Frauenrechtlerin wirbt für mehr Schutzplätze und bessere Finanzierung

Mehr Schutzplätze dringend nötig

Das neue Gewalthilfegesetz soll die Situation der von Gewalt betroffenen Frauen, Jugendlichen und Mädchen verbessern. In der Gesellschaft sei aber noch mehr Aufklärung nötig, meint die Frauenrechtsorganisation Solwodi.

Autor/in:
Marc Patzwald
Gewalt gegen Frauen nimmt weiter zu / © Tiko Aramyan (shutterstock)
Gewalt gegen Frauen nimmt weiter zu / © Tiko Aramyan ( shutterstock )

epd: Wie nehmen Sie den Schutzbedarf von Frauen und Mädchen zu den Weihnachtstagen wahr? Unterscheidet sich dieser von den übrigen Tagen des Jahres?

Maria Decker (Vorsitzende der Frauenrechtsorganisation Solwodi): Bei unseren Kernthemen, Menschenhandel, Prostitution, Zwangsverheiratung und sogenannte Ehrgewalt, unterscheidet sich der Schutzbedarf in der Weihnachtszeit nicht wirklich von den übrigen Tagen des Jahres. Das mag im Bereich häusliche Gewalt anders aussehen, dafür wären die Frauenhäuser die kompetenteren Ansprechpartnerinnen.

Was wir jedoch in unseren Schutzeinrichtungen sehen, ist, dass gerade in der Weihnachtszeit mit der starken Betonung auf Familie bei den Frauen oft traumatische Erlebnisse besonders stark aufbrechen. Sei es, dass die Frauen ihre Familie im Herkunftsland und damit verbundene Weihnachtstraditionen vermissen, sei es, dass die Familie zu den Täterstrukturen gehörte, zum Beispiel bei Zwangsverheiratungen oder angedrohtem Ehrenmord, und an Weihnachten die Diskrepanz zum Idealbild Familie besonders deutlich wird.

In Deutschland wird jede dritte Frau mindestens einmal in ihrem Leben Opfer von physischer und/oder sexualisierter Gewalt; etwa jede vierte Frau wird mindestens einmal Opfer körperlicher oder sexualisierter Gewalt durch ihren aktuellen oder durch ihren früheren Partner. / © Prostock-studio (shutterstock)
In Deutschland wird jede dritte Frau mindestens einmal in ihrem Leben Opfer von physischer und/oder sexualisierter Gewalt; etwa jede vierte Frau wird mindestens einmal Opfer körperlicher oder sexualisierter Gewalt durch ihren aktuellen oder durch ihren früheren Partner. / © Prostock-studio ( shutterstock )
Viele Frauen machen Gewalterfahrungen in ihrem Leben.

Auch die Unterbrechung der festen Tagesstruktur während der Weihnachtstage, die auch Halt und Sicherheit gibt, kann für manche Frauen schwierig und verunsichernd sein. Das erfordert von den Solwodi-Mitarbeiterinnen sehr viel Einfühlungsvermögen, um all diese Problematiken aufzufangen.

epd: Sie fordern von Politik und Gesellschaft, Solidarität nicht nur als festliches Wort zu verstehen, sondern konkret zu handeln. Was wird genau benötigt, um den Schutz von Frauen und Mädchen zu verbessern?

Decker: Wir benötigen viel mehr Schutzplätze für von Gewalt betroffene Frauen und Mädchen. Wir hoffen, dass das neue Gewalthilfegesetz hier Verbesserungen bringt, aber das ist natürlich immer eine Frage der Finanzierung und damit des politischen und gesellschaftlichen Willens, was finanziell möglich gemacht wird.

Dabei müssen auch die Bedarfe besonders vulnerabler Zielgruppen mit bedacht werden, zum Beispiel Frauen mit mehreren Kindern oder Teenager-Söhnen, die in vielen Frauenhäusern nur schwer einen Platz finden.

epd: Was ist noch zu beachten?

Decker: Zudem ist zu bedenken, dass Betroffene von Menschenhandel, Zwangsprostitution oder sogenannter Ehrgewalt, was meist mit einer Migrations- oder Fluchtgeschichte verbunden ist, aufgrund der erlebten Gewalterfahrungen eine besonders intensive Betreuung benötigen, inklusive der Überwindung von Sprachbarrieren und der Klärung von aufenthaltsrechtlichen Fragen. Zweitens müssen Fachberatungsstellen, die mit diesen besonderen Zielgruppen arbeiten, besser finanziert werden und es müssen flächendeckende Angebote für die betroffenen Frauen geschaffen werden. Auch Präventionsarbeit, zum Beispiel Workshops in Schulen, um über Themen wie etwa Zwangsverheiratung und Loverboy-Methode aufzuklären, muss finanziert und im Lehrplan verankert sein.

Symbolbild Prostitution / © Kaspars Grinvalds (shutterstock)
Symbolbild Prostitution / © Kaspars Grinvalds ( shutterstock )

epd: Was fordern Sie mit Blick auf Menschenhandel und Prostitution?

Decker: In Bezug auf Menschenhandel und Prostitution fordern wir auch, die Nachfrageseite zu adressieren und in Deutschland das Nordische Modell einzuführen. Dieses beinhaltet die Bestrafung aller Profiteure von Prostitution - Bordellbesitzer, Zuhälter, Freier - und die vollständige Entkriminalisierung der Frauen in der Prostitution sowie flächendeckende Ausstiegsprogramme und gesellschaftliche Bewusstseinsmachung. Erfahrungen beispielsweise aus Schweden, wo das Nordische Modell schon vor über 25 Jahren eingeführt wurde, zeigen, dass sich damit Gewalt gegen Frauen und organisierte Kriminalität wirksam reduzieren lassen.

epd: Wie aufmerksam und handlungsbereit sind Ihrer Meinung nach Politik und Gesellschaft beim Thema Gewalt gegen Frauen?

Decker: Gewalt gegen Frauen wird durchaus als relevantes Thema angesehen, aber meist eingeschränkt auf häusliche Gewalt. Dass auch andere Gewaltformen - wie etwa Menschenhandel und Zwangsverheiratung - in unserer Gesellschaft vorkommen und dass es sich dabei nicht nur um einige wenige Fälle, sondern eher um mehrere Tausend handelt, ist vielen Menschen nicht bewusst. Generell scheuen sich viele Menschen einzuschreiten, wenn sie Gewalt gegen Frauen erleben, weil sie nicht wissen, was sie richtigerweise tun sollten oder wo sie sich hinwenden können. Hier wäre eine verstärkte Aufklärung sinnvoll.

Das Interview führte Marc Patzwald.

Quelle:
epd