Domkapitular Weitz sieht Josef als Gegenbild zur Gewalt an Frauen

"Zu sich nehmen heißt behüten"

Am vierten Adventssonntag hat Domkapitular Thomas Weitz im Kapitelsamt einen Bogen von Debatten über Gewalt gegen Frauen zum Evangelium geschlagen. Am Beispiel des heiligen Josef zeigte er, was es heißt, Verantwortung zu übernehmen.

Domkapitular Thomas Weitz / © Beatrice Tomasetti (DR)
Domkapitular Thomas Weitz / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Domkapitular Thomas Weitz hat seine Predigt mit einem aktuellen und schmerzhaften Thema begonnen: Femiziden. Er nennt Zahlen aus Deutschland und ordnet diese Taten als Gewalt in Partnerschafts‑ und Familienkontexten ein. Dahinter stehe häufig ein Machtdenken und ein Verständnis von Beziehung, das den anderen zum Besitz mache. Wer den anderen besitzen wolle, entkleide ihn seiner Würde. Der andere könne niemals "mein Eigentum" sein. Wenn diese Erfahrung nicht ausgehalten werde, könne daraus Aggression entstehen, die im Extremfall tödlich werde.

Von hier aus führt Weitz zum Evangelium des vierten Adventssonntags und stellt Josef in den Mittelpunkt. Josef stehe vor einer Situation, die seine Lebenspläne zerstört: Maria, die er liebt und mit der er eine Zukunft geplant hat, ist schwanger. Weitz beschreibt die Optionen, die Josef nach damaligem Recht gehabt hätte: Maria unter Druck setzen, sie denunzieren oder sie öffentlich bloßstellen. Josef entscheidet sich anders. Er ist gerecht, weil er das Gesetz achtet, aber zugleich weiß, dass Maria unschuldig ist. Er will sie schützen und in aller Stille gehen, um ihr keinen Schaden zuzufügen.

Vater aus Liebe

Weitz betont, dass Josef in dieser Lage nicht zuerst an sich denkt. Seine Sorge gilt Maria, ihrem Leben und ihrer Würde, sowohl körperlich als auch seelisch. Gerade darin zeige sich seine Größe. Die Botschaft des Engels erschließt ihm schließlich den größeren Zusammenhang: Das Kind stammt vom Heiligen Geist, und Josef soll ihm den Namen Jesus geben. Die Zeit der Not wird so zur Zeit des Heils. Der Plan Gottes übersteigt die eigenen Pläne und hebt sie auf, ohne sie zu vernichten.

Mit Bezug auf Augustinus erklärt Weitz Josef als Vater nicht aus dem Fleisch, sondern aus Liebe. An dem Ausdruck "Maria zu sich nehmen" entfaltet er den Kern seiner Predigt. "Zu sich nehmen" könne heißen, den anderen vereinnahmen, abhängig machen oder für die eigenen Zwecke nutzen. So handle Josef nicht. Für ihn bedeute "zu sich nehmen": behüten, schützen, Raum geben, damit der andere leben, wachsen und seinen eigenen Weg gehen kann.

Herzen öffnen und Räume schaffen

Dieses Verständnis vertieft Weitz mit weiteren biblischen Bezügen, etwa zur Flucht nach Ägypten, wo Josef erneut aufgefordert wird, das Kind und seine Mutter zu sich zu nehmen. Auch hier heiße es retten, gemeinsam unterwegs sein und Verantwortung tragen. Zum Schluss weitet Weitz den Blick auf die Gegenwart. Er warnt vor einer Haltung, die Menschen nur dann annimmt, wenn sie nützlich sind, oder andere ausgrenzt und ihrem Schicksal überlässt.

Dagegen stellt er den Aufruf des Advents: einander annehmen, wie Gott uns annimmt. Er bittet um die Fürsprache des heiligen Josef, damit Menschen nicht zerstören wollen, was sie zu besitzen meinen, sondern Herzen öffnen und Räume schaffen, in denen Leben möglich wird. Abschließend lädt er dazu ein, die verbleibenden Tage vor Weihnachten zu nutzen, um Christus "zu sich zu nehmen" und diesen Weg auch über das Fest hinaus weiterzugehen.


DOMRADIO.DE hat das Kapitelsamt am vierten Adventssonntag aus dem Kölner Dom mit Domkapitular Thomas Weitz übertragen. Der Mädchenchor am Kölner Dom sang unter der Leitung von Oliver Sperling und Cécilia Bazile die "Missa sine nomine" von Claudio Casciolini und Werke von Franz Philipp. An der Domorgel gestaltete Winfried Bönig die Eucharistiefeier musikalisch. 

Oliver Sperling mit dem Mädchenchor am Kölner Dom / © Beatrice Tomasetti (DR)
Oliver Sperling mit dem Mädchenchor am Kölner Dom / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Im Sonntagsevangelium erzählt der Evangelist Matthäus, wie Josef mit der Situation konfrontiert wird, dass seine Verlobte Maria ein Kind erwartet, von dem er nicht der Vater ist. 

Sonntagsevangelium am vierten Adventssonntag nach Matthäus

"Mit der Geburt Jesu Christi war es so: Maria, seine Mutter, war mit Josef verlobt; noch bevor sie zusammengekommen waren, zeigte sich, dass sie ein Kind erwartete – durch das Wirken des Heiligen Geistes. 

 

Josef, ihr Mann, der gerecht war und sie nicht bloßstellen wollte, beschloss, sich in aller Stille von ihr zu trennen. Während er noch darüber nachdachte, siehe, da erschien ihm ein Engel des Herrn im Traum und sagte: Josef, Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria als deine Frau zu dir zu nehmen; denn das Kind, das sie erwartet, ist vom Heiligen Geist. Sie wird einen Sohn gebären; ihm sollst du den Namen Jesus geben; denn er wird sein Volk von seinen Sünden erlösen. Dies alles ist geschehen, damit sich erfüllte, was der Herr durch den Propheten gesagt hat: Siehe: die Jungfrau wird empfangen und einen Sohn gebären, und sie werden ihm den Namen Immanuel geben, das heißt übersetzt: Gott mit uns. Als Josef erwachte, tat er, was der Engel des Herrn ihm befohlen hatte, und nahm seine Frau zu sich." (Mt 1,18-24)

Auslegung zum Sonntagsevangelium von Peter Köster

In den Kindheitserzählungen des Matthäus gibt es keine Verkündigung an Maria. Sie bleibt im Hintergrund. Der Stammbaum Jesu hebt König David in besonderer Weise hervor. Er wird als einziger fünfmal genannt (Mt 1, 1.6.17). Die Ankündigung der Geburt Jesu greift das Thema wieder auf. Sie richtet sich an „Josef, den Sohn Davids.“
Die Erzählung vom „Ursprung Jesu Christi“ beginnt bei Matthäus damit, dass Maria noch vor dem Zusammenleben mit ihrem Verlobten* Josef vom Heiligen Geist schwanger war. Wie am Anfang der Schöpfung (Gen 1, 2) und bei der Wiederbelebung des Volkes Israel nach dem Exil (Ez 37, 1–11) beginnt durch das schöpferische Wirken des Heiligen Geistes etwas ganz Neues. Marias Schwangerschaft aber ließ nach menschlichem Ermessen nur den Schluss zu, dass sie Ehebruch begangen hatte. Nach rabbinischen Angaben galt das verlobte Mädchen bereits als „Gattin“ (Dtn 20, 7), die bei Ehebruch bestraft oder durch einen Scheidebrief entlassen werden konnte. Josef befand sich also in einer heiklen Situation.
Er wird als „gerecht“ charakterisiert, d. h. er lebte nicht nur nach den Weisungen der Tora (Gesetz), sondern seine Haltung gegenüber dem Willen Gottes und den Bedürfnissen seiner Nächsten war von einer lauteren spirituellen Achtsamkeit geprägt. Als er sah, dass Maria schwanger war, wollte er sie nicht bloßstellen, ihr nicht die Ehre nehmen, obwohl er im Tiefsten getroffen und enttäuscht war. Was er sah, war für ihn unerträglich. Er wollte sich trennen, ohne zu verletzen, ohne zu demütigen. In kritischen Situationen zeigt sich am ehesten, wie tragfähig eine Frömmigkeit ist.
Das in Matthäus 1, 18 verwendete Wort mnesteúo wird mit „verlobt“ eigentlich nicht korrekt wiedergegeben. Es bedeutet einen formellen Vertrag vor Zeugen, der mit der Zustimmung der Eltern nach dem Ende der Pubertät des Mädchens geschlossen wurde. Die junge Frau lebte aber nach der Eheschließung noch eine Zeit lang bei den Eltern, bis der gemeinsame Lebensunterhalt gewährleistet war. In dieser Zeit war ehelicher Verkehr nicht statthaft.

Peter Köster SJ (Theologe, geistlicher Lehrer, * 1936), aus: Ders., Das Matthäus-Evangelium. Eine geistliche Auslegung auf fachexegetischer Grundlage, 34–35, © EOS Verlag, St. Ottilien 2022

Fragen und Antworten zum Advent

Was bedeutet das Wort Advent?

Advent kommt vom lateinischen "adventus" und bedeutet "Ankunft". Für Christen ist der Advent die Zeit der Vorbereitung auf die Ankunft Jesu auf Erden, die an Weihnachten gefeiert wird. In den Gottesdiensten werden häufig Texte aus dem Alten Testament verwendet, die die Ankunft des Erlösers prophezeien.

Ist der Advent heute noch Fasten- oder Bußzeit?

Symbolbild Adventskranz in einer Kirche / © Harald Oppitz (KNA)
Symbolbild Adventskranz in einer Kirche / © Harald Oppitz ( KNA )

 

Quelle:

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