktiver Sportler oder passiver Zuschauer, Fußball interessiert quer durch die Gesellschaft und verbindet, meint die deutsche Sportseelsorgerin Elisabeth Keilmann. Sie freut sich auf die Europameisterschaft. 

Autor/in:
Rainer Nolte
Fußball-EM in der Arena in München / © Sven Hoppe (dpa)
Fußball-EM in der Arena in München / © Sven Hoppe ( dpa )

KNA: Frau Keilmann, Deutschland konnte schon über den EM-Titel der U21 jubeln - braucht die Gesellschaft in Pandemiezeiten solche Momente?

Elisabeth Keilmann (Geistliche Beirätin des katholischen DJK-Sportverbandes und Olympiaseelsorgerin der Bischofskonferenz): Ja, Fußball ist nicht nur ein Spiel. Er hat eine große gesellschaftliche Bedeutung, bewegt und begeistert viele Menschen.
Nicht nur die, die Sport treiben, sondern auch die, die als Zuschauer emotional dabei sein können. Gerade bei Großveranstaltungen wie einer EM werden Millionen von Menschen erreicht und es kann eine Botschaft der Verständigung gesendet werden.

KNA: Wie meinen Sie das?

Keilmann: Fußball kann über Grenzen und Kulturen verbinden und hat damit auch eine Integrationskraft. Dabei ist aber entscheidend, an Werten festzuhalten, die für die Gesellschaft wichtig sind, wie Fairness, Respekt, Achtung, Wertschätzung, Transparenz und Solidarität.

KNA: Kann eine EM in der Pandemie auch kritisch gesehen werden?

Keilmann: Wegen Corona wurde das Turnier um ein Jahr verschoben, aber dennoch bewegt das Virus mit seinen Mutationen die Welt weiterhin und auch die Europameisterschaft. Die Uefa hat Corona-Regeln aufgestellt.
Ich freue mich als Fußballfan zwar auf eine EM, finde es aber zu diesem Zeitpunkt teilweise noch schwierig, dass Spiele vor Fans in Stadien ausgetragen werden.

KNA: Umso wichtiger ist es, dass nicht nur die Profis spielen dürfen...

Keilmann: Absolut. Der Amateurfußball stand lange still und die Spieler fühlten sich benachteiligt. Es ist wichtig, dass der Amateurfußball mit disziplinierten und ausgearbeiteten Hygienekonzepten wieder stattfinden kann. Zudem verweise ich auf eine Petition des Deutschen Fußball-Bundes und des Deutschen Olympischen Sportbundes für den Amateursport, über den Fußball hinaus, unter dem Titel "Draußen muss drin sein".

KNA: Die EM wird erstmals nicht in einem Land, sondern in ganz Europa ausgetragen. Was halten Sie davon?

Keilmann: Das ist ein schönes Zeichen, weil Fußball verbinden kann.
Menschen aus Europa sollten zusammenkommen und feiern. Das war die Idee der Uefa zum 60-Jahr-Jubiläum: Europa zusammenzubringen und den
Fußball zu den Fans zu bringen. Wichtig ist dabei, dass es eine gute internationale Zusammenarbeit gibt und dass die Förderung von Vielfalt und Transparenz in diesem Bereich eine große Rolle spielt.
Wesentlich ist außerdem, dass der Gedanke des Fair Play und die Einhaltung von Regeln dabei berücksichtigt werden.

KNA: Der Sport gerät manchmal etwas ins Hintertreffen bei den großen Transfersummen und Geschäften. Geht der Spaß am Sport dadurch verloren?

Keilmann: Da bleibt schon etwas auf der Strecke, wenn manches intransparent und nicht offen ist. Ich möchte an dieser Stelle Papst Franziskus zitieren, der vor zwei Jahren vor Fußballern in Italien gesprochen hat. Er sagte an die Fußballmanager gerichtet: «Ich bitte euch, dass die Schönheit des Fußballs nicht in finanziellen Verhandlungen endet.» Der Blick sollte auf das Spiel gerichtet werden, auf die Freude, die Begeisterung miteinander und die Gemeinschaft. Es braucht bei den hohen Gehältern und Transfersummen ein gutes Augenmaß, eine wirtschaftliche Verantwortung und eine ethische Vertretbarkeit.

KNA: Für Bundestrainer Jogi Löw ist es das letzte Turnier. Er fungiert für viele Kinder auch als Vorbild, oder?

Keilmann: Ja, er hat Erfolge und Niederlagen erlebt und konnte damit umgehen. So etwas zu transportieren, finde ich auch für Kinder und Jugendliche wichtig: dass nicht nur der Sieg zählt, sondern auch der Umgang mit Niederlagen. Ich glaube, Löw ist ein Trainer mit Leidenschaft, der Spielfreude in die Mannschaft gebracht hat, empathisch war und vielleicht auch manchmal auch etwas experimentierfreudig. Er hat oft eine ganz junge Mannschaft aufgestellt. Jetzt zur EM holt er wieder die erfahrenen Spieler mit hinein. Ich glaube, das ist eine gute Mischung.

KNA: Dann hoffen wir auf ein gutes Ergebnis. Dafür kann man ja auch mal beten. Wie sehen Sie religiöse Riten beim Fußball?

Keilmann: Ich denke, dass man für das beten darf, was einem am Herzen liegt. Einige Spieler bekreuzigen sich vor den Spielen oder schauen in den Himmel. Das Kreuzzeichen ist ein alter christlicher Ritus.
Sich als Zuschauer oder Sportler vor dem Spiel bewusst unter den Segen und den Willen Gottes zu stellen, kann jeden beruhigen und vielleicht zu einem sportlichen Wettkampf motivieren.

KNA: Also kann der Fußballgott etwas bewegen?

Keilmann: Das hat nichts mit Magie zu tun. Das wäre ein falsches Verständnis. Das Kreuzzeichen ist kein magisches Ritual, sondern ich stelle mich, mein Leben, unter Gottes Segen. Das finde ich hilfreich, und es kann zu einer guten Konzentration führen, um sich gut auf den Wettkampf einzulassen. Vielleicht schließt es die Bitte um Fairness ein.

KNA: Nach der EM kommt Olympia. Wie sind die gesellschaftspolitischen Unterschiede zwischen einem "kleinen" Fußballturnier und den Sommerspielen in Tokio?

Keilmann: Weil die Spiele weltumspannend mit vielen Sportarten sind, haben sie eine größere gesellschaftliche Funktion. Spitzensport in Deutschland hat eine Vorbildfunktion und Spitzensportler können Werte vermitteln. Da sehe ich bei den Olympischen Spielen eine große Integrationsfunktion, die vielleicht auch andere Menschen dazu motiviert, Sport zu treiben. Ein wichtiger Aspekt ist auch das internationale Miteinander. Nicht zu vergessen ist der olympische Geist: Bis heute ist die Idee der Fairness und des weltumspannenden Friedens des Erfinders der modernen Olympischen Spiele, Pierre de Coubertin, ein sehr schöner und wichtiger Aspekt.

KNA: Fahren Sie als deutsche Olympiaseelsorgerin zu den Spielen nach Tokio?

Keilmann: Nein, ich und auch mein evangelischer Kollege, Olympiapfarrer Thomas Weber, werden nicht hinfliegen. Es gab einige Gespräche mit dem Deutschen Olympischen Sportbund und dem Deutschen Behindertensportverband, die die Sportseelsorge schätzen, aber es soll möglichst alles risikolos stattfinden. Wir überlegen, wie wir den Umständen entsprechend eine angepasste Betreuung der deutschen Mannschaft ohne Präsenz vor Ort realisieren können und entwickeln neue - digitale - Formate, um die Begleitung zu gewährleisten. Dazu zählen Online-Gottesdienste, Gedankenimpulse und auch persönliche Gespräche im Videochat. Wir werden Begleitschreiben verfassen und versuchen, ständig digital mit den Athletinnen und Athleten in Tokio in Kontakt zu sein. Für Extremfälle hätten wir in einer evangelischen und katholischen Gemeinde Seelsorger vor Ort.


Elisabeth Keilmann / © N.N. (DJK)
Elisabeth Keilmann / © N.N. ( DJK )
Quelle:
KNA