Früherer Vize des Zentralrats der Juden Korn wird 80 Jahre

"In der Mitte der Gesellschaft sind Dämme gebrochen"

Der ehemalige Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland und Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, Salomon Korn, wird 80 Jahre. Er spricht über das gesellschaftliche Zusammenleben, Antisemitismus und Architektur.

Salomon Korn, Vorstandsvorsitzender der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main / © Leticia Witte (KNA)
Salomon Korn, Vorstandsvorsitzender der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main / © Leticia Witte ( KNA )

KNA: Herr Professor Korn, wir sprechen miteinander hier im Ignatz-Bubis-Gemeindezentrum in Frankfurt, das nach Ihren Plänen gebaut wurde. Was ist das Wesentliche an dem Gebäude?

Salomon Korn (Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt am Main): Ich wollte den Bruch in der deutsch-jüdischen Geschichte ausdrücken, aber auch die Hoffnung, was die Zukunft jüdischen Lebens in Deutschland betrifft. Das symbolisiert sich in der Fassade: die gebrochenen Gesetzestafeln zeigen, dass auch das biblische Gesetz "Du sollst nicht töten" gebrochen wurde. Übrigens sind im Fundament die Namen von über 11.000 Frankfurter Juden eingetragen, die im Nationalsozialismus deportiert und ermordet wurden. Auf der anderen Seite haben wir drei Leuchter als Zeichen der Hoffnung. Hinzu kommen drei Davidsterne, die den Brunnen vor dem Gebäude mit 18 Speiern bilden, aus denen Wasser fließt. Die Zahl 18 ist im Hebräischen das Wort für "Leben": Chai.

KNA: Frankfurt gehört zu den bundesweit vier größten jüdischen Gemeinden. In der Stadt gibt es eine entsprechende Infrastruktur, und dadurch ist jüdischer Alltag sichtbar.

Salomon Korn

"Hier ist man es gewohnt, mit Menschen aus anderen Kulturkreisen umzugehen."

Korn: Frankfurt ist nicht typisch für Deutschland, denn hier leben Menschen vieler unterschiedlicher Nationalitäten. Hier ist man es gewohnt, mit Menschen aus anderen Kulturkreisen umzugehen. Als Teil dieser Stadt wollen wir natürlich präsent sein. Wir freuen uns, dass wir in diesem Jahr zu unserem 75. Jubiläum der Wiederbegründung unserer Gemeinde mit vielen Veranstaltungen in die Stadtgesellschaft hinein wirken werden.

KNA: In Ihrer Gemeinde wird das "Frankfurter Modell" praktiziert, in dem verschiedene Strömungen des Judentums, also etwa liberal und orthodox, unter einem Dach versammelt sind. 

Korn: Dass all diese Richtungen in der Westendsynagoge ihren Ritus pflegen, hat es in Europa mindestens zu Zeiten des früheren Gemeindevorsitzenden Ignatz Bubis nicht gegeben. Frankfurt war Vorbild und ist auch Vorbild geblieben. Wir haben es Ignatz Bubis zu verdanken, der das Modell gefördert hat. Er selbst hat gezeigt, dass man unabhängig von der religiösen Überzeugung ein vielfältiges jüdisches Leben harmonisch gestalten kann.

KNA: Ihr Leitmotiv für das Gemeindezentrum lautet "Wer ein Haus baut, will bleiben, und wer bleiben will, erhofft sich Sicherheit". Was verbinden Sie damit?

Korn: So, wie es momentan in Deutschland aussieht mit rechtsradikalen Tendenzen ist es immer wieder wichtig, auf den Sicherheitsaspekt hinzuweisen. Es ist nicht selbstverständlich, dass jüdisches Leben in Deutschland uneingeschränkt möglich ist.

KNA: Aus welcher Richtung kommt die größte Bedrohung? In der Kriminalstatistik werden die meisten antisemitisch motivierten Straftaten dem rechtsextremen Spektrum zugeordnet.

Salomon Korn

"Wir müssen momentan das Augenmerk auf die Mitte der Gesellschaft richten, wo Dämme gebrochen sind."

Korn: Es ist in der Tat so, dass die größte Gefahr daher kommt. Früher war Antisemitismus eher in rechten Kreisen zu spüren, aber nicht in der Mitte der Gesellschaft. Heute sind diese Kreise eher bereit, ihren Vorurteilen Ausdruck zu verleihen. Mit Muslimen haben wir in Frankfurt einen guten Kontakt. Es gibt Zuwanderer aus Staaten, die sich stark gegen Israel positionieren, eine Minderheit ist radikal geblieben. Wir müssen momentan das Augenmerk auf die Mitte der Gesellschaft richten, wo Dämme gebrochen sind.

KNA: Mit welchen Maßnahmen kann man gegen Antisemitismus vorgehen?

Korn: Bildung muss frühzeitig anfangen, um die deutsche Geschichte aufzuarbeiten. Man muss den jungen Menschen vermitteln, dass Juden nachweislich seit mehr als 1.700 Jahren in Deutschland leben und stets einen großen Beitrag geleistet haben.

KNA: Ignatz Bubis war nicht nur Gemeindevorsitzender in Frankfurt, sondern auch Präsident des Zentralrats der Juden. Er hat kurz vor seinem Tod 1999 gesagt, er habe "fast nichts bewegt".

Korn: Ignatz Bubis hat schon etwas bewegt. Er hat das Judentum in Deutschland als Teil der Gesellschaft herausgestellt und auch so gelebt. Aber was er gesagt hat, ist zumindest teilweise nachvollziehbar, auch wenn vielleicht persönliche Enttäuschung mitschwingt.

KNA: Sie waren von 2003 bis 2014 Vizepräsident des Zentralrats. Wollten Sie nie Präsident werden?

Salomon Korn

"Es ist nicht meine Absicht, als jemand Besonderes erkannt zu werden."

Korn: Nachdem Ignatz Bubis gestorben war, wollte Paul Spiegel, dass ich Präsident werde. Ich habe das abgelehnt, weil sich ein Präsident speziellen Sicherheitsmaßnahmen unterziehen muss, die auch die Familie betreffen. Das ist nichts, was ich unter einem lebenswerten Leben mit Normalität verstehe. Es ist nicht meine Absicht, als jemand Besonderes erkannt zu werden.

KNA: Sie waren Vizepräsident in der Präsidentschaft von Paul Spiegel, Charlotte Knobloch und Dieter Graumann. Was waren in der Zeit prägende Entwicklungen?

Korn: Es gab so einige, ich nenne nur zwei: Paul Spiegel hat vor 20 Jahren den ersten Staatsvertrag zur finanziellen Unterstützung der jüdischen Gemeinschaft unterschrieben. 2012 gab es unter Dieter Graumann die Beschneidungsdebatte, die uns sehr beschäftigt hat, da saßen wir mit den Muslimen im selben Boot.

KNA: Sie erhielten 2009 den Hessischen Kulturpreis für Ihr Engagement im interreligiösen Dialog. Wie ist es heute um ihn bestellt?

Korn: Nun, er hat schon Fortschritte gebracht im Zusammenleben, aber wir müssen ihn weiter pflegen.

KNA: Hin und wieder wird kritisiert, dass der christlich-jüdische Dialog zu institutionalisiert sei.

Korn: Die Kritik ist nicht ganz unberechtigt, weil er sich teilweise verselbstständig hat und keinen wirklichen Einfluss auf die Gesellschaft genommen hat. Daran muss auf beiden Seiten gearbeitet werden.

KNA: Und wie sieht es mit dem jüdisch-muslimischen Gespräch aus? Das ist in Frankfurt vielleicht weiter als anderswo.

Korn: Genauso ist es. Zumindest auf der Ebene der Führungskräfte gibt es einen regen Austausch. Aber wir erleben noch Vorurteile, die es durch Begegnung abzubauen gilt.

Das Interview führte Leticia Witte (KNA).

Quelle:
KNA