Fritz Sistig kommt 62 Jahre nach Räumung seines Dorfes nach Wollseifen zurück

Rückkehr in die Heimat

Zum ersten Mal seit 62 Jahren konnte Franz-Josef Sistig am Sonntag wieder eine Messe in der St. Rochus Kirche in seinem heute nicht mehr existenten Heimatdorf Wollseifen (Kreis Euskirchen) erleben. Seitdem die Ortschaft 2006 Teil des Nationalparks Eifel wurde, konnte mit der Kirche zumindest ein Teil des ehemaligen Dorfes wieder aufgebaut werden, sagt der 79-jährige Rentner. Das Gelände war bis zu diesem Zeitpunkt militärisches Sperrgebiet, nachdem das britische Militär das 550-Seelen-Dorf 1946 komplett hatte räumen lassen, um dort einen Militärübungsplatz zu errichten. Franz-Josef Sistig - genannt Fritz - war damals 17 Jahre alt.

Autor/in:
Yasmin Schulten
 (DR)

«Innerhalb von nur drei Wochen mussten wir alles hinter uns lassen: Unsere Häuser, die Schule, die Kirche. Eben unser gesamtes Dorf», erinnert sich Sistig. Auch wenn es rückblickend für ihn «verrückt» erscheint: sich zur Wehr zu setzen, sei damals nicht in Frage gekommen. «Nach dem Krieg waren wir Gehorsam gewöhnt», sagt er. «Außerdem hatten wir Angst, dass wir sonst unser Eigentum nicht mitnehmen dürften.»

Drei Wochen hatten sie Zeit, um ihr Dorf, das heute nur noch auf Wanderschildern vermerkt ist, zu verlassen. Die meisten Bewohner seien ins Umland gezogen. So auch Sistig mit Eltern und acht Schwestern. «Das war schlimm für uns alle, aber vor allem für meine Eltern», erzählt er. Immerhin lebten in Wollseifen viele seiner Vorfahren, sodass viele Erinnerungen mit dem Ort verbunden sind.

So auch mit der aus dem Jahr 1635 stammenden Dorfkirche. «Ich wurde hier getauft, bin zur Kommunion gegangen und war Messdiener», sagt Sistig. Wahrscheinlich hätte er auch dort geheiratet. Doch das war ihm nicht vergönnt. Ein Jahr nach der Vertreibung setzte das Militär die Kirche in Brand. «Den Anblick konnte ich kaum ertragen«, sagt Sistig.

Komplett abgeschlossen mit dem Dorfschicksal habe er nie. So sei er jahrelang immer wieder auf das Gelände geschlichen. «Bei Nacht und Nebel bin ich oft hergeritten und habe Sachen wie Baustoffe und Materialien geklaut», sagt er. «Das war schließlich alles mal unser Eigentum.» Noch zehn Jahre nach der Vertreibung habe er Stahlträger aus den alten Häusern geholt. «Die habe ich dann bei mir zu Hause wieder eingebaut», erzählt Sistig.

Im Laufe der Jahre hätten die Engländer das Dorf dann «komplett platt» gemacht. Abgesehen von den Ruinen der Schule, des Trafohäuschens, einer Wegkapelle und der Kirche bestimmen heute verlassene Militärbaracken das Bild und lassen den Ort wie eine Geisterstadt erscheinen. Doch das hat sich nun geändert. Im April 2008 gab es «endlich» die Genehmigung zur Restaurierung der alten Dorfkirche vor und die Bauarbeiten konnten beginnen, sagt Sistig.

Durch Mithilfe von Ortsverbänden, Stiftungen, Vereinen und ehrenamtlichen Helfern erhielt das Kirchenschiff ein neues Dach, Fenster und Türen. Besonders groß sei die Freude gewesen, als unter den vielen Schubkarren Schutt aus dem Gebäude große Teile des ursprünglichen Kirchenbodens zum Vorschein kamen.

Wenige Tage vor der großen Feier zu Ehren des Schutzpatrons St. Rochus laufen die letzten Arbeiten auf Hochtouren. Als »Mädchen für alles« ist auch Sistig noch mittendrin dabei.

Er sei froh, das noch erleben zu dürfen, blicke dem großen Tag aber auch mit gemischten Gefühlen entgegen. «Es stinkt einem schon, wenn man immer wieder von vielen Bestimmungen gebremst wird», sagt Sistig. «Abgesehen von der Kirche würden wir so gerne noch existente Grundmauern unserer Häuser freilegen und vermerken, wer dort gewohnt hat.» Aber das mache der Nationalpark Eifel nicht mit. Und das, obwohl sich damit nicht nur ein weiterer Herzenswunsch von Sistig, sondern auch der noch lebenden geschätzten 125 ehemaligen Dorfbewohner erfüllen würde.


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