Festivalseelsorgerin zieht Bilanz nach Wacken Open Air

Mit Gummistiefeln und Treckern

Nach anhaltendem Regen ist das Wacken Open Air in diesem Jahr im Schlamm versunken. Festivalseelsorgerin Annika Woydak war von der Hilfsbereitschaft der Metalfans beeindruckt und erzählt von ganz besonderen Erlebnissen.

Eine Frau verlässt das verschlammte Campinggelände des Wacken Open Air / © Axel Heimken (dpa)
Eine Frau verlässt das verschlammte Campinggelände des Wacken Open Air / © Axel Heimken ( dpa )

DOMRADIO.DE: Sie sind zurück in Hamburg. Sind Sie froh, dass Sie im Trockenen sitzen?

Annika Woydak (Pastorin der Jungen Nordkirche und Festivalseelsorgerin in Wacken): Ja. Und ich bin auch froh, dass ich eine schöne Dusche hatte und der ganze Schmodder und Matsch aus meiner Nase und aus meiner Kleidung raus ist.

DOMRADIO.DE: Die Bedingungen haben den Menschen viel abverlangt in diesem Jahr. Wie haben denn Sie mit Ihrem Seelsorgeteam diese Festival-Tage insgesamt wahrgenommen?

Woydak: Natürlich war das total anstrengend. Nicht nur für die Festivalbesucher, auch für uns. Gleichzeitig war es trotzdem toll und berührend. Ich würde sagen, ab spätestens Mittwochabend oder Donnerstag war die Stimmung super.

Es hat durchgeregnet und das Bewegen auf dem Festivalgelände war gerade in den ersten Tagen sehr mühselig, weil man sich voll auf den nächsten Schritt konzentrieren musste, damit man nicht umkippt. Das war für alle anstrengend.

Natürlich waren die Festivalbesuchenden auch angestrengt davon, dass sie Montagmorgens um zehn losgefahren sind und dann aber erst nachts um vier überhaupt auf den Platz konnten, weil sie mit dem Trecker auf das Gelände geschleppt worden werden mussten.

DOMRADIO.DE: Die Leute auf dem Gelände wussten auch, dass viele nicht zu Festival kommen konnten, weil die Anreise wegen des Wetters gestoppt wurde. War die Stimmung ein bisschen gedrückt?

Annika Woydak

"Da waren viele Menschen dünnhäutiger, gereizter."

Woydak: Es war am Anfang schon angestrengt, auch aufgrund des Schlafmangels. Da waren viele Menschen dünnhäutiger, gereizter. Das habe ich viel beobachtet. Das ist sonst in Wacken nicht so. Sonst kommen alle und sind happy und ausgeruht und freuen sich. Das war schon eine andere Stimmung.

Es brauchte die ersten Sonnenstrahlen, um bei den allermeisten Menschen eine andere Atmosphäre herbeizuzaubern. Es war auch im Regen und Matsch irgendwie ganz witzig, aber da hat man schon gemerkt, dass es echt anstrengend war.

DOMRADIO.DE: Man hört oft, dass gerade Metalfans unheimlich nett zueinander sind. Konnten Sie das auch beobachten?

Woydak: Ja, auf jeden Fall. Es gab eine Art Gummistiefelparade, wo man sich Gummistiefel nehmen konnte. Es gibt auch immer einen ganz großen inklusiven Bereich, wo viele Rollstühle stehen. "Wheels of Steel" heißt das. Die hatten in dem Matsch echt zu kämpfen. Es war aber total berührend zu sehen, wie andere Menschen mit anfassen und dann wurde der Rollstuhl hochgehoben und über den Matsch getragen. Das habe ich sehr viel beobachtet und finde es großartig.

Alle haben irgendwie mit angepackt, auch aus der Umgebung. Die Bauern sind mit allen Treckern, die sie hatten, hergekommen, um die Leute hin und her zu ziehen. Wir selber haben uns auch einmal festgefahren und mussten rausgezogen werden. Das ist schon beeindruckend, wie alle versuchen das Beste aus der Lage zu machen und alles zu ermöglichen, was geht.

DOMRADIO.DE: Sie haben auch in diesem Jahr die evangelischen Kirche in Wacken wieder zur "Metal Church" umgewandelt. Hat sich aufgrund des Regens von oben und des Matsches von unten die Menge der Besucher erhöht?

Annika Woydak

"Menschen waren in der Kirche, die schon seit langem das erste Mal wieder überhaupt in der Kirche waren."

Woydak: Eine Kollegin war vor Ort. Die hat es großartig gemacht. Die hat ein Team zusammengestellt. Es war eine offene Kirche, es war eine schöne Atmosphäre. Es war aber nicht so viel los im Dorf selber wie sonst in den Jahren davor. Da war auch die Hauptstraße im Dorf, an der die Kirche liegt, eine Partymeile. Diesmal war deutlich weniger los.

Aber sie hat die Türen geöffnet. Es waren Menschen in der Kirche, die seit langem das erste Mal überhaupt wieder in der Kirche waren.

Die Kolleginnen haben mir auch eine schöne Geschichte erzählt: Es kam ein langhaariger Typ rein, der gefragt hat, ob es eine Orgel gibt. Er musste die Schuhe ausziehen, weil er entsprechend aussah und ist dann auf Socken hoch zur Orgelempore gestiegen und hat dann ein kleines Orgelkonzert gegeben. Das war total berührend.

DOMRADIO.DE: Wenn es insgesamt leerer gewesen ist, war das vielleicht auch vorteilhaft?

Woydak: Ich weiß nicht. Am Ende ist man zwar wieder froh, wenn man mal wieder für sich ist, aber in dem Moment gehören ja auch die Menschenmassen dazu. Ich kann das schwer sagen.

DOMRADIO.DE: Gab es für Ihr Seelsorgeteam denn viel zu tun, was die Seelsorge angeht?

Annika Woydak

"Die Menschen lassen ja ihre Themen nicht zu Hause."

Woydak: Ja, immer. Die Menschen lassen ihre Themen ja nicht zu Hause, egal ob mit Schlamm oder ohne. Am Anfang waren es eher Wut und Streit und Erschöpfung, aber nachher waren es die Themen, mit denen die Menschen immer auf dem Festival zu uns kamen, die Themen, die sie zu Hause auch haben: Ängste, Streit in der Partnerschaft, Depression. Also hat man Nöte, Konflikte, auch manchmal Panikattacken.

Das sind Themen, die gerade unter wenig Schlaf und mit viel Alkohol und Partylaune links und rechts aufkommen. Dann ist es gut, so einen Ort zu haben, der anders ist. Das kann manchmal bei uns im Seelsorgezelt sein. Da kann man sich ein bisschen zurückziehen.

Aber es kann auch manchmal sein, dass wir übers Festivalgelände gehen und einer erzählt mir innerhalb von fünf Minuten, was ihn bedrückt. Das sind dann so besondere Momente, dann merke ich: Okay, da musste jemand etwas los werden, was ihm echt das Herz schwer macht. Danach geht es aber auch weiter.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.

Wacken-Festival ist für 2024 bereits ausverkauft

Das traditionelle Wacken Open Air ist für kommendes Jahr schon ausverkauft. Viereinhalb Stunden nach dem Vorverkaufsstart am Sonntagabend seien alle 85.000 Tickets weg gewesen, teilten die Veranstalter am Montag mit. Das 33. Wacken Open Air soll vom 31. Juli bis 3. August 2024 stattfinden. Zu den angekündigten Bands gehören die Scorpions und die schwedischen Viking-Metaller Amon Amarth.

Metal-Fans warten an einem der Eingänge auf die Öffnung des Festivalgeländes. / © Christian Charisius (dpa)
Metal-Fans warten an einem der Eingänge auf die Öffnung des Festivalgeländes. / © Christian Charisius ( dpa )
Quelle:
DR