Franz Alt fordert mehr Engagement Umwelt und Frieden

"Möchte nicht mein Enkel sein"

Für Franz Alt packt die deutsche Politik die Klimawende viel zu spät und zu zögerlich an. Als "Real-Pazifist" hofft der Baden-Badener auf eine Verhandlungslösung für den Krieg in der Ukraine. Am Montag wird er 85 Jahre alt.

Öko-Visionär und langjähriger "Report"-Moderator Franz Alt / © Uli Deck (dpa)
Öko-Visionär und langjähriger "Report"-Moderator Franz Alt / © Uli Deck ( dpa )

KNA: Was macht Ihnen mit 85 Jahren in unserer krisengeschüttelten Welt noch Hoffnung?

Franz Alt am 3. Mai 2022 in seiner Wohnung in Baden-Baden. / © Dirk Waechter (KNA)
Franz Alt am 3. Mai 2022 in seiner Wohnung in Baden-Baden. / © Dirk Waechter ( KNA )

Franz Alt (Publizist, Umwelt- und Friedensaktivist): In der Klimafrage die Aktionen der jungen Leute bei Fridays for Future. Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass die damals 15-jährige Greta Thunberg eine weltweite Aktion starten kann, an der sich inzwischen Millionen Menschen weltweit beteiligt haben. Das hat der Politik Beine gemacht. Sogar der deutschen.

Sehr wichtig ist auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts 2021, wonach die schlappe Klimaschutzpolitik in Deutschland die Freiheit der jungen Generation in Frage stellt. Nur so kam es zum Entschluss, dass Deutschland 2045 Klimaneutral sein muss. Das lässt mich hoffen.

KNA: Schaffen wir noch die Begrenzung der Erderwärmung ohne katastrophale Folgen vor allem für die arme Bevölkerungsmehrheit?

Alt: Die reichen Länder verursachen die Klimakrise, und die armen müssen am meisten darunter leiden. Das ist total ungerecht. Wenn die reichen Länder den armen für die Klimawende so wenig Geld zur Verfügung stellen, wie es sich gerade in diesen Tagen bei einer Konferenz in Bonn abgezeichnet hat, dann schaffen wir es nicht.

Im Pariser Klimaabkommen hat sich Deutschland genauso wie weltweit 196 Regierungen verpflichtet, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Aber wir sind derzeit auf einem Kurs von drei bis vier Grad. Wenn das so weitergeht, möchte ich nicht mein Enkel sein, der in einem unmenschlichen Treibhaus Erde leben muss.

KNA: Wie bewerten Sie die deutsche Klimaschutzpolitik?

Alt: Die Ampelkoalition muss endlich handeln statt nur zu streiten. Vor allem die FDP ist eine Blockadepartei. 80 Prozent der Deutschen sind in Umfragen für Klimaschutz. Aber wehe es geht kurzfristig an den Geldbeutel! Schon jetzt sind Sonnen- und Windenergie die preiswertesten Energien. Aber die Populisten in der FDP und bei den Konservativen sind einfach nicht fähig, langfristig zu denken.

Beispiel Atomkraft: Wir haben zwei Generationen auf Atomkraft gesetzt, um billige Energie zu haben. Aber wir belasten 33.000 Generationen mit dem Atommüll. Denn so lange - eine Millionen Jahre - geht von dem Müll eine tödliche Strahlung aus. Wie wollen wir ein Endlager für eine Million Jahre bauen, wenn Betreiber nur Garantien für 100 Jahre geben? Wir sind die erste Generation, die ihren Brut-Instinkt verloren hat, für die folgenden Generationen zu sorgen.

KNA: Sie kritisieren auch die Kirchen, zu wenig für Klima- und Umweltschutz zu tun?

Alt: Ja. Die Kirchen hätten die Menschen viel früher aufwecken müssen. Warum ist nicht längst auf jedem Kirchendach eine Solaranlage? Schon Jesus wusste in seiner Bergpredigt: "Die Sonne des Vaters scheint für alle. Für Gerechte und Ungerechte". Und das tut sie kostenlos, umweltfreundlich und für alle Zeit. Worauf warten wir? Die Friedensbotschaft des wunderbaren jungen Mannes aus Nazareth ist die eigentliche Zeitenwende. Und nicht weltweit immer mehr Geld fürs Militär.

KNA: Nach dem Ende der Atomenergie in Deutschland wurden die Kohle- und Gaskraftwerke in Deutschland wieder hochgefahren - mit fatalen Umweltfolgen ...

Alt: ... das ist leider eine Folge der 16 Jahre Merkel-Regierungen. Sie haben die Energiewende verschlafen, obwohl das Wissen längst da war. Wir könnten in Deutschland längst bei 100 Prozent erneuerbarer Energien sein.

KNA: Sind die Proteste der Klimakleber der Letzten Generation hilfreich und richtig?

Alt: Ich verstehe sie absolut. Das Versagen von uns Alten wirkt sich fatal auf die Lebenschancen der Jungen aus. Fraglich ist aber, ob die Aktionen der Klimakleber nicht das Gegenteil der beabsichtigten aufrüttelnden Wirkung haben. Junge Leute müssen aber auch einmal irrational sein dürfen!

KNA: Psychologen wie Steven Pinker betonen, das Schüren von Endzeitstimmung und Angst sei kontraproduktiv - jüngst hat sich auch der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann ähnlich geäußert. Stattdessen brauche es eine positivere Grundstimmung, um Fortschritte aufzuzeigen und zum Mitmachen zu motivieren?

Alt: Die Frage ist, wie berechtigt die Ängste sind. Angst einfach zu verdrängen, wäre völlig falsch. Ich muss mich doch mit potenziell katastrophalen Entwicklungen auseinandersetzen! Sei es die Erderwärmung oder die Angst vor Atomwaffen.

KNA: Lassen Sie uns auf den russischen Angriff auf die Ukraine blicken. Deutschland ist einer der größten Waffenlieferer - eine richtige Entscheidung?

Alt: Für einen Pazifisten und Christen wirft das schwierige Fragen auf. Ich stand lange Jahre voll hinter dem Prinzip der christlichen Friedensbewegung "Frieden schaffen - ohne Waffen!". Aber jetzt rufen die Ukrainer um Hilfe, nachdem Putin sie überfallen hat. Darf ich mir in dieser Situation die Ohren zuhalten? Das wäre unterlassene Hilfeleistung. Wenn ich weiß, dass deutsche Abwehrwaffen helfen, Leben von Ukrainern zu retten, dann muss ich sie liefern. Das Leben ist heilig - das ist das Ur-Ethos aller Religionen und aller Weisheitslehren.

KNA: Wie kann dieser Krieg und das Leid der Menschen enden? Wagen Sie eine Vision?

Alt: Ich plädiere für eine Doppelstrategie: Einerseits Abwehrwaffen liefen und andererseits verhandeln. Und zum Glück laufen diese Verhandlungen nun endlich - hinter den Kulissen. Papst Franziskus und der Dalai Lama haben Initiativen gestartet. Mehrere afrikanische Länder sind aktiv geworden. Jetzt gibt es von Präsident Selenski den Vorschlag einer Friedenskonferenz in der Schweiz. Ich hoffe, dass nun endlich Bewegung in die Sache kommt.

Auch der Westen muss aus seinen Fehlern lernen. Sicherheit muss im Atomzeitalter immer auch die Sicherheit des Anderen mit bedenken. Das haben wir mit der NATO-Osterweiterung nicht getan. 1990 hatte die NATO 16 Mitglieder, heute 31. Das ist für uns kein Problem, wohl aber für Putin und Russland. Wir können unsere eigenen Angstprobleme nicht durch Angstverbreitung lösen.

KNA: Viele resignieren und denken, sie könnten nichts tun?

Alt: Daher unterstütze ich ein Projekt, an dem sich jede und jeder beteiligen kann. Bei der Aktion "1 Million for Peace" geht es darum, möglichst viele Menschen für regelmäßige Meditationen und Gebete zu motivieren. Je mehr Menschen im Inneren, im Geist friedlich werden, desto mehr Frieden werden wir auch im Äußeren erreichen. Wie es der Dalai Lama formuliert: Wir brauchen eine Revolution des Mitgefühls.

Das Interview führte Volker Hasenauer. 

Quelle:
KNA