Architektin lobt neue Nutzungskonzepte von Kirchen

"Da waren ganz irre Ideen dabei"

Den Kirchen gehen Mitglieder verloren. Gleichzeitig müssen sie sich um ihre Gebäude kümmern. Sonja Beeck berät Kirchen in dieser Lage und weiß um die Chancen und Schwierigkeiten neuer Raumnutzungskonzepte.

Zur Notunterkunft für Flüchtlinge umgewidmete Kirche  / © Nikolai Wolff (KNA)
Zur Notunterkunft für Flüchtlinge umgewidmete Kirche / © Nikolai Wolff ( KNA )

DOMRADIO.DE: Die Evangelische Kirche Mitteldeutschlands hat Kirchengebäude übrig, so wie in ganz Deutschland. Allein in Thüringen gibt es knapp 2000 evangelische Gotteshäuser, die leerstehen und mit denen etwas gemacht werden muss. Sie haben sich auf die Suche nach neuen kirchlichen Nutzungskonzepten begeben. Was ist das Spannendste, was Ihnen begegnet ist?

Architektin Dr. Sonja Beeck vom Berliner Planungsbüro chezweitz / © Sonja Beeck (chezweitz)
Architektin Dr. Sonja Beeck vom Berliner Planungsbüro chezweitz / © Sonja Beeck ( )

Dr. Sonja Beek (Architektin beim Berliner Planungsbüro "chezweitz"): Es gibt nicht das eine spannendste Konzept. Es gibt diese große Flut von wunderbaren Ideen, die in vielen Workshops und vor Ort entstanden sind. Und wir haben festgestellt, dass auch in dem kleinsten Dorf immer etwas vorhanden ist, was eine Nutzungsidee werden kann für die kleinen Kirchen.

Da waren auch ganz irre Ideen dabei, wie Schwimmbad- oder Disco-Kirchen. Aber wir haben festgestellt, dass es meistens die kleineren Ideen sind, die sehr gezündet haben, zum Beispiel am Rennsteig. Das ist ein schönes Waldgebiet im Süden von Thüringen. Da haben Kirchen ihre Türen geöffnet und sind "Her(r)bergskirchen" geworden. Wenn Sie im Sommer über den Rennsteig wandern, können Sie dort vorher bei Airbnb eine Übernachtung in einer solchen Kirche buchen. Das ist liebevoll gestaltet und das ist ein tolles Erlebnis.

DOMRADIO.DE: Sie haben mit der Internationalen Bauausstellung (kurz: IBA) und der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (kurz: EKM) sechs Kirchen umgestaltet. Wie lief das Projekt ab?

Beek: Wir haben 2017 zum Reformationsjahr einen internationalen Ideen-Aufruf geschaltet. Es sind viele Ideen in kleinen Videos eingegangen. Die haben wir 2017 in Erfurt in der Kaufmannskirche präsentiert und mit einer Jury aus Kollegen der EKM und der IBA Thüringen sind Modellprojekte ausgewählt worden. Vor Ort wurden dann gemeinsam Modelle gebaut und von Gestaltern, Architekten und Künstlern Stück für Stück in die Tat herauspräpariert. Mittlerweile kann man vier von ihnen besuchen und zwei sind noch im Bau.

DOMRADIO.DE: Kirchenmitglieder hängen oft an ihren Kirchen. Erinnerungen sind mit ihnen verbunden und auch der Schmerz, das Gotteshaus nicht mehr zum Feiern des Glaubens zu haben. Liefen die Prozesse konfliktfrei ab?

Sonja Beeck

"Gleichzeitig möchten die Mitglieder, dass dort Gemeinschaft entsteht, auch für diejenigen, die nicht an Gott glauben."

Beek: In den thüringischen Gefilden möchten die Kirchenmitglieder ihr Gotteshaus nicht aufgeben. Man möchte weiter an Weihnachten oder an Sonntagen den Gottesdienst feiern, aber gleichzeitig möchten die Mitglieder, dass dort Gemeinschaft entsteht, auch für diejenigen, die nicht unbedingt an Gott glauben. Deshalb gibt es in Thüringen häufig hybride Öffnungen mit öffentlicher Nutzung. Und das ist, finde ich, eine gute Zukunft für die Kirchen.

Die sollen kein Schwimmbad werden und sie sollen auch nicht als Wohnungen umgenutzt werden, denn Kirchen sind anders bestimmt. Und die Thüringer sind da relativ entschieden, anders als die Niederländer zum Beispiel. Das fand ich interessant.

Buchhandlung in einem früheren Kloster / © Alexander Brüggemann (KNA)
Buchhandlung in einem früheren Kloster / © Alexander Brüggemann ( KNA )

DOMRADIO.DE: Was kann man in Ihrer Ausstellung Stadt, Land, Kirche in Erfurt sehen?

Beek: Man kann dort die Nutzungsideen sehen, wie diese wunderbaren und ganz besonderen Kirchenräume in Bezug auf das Konzept neu gestaltet sind. Die Gestalter sind dort zu sehen, in großen Porträts. Denn das muss man auch sagen: Ohne die Akteure und Akteurinnen, ohne die, die wirklich das Leben in die Kirche hineingeben, würden diese Projekte alle nicht funktionieren. Ohne die Hannelores und Horsts und Veras und wie sie alle heißen, geht es nicht.

Das ist eine kleine Pop-up-Ausstellung die wandern kann. Und in diesen einzelnen Modulen kann man lesen und man kann sie sich anschauen und sich inspirieren lassen. Ich hoffe, dass auch andere Länder und Bundesländer diese Idee aufgreifen und sich um diese Kirchen kümmern.

Das Interview führte Katharina Geiger.

StadtLand:Kirche

Die etwa 2.000 evangelischen Kirchen in Thüringen stehen fast alle unter Denkmalschutz und werden mit großem öffentlichem Engagement bewahrt. Insbesondere seit 1990 wurden zahlreiche Kirchen gesichert, instandgesetzt und wieder einer Nutzung zugeführt. Doch wie geht es weiter, wenn die Zahl der Kirchenmitglieder schrumpft und Kirchengebäude angesichts demografischer und gesellschaftlicher Entwicklungen nicht mehr für kirchliche Zwecke genutzt werden? Wie kann man mit dem Leerstand kulturhistorisch bedeutender Gebäude umgehen?

Leutekirche St. Martin, Leutkirch / © Ursula und Tom Kristen (privat)
Leutekirche St. Martin, Leutkirch / © Ursula und Tom Kristen ( privat )
Quelle:
DR