Debatte um Immunitätsausweis für von Corona genesene Bürger

Mehr Freiheit - oder Spaltung der Gesellschaft?

Sollen Bürger, die eine Corona-Infektion überstanden haben, künftig einen Immunitätsausweis erhalten? Dieser Vorschlag von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn wird derzeit stark diskutiert. Spahn selbst hat den Ethikrat eingeschaltet.

Autor/in:
Christoph Arens
Symbolbild Viruszellen / © ffikretow@hotmail.com (shutterstock)
Symbolbild Viruszellen / © ffikretow@hotmail.com ( shutterstock )

Was plant der Bundesgesundheitsminister?

Am Donnerstag debattiert der Bundestag in Erster Lesung das "Zweite Gesetz zum Schutz der Bevölkerung in einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite". Es sieht unter anderem die Einführung eines Immunitätsausweises für genesene Covid-19-Patienten vor.

Wörtlich heißt es in dem Gesetzentwurf: "Eine Immunitätsdokumentation soll künftig analog der Impfdokumentation (auch zusammen in einem Dokument) die mögliche Grundlage dafür sein, eine entsprechende Immunität nachzuweisen." In Köln sollen in dieser Woche erste Tests mit Freiwilligen starten, die nach Antikörpertests ihren Corona-Status in einer Smartphone-App speichern lassen. Ein Unternehmen hat mit der Uniklinik Köln, der Bundesdruckerei und dem Gesundheitsamt Köln eine entsprechende App entwickelt.

Gibt es international ähnliche Pläne?

Länder wie Chile haben angekündigt, genesenen Patienten "Gesundheitspässe" auszustellen und sie wieder zur Arbeit zu schicken. Urlaubsländer wie Österreich haben signalisiert, bei möglichen Einreisen im Sommerurlaub Nachweise über den Corona-Infektionsstatus verlangen zu wollen.

Wie begründet Spahn sein Vorhaben?

Aus seiner Sicht würde ein solcher Pass gerade bei Beschäftigten im Gesundheitswesen und in Senioreneinrichtungen einen großen Unterschied machen. Ärzte und Pflegekräfte könnten dann ohne Ansteckungsgefahr überall eingesetzt werden. Spahn verweist darauf, dass ein solcher Immunitätspass nichts Neues wäre, weil auch alle Impfungen in Impfpässen eingetragen und damit Immunitäten dokumentiert werden.

Welche positiven Folgen könnte ein solcher Ausweis noch haben?

Für Bürger, die die Krankheit überstanden haben, könnten möglicherweise Kontaktverbote aufgehoben werden. Sie könnten sich frei bewegen, ohne Gefahr ältere Verwandte oder Gottesdienste besuchen, in Fußballstadien oder auf Konzerte gehen.

Ist wissenschaftlich gesichert, ob überhaupt eine Immunität besteht?

Spahn betont, dass mittlerweile sehr verlässliche Antikörpertests entwickelt wurden. Aus seiner Sicht gibt es zudem klare wissenschaftliche Hinweise, dass ein von der Krankheit genesener Patient anschließend mit hoher Wahrscheinlichkeit immun ist. Die Weltgesundheitsorganisation hatte demgegenüber kürzlich angemahnt, dass Antikörpertests auf Zuverlässigkeit hin überprüft werden müssten. Zudem gebe es derzeit keinen Nachweis, dass Menschen, die sich von Covid-19 erholt und Antikörper haben, vor einer zweiten Infektion geschützt seien.

Spahn hat den Deutschen Ethikrat einbezogen. Warum?

Der Minister selber hat die Frage gestellt, ob man so gravierende Unterschiede zwischen den Menschen machen darf, die schon immun sind, und denen, die die Krankheit noch nicht gehabt haben. Immerhin geht es um Einschränkungen von Grundrechten. Spahn präzisierte am Montag, dass es vorerst keine Regelungen dazu geben soll, inwiefern solche Immunitätsnachweise Ausnahmen von Alltags-Beschränkungen ermöglichen könnten. In der Koalition sei vereinbart worden, bis zu einer Antort des Deutschen Ethikrates keine gesetzliche Regelung zu dieser Frage vorzunehmen.

Welche ethischen Bedenken gibt es noch?

Kritiker befürchten, dass durch den Immunitätsausweis eine Zwei-Klassen-Gesellschaft entstehen könnte: Menschen, die von Corona genesen sind, dürften Partys feiern. Diejenigen, die sich an die Regelungen gehalten haben und noch nicht erkrankt sind, dürften das nicht. Denkbar wäre dann, dass sich Menschen bewusst mit Corona infizieren, um danach ihre Freiheitsrechte wieder genießen zu können.

Das würde nach Ansicht von Kritikern sehr schnell die Fallzahlen in die Höhe treiben.

Kritik gibt es auch von Datenschützern. Warum?

Sie befürchten, dass Arbeitgeber oder Versicherungen künftig vermehrt Immunitätsnachweise verlangen könnten. Ein Corona-Immunitätsausweis könnte ein Einstieg sein, um - etwa bei Mitarbeitern im Gesundheitswesen - weitere Befunde zu übertragbaren Krankheiten zu registrieren, etwa eine Aids-Infektion. Außerdem gibt es Befürchtungen, dass Arbeitgeber künftig vor einer Einstellung einen Immunitätsnachweis fordern könnten. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber (SPD) erklärte, es handele sich um Gesundheitsdaten, die besonders zu schützen seien und nicht zu Diskriminierung führen dürften.

Wie haben die Parteien bislang reagiert?

SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach spricht von "Unsinn". Ein Ausweis für nur ein bis zwei Prozent der Menschen ergebe keinen Sinn. "Wenn der Ausweis Vorteile bringt, gibt es Corona-Partys. Bringt er Nachteile, folgt Testvermeidung", schrieb Lauterbach auf Twitter.

Der Linkenpolitiker Dietmar Bartsch warnt vor einem "Überwachungsstaat". Grünen-Chef Robert Habeck spricht von einem indirekten Anreiz, sich zu infizieren, um wieder mehr Freiheiten als andere zu erhalten. Außerdem werde einer sozialen Stigmatisierung Tür und Tor geöffnet; das Spaltungspotenzial für die Gesellschaft sei immens. FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe, engmaschige Test für Beschäftigte im Gesundheitswesen seien ausreichend. Immunitätsausweise verletzten den Datenschutz im Gesundheitswesen. Die AfD sprach von einer Erpressung der Bürger.


Jens Spahn / © Kay Nietfeld (dpa)
Jens Spahn / © Kay Nietfeld ( dpa )
Quelle:
KNA