Freiwillige riskieren in Syrien ihr Leben

Die Helfer des Halbmondes

Am Sonntag hat Präsident Assad über eine neue Verfassung für Syrien abstimmen lassen. Währenddessen hält die Gewalt gegen Gegner seines Regimes an. Vor allem die Lage in der seit Wochen belagerten Stadt Homs verschlechtert sich zunehmend. Auch für die Helfer vor Ort.

Autor/in:
Karin Leukefeld
 (DR)

"70 Fälle mussten wir in drei bis vier Stunden behandeln, das war eine sehr schwierige Situation. Wir zogen von Haus zu Haus, von Viertel zu Viertel. Als die Sonne unterging, stellten wir fest, dass es keinen Strom gab und so arbeiteten wir im Licht unseres Mobiltelefons weiter."



Der 25-jährige Arzt Mohammed Noor trägt einen roten Overall. An der linken Schulter klebt das runde Symbol des Syrischen Arabischen Roten Halbmondes (SARC). "Volunteer" ist quer darüber geschrieben: Freiwilliger. Ernst blicken seine Augen durch große Brillengläser, während er sich an einen seiner schwierigsten Einsätze als Freiwilliger Notarzt erinnert. Einer der Patienten habe vier Schusswunden gehabt und schwer geblutet. 15 Minuten habe es gedauert, bis er dem Mann ein blutstillendes Mittel habe spritzen können. Besonders anstrengend seien die vielen Menschen gewesen, die schreiend und gestikulierend herumliefen und die Arbeit behindert hätten.



Humanitäre Lage verschlechtert sich

Seit zehn Monaten verbringt der hochgewachsene Mann fast seine komplette Freizeit mit Einsätzen des SARC. Keiner der Freiwilligen sei auf eine solche Lage vorbereitet gewesen, sagt Hany Hawasly, der für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Freiwilligen Hilfsorganisation in Damaskus zuständig ist. Erst kürzlich habe das Rote Kreuz für rund 70 Ärzte einen Kurs zum Behandeln von Schusswunden angeboten. Bis zu 150 Freiwillige sind beim SARC in Damaskus tätig. Sechs Fahrzeuge stehen für Damaskus zur Verfügung. Die Notfallzentrale für Damaskus Stadt und Umland ist provisorisch in der Garage eines SARC-Krankenhauses in Al Zahira untergebracht.



Früher sei der Freitag immer ruhig gewesen, nun sei es der Tag, an dem die meisten Einsätze gefahren würden, erklärt Hany Hawasly. Manche Leute hätten eine "Freitagsphobie" entwickelt und gingen an dem Tag gar nicht mehr auf die Straße, andere dagegen protestierten Freitags nach dem Gebet gegen die politische Führung in Syrien. Die Einsatzbereitschaft bei den Freiwilligen sei sehr groß, sagt Khalid Erksussi, der Generalsekretär des Syrischen Roten Halbmondes in Damaskus und Leiter der Notfallzentrale. Alle seien in den vergangenen Monaten über sich hinausgewachsen. Wenige hätten SARC verlassen, weil ihnen die Belastung zu groß geworden oder weil die Eltern dagegen gewesen seien, andere seien dazu gekommen. Gemäß den internationalen Regeln der Rote Kreuz- und Rote Halbmondgesellschaften helfe SARC schnell und unparteiisch, dabei werde man vom Roten Kreuz gut unterstützt. So habe die Organisation seit Monaten die Ortschaften besuchen können, aus denen Auseinandersetzungen gemeldet worden seien.



Die humanitäre Lage habe sich vor allem in Homs verschlechtert, heißt es in einer Erklärung des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK). Mehrmals fuhren Konvois von IKRK und SARC in die Stadt, die von Kämpfen zwischen bewaffneten Gruppen und den syrischen Streitkräften erschüttert wird. Besonders betroffen ist Baba Amr, ein Stadtteil von Homs, in dem sich unbestätigten Angaben zufolge Hunderte bewaffnete Kämpfer aufhalten, die aus der Türkei und dem Libanon nach Syrien eingeschleust wurden.



"Man muss sehr, sehr vorsichtig sein"

Mitte Februar konnten zwei Mal Konvois von SARC und IKRK nach langen Verhandlungen mit beiden Parteien - der syrischen Armee und bewaffneten Aufständischen - Lebensmittel, Decken und Medikamente in die Stadt bringen. In einer Moschee wurde ein Notfallzentrum eingerichtet, in dem Menschen sich registrieren können, die Hilfe brauchen. Das IKRK versucht von beiden Seiten, die Zustimmung zu einem täglichen Waffenstillstand von zwei Stunden zu erreichen, um Verletzte evakuieren und Hilfsgüter verteilen zu können. Erst vor wenigen Tagen brachte SARC 27 Verletzte aus dem umkämpften Stadtviertel in ein Krankenhaus. Ausländische Journalisten, die dort verletzt wurden, lehnten den Angaben zufolge einen Transport ohne Beisein von Diplomaten und ohne Feuerpause ab.



Bislang habe SARC bei Einsätzen in Homs und Idlib zwei Aktive verloren, berichtet Khalid Erksussi. Ein Freiwilliger sei in Homs erschossen, der SARC-Generalsekretär von Idlib sei in seinem deutlich mit dem Roten Halbmond gekennzeichneten Fahrzeug getötet worden. "Man muss sehr, sehr vorsichtig sein", sagt Erksussi. "In einem so angeheizten Konflikt nehmen die Leute auch auf uns als neutrale Hilfsorganisation keine Rücksicht."