Friedensforscher betont Notwendigkeit von Waffen

"Es geht darum, diesem Land zu helfen"

Wie kann heute eine überzeugende christliche Friedensethik angesichts des Ukraine-Krieges aussehen? Der Spruch "Schwerter zu Pflugscharen" ist im akuten Fall nicht angemessen, sagt Friedensforscher Professor Heinz-Günther Stobbe.

Die Hand eines Kindes nimmt ein automatisches Gewehr mit Waffen vom Tisch. Nahaufnahme. / © ya_create (shutterstock)
Die Hand eines Kindes nimmt ein automatisches Gewehr mit Waffen vom Tisch. Nahaufnahme. / © ya_create ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Grundsätzlich – wenn ein Staat einen anderen Staat ohne echten Grund angreift, der noch dazu militärisch ja keine Bedrohung ist, da ist eine Selbstverteidigung mit Waffengewalt ethisch erlaubt?

Heinz-Günther Stobbe (Prof. em. für katholische Theologie mit dem Schwerpunkt "theologische Friedensforschung" an den Universitäten Münster und Siegen, Moderator für den Arbeitsbereich
Frieden der Deutschen Kommission Justitia et Pax):
Zunächst muss man sagen, wir reden über Völkerrecht. Das ist die erste Argumentationslinie. Und in der UN-Charta ist das völlig eindeutig geklärt. Es gibt in der UN-Charta zunächst mal ein grundsätzliches Gewaltverbot, Kriegsverbot. Und da gibt es zwei Ausnahmen.

Eine davon ist, wenn ein Land in dieser Weise angegriffen wird, hat es das Recht, sich mit Waffengewalt zu verteidigen. Was für unsere Diskussion nicht ganz unwichtig ist: Die Charta legt auch fest, dass andere Staaten einem so angegriffenen Land zu Hilfe kommen können und zwar auch mit Waffenlieferungen.

Das ist kein Muss. Das können die Staaten natürlich für sich entscheiden. Es ist nur grundsätzlich nicht so, dass derjenige, der einem angegriffenen Staat Waffenhilfe leistet, so wie das jetzt im Fall der Ukraine ja verschiedentlich geschehen ist, sich selber wieder eines Verstoßes gegen das Gewaltverbot schuldig macht.

Das ist wichtig, sich das klar zu machen, denn die UN-Charta baut auf dem Gedanken auf, dass Kriege normalerweise überhaupt nicht mehr sein dürfen, noch nicht einmal die Androhung eines Krieges. Wenn das aber der Fall ist, dann gibt es die Möglichkeit auch zu reagieren, und zwar mit dem Vorbehalt: Man darf sich so lange verteidigen, bis die internationale Gemeinschaft in diesen Konflikt eingreift und meinetwegen den Frieden erzwingt oder wie auch immer.

DOMRADIO.DE: Die berühmten Worte Jesu in der Bergpredigt lauten: Wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halte ihm auch die andere hin. Warum ist diese Art von Pazifismus in der gegenwärtigen Situation keine Lösung?

Prof. Dr. Heinz-Günther Stobbe

"Frieden schaffen mit möglichst wenig Waffen."

Stobbe: Ich persönlich glaube überhaupt nicht, dass das, was Jesus da gesagt und gemeint hat, ein universelles Prinzip politischer Ethik ist. Das haben schlaue Leute in der Geschichte auch schon gesagt: Mit der Bergpredigt kann man keinen Staat machen.

Das heißt nicht, dass die Haltung, die Jesus verkörpert und gelebt hat, jetzt völlig irrelevant wäre. Zum Beispiel bleibt nach wie vor gültig – auch nach diesem Ukraine-Krieg – , Frieden schaffen mit möglichst wenig Waffen. Aber es darf eben nicht so weit gehen, weil das gegen das Recht eines Landes, auch das Recht eines einzelnen Menschen verstoßen würde, das er hat, wenn er angegriffen wird, sich zu verteidigen.

Im Akt der Verteidigung darf man nicht alles tun. Wenn mich jemand handgreiflich angreift, dann darf ich ihn nicht einfach mit 20 Messerstichen töten, sondern ich darf das Maß an Gewalt anwenden, das nötig ist und hilft, den Angriff abzuwehren.

DOMRADIO.DE: Lange Zeit waren ja – auch bei den Mitgliedern zum Beispiel der Grünen – Waffenlieferungen in Krisenländer ein absolutes No-Go. Jetzt geschieht aber genau das: Statt Frieden schaffen ohne Waffen heißt es jetzt für die Ukraine: Selbstverteidigung mit möglichst vielen Waffen. Halten Sie Waffenlieferungen im Moment für ethisch richtig?

Deutsche Kommission Justitia et Pax

Die Deutsche Kommission Justitia et Pax (Gerechtigkeit und Frieden) ist eine Art "Runder Tisch" der katholischen Einrichtungen und Organisationen, die im Bereich der internationalen Verantwortung der Kirche in Deutschland tätig sind. Justitia et Pax ist deren gemeinsame Stimme in Gesellschaft und Politik. So sollen die weltweiten Fragen von Gerechtigkeit und Frieden in der Gesellschaft unseres Landes wach gehalten werden.

Justitia steht für Gerechtigkeit  / © Daniel Reinhardt (dpa)
Justitia steht für Gerechtigkeit / © Daniel Reinhardt ( dpa )

Stobbe: Ja. Aus meiner Sicht der Ethik ist das im Prinzip richtig. Das heißt aber nicht "Waffenlieferungen so viel als möglich". Es geht darum, diesem Land zu helfen, dass es das ihm eigene Recht wahrnehmen kann – und zwar effektiv wahrnehmen. Es hilft nichts, wenn man ihm frommen Beistand zusichert und sagt "Wir beten für dich", aber im Übrigen nichts dagegen tut, dass da eine Armee durchs Land zieht und alles zerstört.

Die Ukrainer müssen die Möglichkeit haben sich effektiv zu wehren. Und der Haken der gegenwärtigen Situation ist, dass wir wissen, dass manche Waffen den Ukrainern helfen würden so lange standzuhalten, bis da vielleicht wirklich Friedensverhandlungen greifen. Dass aber der Westen zum einen nicht bereit ist, diese Waffen zu liefern oder wie die Bundeswehr das gar nicht kann. Wir bräuchten jetzt Flugabwehrsysteme für die Ukrainer. Haben wir aber nicht.

Deutschland liefert Waffen der Bundeswehr an Ukraine

Deutschland liefert Waffen aus den Beständen der Bundeswehr an die Ukraine. Wie Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Samstag mitteilte, werden die ukrainischen Streitkräfte mit 1000 Panzerabwehrwaffen sowie 500 Boden-Luft-Raketen vom Typ "Stinger" unterstützt. Die Waffen würden so schnell wie möglich an die Ukraine geliefert.

Protest gegen Atomwaffen in Deutschland / © Kay Nietfeld (dpa)
Protest gegen Atomwaffen in Deutschland / © Kay Nietfeld ( dpa )

DOMRADIO.DE: Müssen wir jetzt denn vielleicht auch in der Friedensethik angesichts der aktuellen Situation umdenken?

Prof. Dr. Heinz-Günther Stobbe

"Wer den Standpunkt vertritt, dass man auf keinen Fall, in keiner Situation und niemand zur Waffe greifen darf, um irgendwas zu tun, selbst wenn er sich nur verteidigen will, das halte ich grundsätzlich für falsch."

Stobbe: Nicht "wir". Es gibt einige Leute, von denen ich denke, sie müssten sich mal überlegen, ob das, was sie als Position vertreten haben und vertreten, ob das wirklich haltbar ist. Ich würde das aber bestreiten für eine ganze Friedensbewegung, für das ganze Friedensdenken und schon gar nicht würde ich das zugestehen für die kirchliche und katholische Friedensethik.

Da bleibt vieles unberührt und unverändert wichtig und richtig. Aber wer den Standpunkt vertritt, dass man auf keinen Fall, in keiner Situation und niemand zur Waffe greifen darf, um irgendwas zu tun, selbst wenn er sich nur verteidigen will, das halte ich grundsätzlich für falsch. Ich halte es auch für ethisch falsch. Und deswegen finde ich richtig, dass wir jetzt im Augenblick versuchen, dort die nötigen Waffen hinzubringen, damit die sich verteidigen können. Wir schicken ja auch keine Soldaten hin.

Das Interview führte Michelle Olion.

Quelle:
DR
Mehr zum Thema