DOMRADIO.DE: Die ehemalige Hamburger Hauptkirche ist jetzt nur noch eine Ruine, ein Mahnmal. Sie wurde während der britischen und amerikanischen Luftangriffe im Zweiten Weltkrieg zerstört. Was für ein Zeichen wollte König Charles heute mit seinem Besuch gerade an diesem Ort setzen?
Fehrs: Ich bin sehr berührt davon gewesen, wie berührt er selber war. Ich bin ganz sicher, dass er damit ein Zeichen der Versöhnung setzen wollte. Man muss wissen, dass das 80 Jahre nach dem "Feuersturm Gomorrah" ein ganz großes Zeichen von Einheit und Verbundenheit war, das er dort gesetzt hat.
Das zeigt sich nicht nur dadurch, dass er den Kranz niedergelegt hat, sondern auch durch diese sehr besondere Coventry Litanei, die ja die Nagelkreuz-Gemeinden allerorten miteinander verbindet und dort an diesem Ort, am Mahnmal St. Nikolai wie an vielen Orten um 12.00 Uhr am Freitagmittag gebetet wird.
DOMRADIO.DE: Das ist ein ganz besonderes Gebet. Es ist in der englischen Stadt Coventry entstanden, die ja auch im Zweiten Weltkrieg von der deutschen Luftwaffe schwer bombardiert worden war. Dieses Gebet wird auch dort in der alten Kathedrale jeden Freitag gebetet. Wie war das für Sie, dieses Gebet heute in diesem Setting zu sprechen?
Fehrs: Sehr bewegend. Es war ja sowohl in Englisch als auch Deutsch, das heißt, ich habe jeweils abgewechselt. Dieser immer wiederkehrende Gebetsruf "Vater, vergib/Father, forgive" hat schon eine solche Eindringlichkeit und macht deutlich, was Richard Howard damals in Coventry gemeint hat, als er an die Wände der zerstörten Kathedrale schrieb: Father, forgive.
Er hat nicht geschrieben "Vater, vergib den Deutschen", sondern er hat gesagt "Vater, vergib" allen, die in diesem Weltkrieg dem Hass und der Missachtung von Leben, der Zerstörung von allem, was Menschen in ihrer Würde aufrecht hält, fröhnen und dass dies alles eine Sünde ist, die uns vergeben werden muss.
DOMRADIO.DE: Das erleben wir auch ganz aktuell. Gerade muss Europa noch mal wegen des russischen Überfalls auf die Ukraine zusammenhalten. Wie wichtig ist es da, dass Charles bei seinem Besuch in Deutschland die Verbindung der beiden Länder noch mal ganz zentral in den Mittelpunkt stellt?
Fehrs: Ganz klar war das auch ein Zeichen der Solidarität mit den Menschen an den vielen Orten der Welt, die nach wie vor im Angesicht von Gewalt und Krieg für Versöhnung und Frieden unbeirrbar einstehen. Da war auch in besonderer Weise zu spüren, wie nah das auf einmal gerückt ist, dass diese alten Worte mit der aktuellen Situation so viel zu tun hatten.
Ein Text sagt "den Hass, der Rasse von Rasse trennt, Volk von Volk und Klasse von Klasse". Das sind zwar alte Worte, aber sie sind in hohem Maße aktuell. Wir merken im Moment, wie sehr dieser Angriffskrieg gegen die Ukraine die Herzen bewegt und den Friedenswillen so herausfordert, wissend, in was für einer schwierigen Situation dort vor Ort auch die ukrainische Bevölkerung ist.
DOMRADIO.DE: Der König von England ist auch weltliches Oberhaupt der anglikanischen Kirche. Welche Bedeutung würden Sie sagen, hat das für den ökumenischen Dialog?
Fehrs: Er heißt ja sogar von seinem Titel her "Defender of Faith", also Verteidiger des Glaubens. Dass er als Oberhaupt der anglikanischen Kirche mit diesem Titel im Hintergrund zum Beispiel jetzt der lutherischen, aber natürlich auch damit der ökumenischen Gemeinschaft die Hand gereicht hat, war schon ein sehr besonderer Moment.
DOMRADIO.DE: Auch in England schreitet die Säkularisierung weiter voran. Wenn man so anguckt, wer beim Staatsbankett auf dem Schloss Bellevue auf der Gästeliste stand, waren Kirchenvertreter nicht dabei. Heute ging es vor allen Dingen um eine politisch-historische Geste. Oder meinen Sie König Charles wollte auch die Relevanz des Christentums insgesamt noch mal hervorheben?
Fehrs: Ich bin sicher, dass es ihm sehr daran gelegen hat, dass diese Litanei von Coventry als Gebet verstanden wird. Dieses Wort "Father, forgive" war für mich sehr eindeutig, dass das nicht eine Floskel ist, sondern es war ganz klar zu spüren, dass er mit hohen Respekt und mit einer großen Achtung nicht nur seiner anglikanischen Kirche gegenübersteht.
Das Interview führte Elena Hong.