Seelsorgerin begegnet großem Redebedarf auf Wacken-Festival

"Die Themen bringen die Leute mit"

Die Sorgen der Menschen machen auch vor dem Metal-Festival nicht halt: Die kirchliche Seelsorge auf dem Wacken Open Air ist in diesem Jahr besonders gefragt, erklärt die Leiterin des Seelsorge-Teams im Interview.

Wacken: Ein Metal-Fan zeigt den Metal-Gruß / © Frank Molter (dpa)
Wacken: Ein Metal-Fan zeigt den Metal-Gruß / © Frank Molter ( dpa )

DOMRADIO.DE: Vor drei Jahren waren Sie zum ersten Mal als Festival-Seelsorgerin im Wacken-Einsatz. Wie ging es Ihnen damit? Ist das so Ihre Musik?

Landesjugendpastorin Annika Woydak (Leiterin des 20-köpfigen Seelsorgeteams beim Wacken-Festival; Leiterin der Jungen Nordkirche): Ich bin da, wo die Menschen sind. Hier sind viele Menschen. Deshalb bin ich total gerne hier und bin einfach begeistert von dem gemeinsamen Miteinander von dem Festival. Das ist super.

DOMRADIO.DE: Zwei Jahre Corona-Pause waren dann aber. Vor drei Jahren waren Sie das erste Mal da. Jetzt sind Sie seit Mittwoch vor Ort. Was ist diesmal anders als vor drei Jahren?

Besucher des Musikfestivals "Wacken Open Air" sitzen in der Kirche beim Gottesdienst während der "Metal Church" / © Michael Althaus (KNA)
Besucher des Musikfestivals "Wacken Open Air" sitzen in der Kirche beim Gottesdienst während der "Metal Church" / © Michael Althaus ( KNA )

Woydak: Man merkt, dass die Menschen sich total drauf gefreut haben. Diese Freude auf das Festival ist unglaublich. Und ich glaube, das tut den Leuten auch gut. Endlich wieder feiern, das Leben spüren, miteinander reden, ausgelassen sein, das ist auch etwas, was total gut ist und was wir, glaube ich, alle brauchen.

DOMRADIO.DE: Welche Regeln gelten denn da? Werden noch Masken getragen?

Woydak: Nein, gar nicht. Nur im Sani-Zelt, da merkt man, dass es Corona gab und gibt. Ansonsten werden keine Masken getragen, aber es ist alles draußen und das macht die Sache auch ein bisschen einfacher. Man ist nirgendwo in stickigen Räumen, sondern es ist einfach alles komplett Open Air.

Annika Woydack (Leiterin des 20-köpfigen Seelsorgeteams beim Wacken-Festival)

"Wenn 75.000 oder 80.000 Menschen zusammen sind, dann lassen die ihre Probleme nicht vor der Tür, sondern nehmen die mit hinein"

DOMRADIO.DE: Inwiefern sind Seelsorger bei diesem Festival denn nötig?

Woydak: Ich glaube, sie sind schon immer nötig, wenn 75.000 oder 80.000 Menschen zusammen sind, lassen die ihre Probleme nicht vor der Tür, sondern nehmen die mit hinein. Von daher ist es schon immer gut. In diesem Jahr merken wir noch mal umso mehr: Es brechen Themen wieder auf. Die zwei Jahre Pandemie und all das, was noch dazu kam in diesen letzten zwei Jahren und was gerade ja auch immer noch aktuell ist, das hat uns alle doch geprägt.

Die Themen bringen die Leute mit. Wir hören so viel gerade zu und haben so viele berührende Szenen mit Menschen, die einfach reden wollen, weil sie das, was sie erlebt haben, verarbeiten wollen und müssen. Da ist es dann gut für die, dass wir da sind und mal kurz zuhören.

DOMRADIO.DE: Wie kommen Sie denn mit den Leuten ins Gespräch? Sind Sie irgendwie farblich mit T-Shirts als Seelsorger gekennzeichnet oder gehen Sie selber auf die Leute zu?

Woydak: Wir sind in Blau gekennzeichnet und haben große Westen, wo Festival-Seelsorge drauf steht, sodass es klar ist, was wir sind und wer wir sind. Auch das Festival selber hat uns bekannt gemacht durch die Zeitschriften und durch die App, sodass die Leute wissen, dass es uns gibt. Die Leute sprechen uns ganz oft einfach an. Wir gehen auf die Leute zu, wenn wir merken, irgendwas stimmt nicht. Wenn zum Beispiel jemand auf dem Boden liegt oder so, dann gehe ich sofort hin. Aber ansonsten sprechen die Leute uns ganz oft an und sagen uns, dass sie es toll finden, dass wir da sind und fangen dann oftmals ein Gespräch an.

 Lars Wulff (l.) und Lutz Neugebauer, ehrenamtliche Mitarbeiter der Festivalseelsorge der Nordkirche auf dem Wacken Open Air in Wacken (Archivbild) / © Michael Althaus (KNA)
Lars Wulff (l.) und Lutz Neugebauer, ehrenamtliche Mitarbeiter der Festivalseelsorge der Nordkirche auf dem Wacken Open Air in Wacken (Archivbild) / © Michael Althaus ( KNA )

Dann entstehen wirklich berührende Gespräche, weil wir zwar nicht die Freunde sind, die vielleicht nur ein paar Meter weiter stehen, aber da gibt es etwas, was sie erzählen wollen, was sie aber in der Alkohol-Feierlaune nicht da platzieren können, unter all den Freunden und in einer Partylaune. Dann tut es denen gut, einfach kurz mal zu erzählen, wo das Herz drückt. Und das ist manchmal sehr, sehr überraschend.

Ich habe so oft Szenen, wo Menschen mit mir wenige Minuten nur reden und ich merke, dass sie es nur einmal sagen konnten, war schon gut. So hat ein Mann erzählt, Verwandte seien in der Ahr ertrunken und dann kamen ganz viele Freunde, die er aus Wacken kannte und haben geholfen, wieder aufzubauen. Und der das erzählte, war ein echter Metalhead, der hatte echt Tränen in den Augen, auch vor Rührung – und die Freunde drumherum haben es gar nicht mitgekriegt. Das sind so Minuten, wo ich denke: Gut, dass wir da sind als jemand, die von außen da sind und einfach einen anderen Raum noch mal bieten in diesem ganzen Gewusel.

Annika Woydack (Leiterin des 20-köpfigen Seelsorgeteams beim Wacken-Festival)

"Was ich hier beobachte, ist, dass es so viele Menschen gibt, die einfach ein tolles Festival haben wollen und auf ein gutes Miteinander achten"

DOMRADIO.DE: Wenn viele Menschen eng zusammen sind, kann es immer auch zu Streit und Konflikten kommen. Man hört immer davon, dass alles sehr eng ist bei diesem Festival. Bereitet Ihnen das manchmal Sorgen?

Woydak: Wo Menschen sind, ist natürlich immer irgendwie was los. So sind wir Menschen. Aber das, was ich hier beobachte, ist, dass es so viele Menschen gibt, die einfach ein tolles Festival haben wollen und auf ein gutes Miteinander achten. Das zeigt sich auch am Beispiel Inklusion. Gestern Abend habe ich gesehen, wie sie einen Rollstuhlfahrer über die Köpfe der Menschen ganz sanft hinweggetragen haben, sodass der auf der anderen Seite wieder gut landen konnte.

Das ist schon beeindruckend. Hier gibt es eine Rolli-Werkstatt. Inklusion ist hier groß geschrieben und das steht ja für was: Für eine Haltung der Leute, die hier herkommen und auch für eine Haltung vom Festival. Wir wollen, dass alle sich hier wohlfühlen. Dazu gehört auch, dass wir uns so benehmen, dass sich alle wohlfühlen können.

Der Schriftzug des WOA - Wacken Open Air steht auf einer Wiese. Das WOA gilt als größtes Heavy-Metal-Festival der Welt. / © Frank Molter (dpa)
Der Schriftzug des WOA - Wacken Open Air steht auf einer Wiese. Das WOA gilt als größtes Heavy-Metal-Festival der Welt. / © Frank Molter ( dpa )

DOMRADIO.DE: Wie haben Sie sich auf diesen Seelsorge-Job vorbereitet?

Woydak: Wir haben selber Fortbildungen und natürlich sind in meinem Team alles ausgebildete Menschen. Ich selber bin Supervisorin. Es gibt andere Kolleginnen, die sind ebenfalls Supervisor:in, Notfallseelsorger:in, Psychotherapeut:in. Wir haben dann immer so einen Teamfindungstag. Und dann haben wir natürlich uns noch mal dem Thema Covid/Long-Covid und die Folgen – damit haben wir uns jetzt noch mal richtig auseinandergesetzt.

DOMRADIO.DE: Und wenn die Stimmung entspannt ist, verteilen sie wahrscheinlich auch Wasser, damit keiner schlappmacht.

Woydak: Die letzten Tage waren wir viel mit Wasser unterwegs. Und vor dem Zelt ist es dann auch so heiß gewesen und wir haben so einen Wassersprayer gehabt. Das war total erfrischend für die Leute.

DOMRADIO.DE: Hat sich Ihr Wacken-Bild in der Zeit auch verändert? Können Sie sich ein bisschen an die Musik jetzt gewöhnen?

Woydak: Ja, total. Bei manchen Sachen kann ich mittlerweile sogar ein bisschen mitwippen. Ich finde wirklich, die Atmosphäre ist beeindruckend. Das ist toll, das ist großartig.

Das Interview führte Dagmar Peters.

Metal-Festival Wacken Open Air am Donnerstag offiziell gestartet

Bei Sommerhitze ist am Donnerstag erstmals seit 2019 wieder das Metal-Festival Wacken Open Air (W:O:A, bis 6. August) gestartet. Vor Öffnung der Zugänge zum sogenannten Infield, dem Bereich vor den beiden großen Bühnen, wandten sich die Festivalmitbegründer Holger Hübner und Thomas Jensen über die großen Videoleinwände an die Besucher. Sie dankten ihnen für die Treue in den vergangenen Jahren, als das Festival 2020 und 2021 wegen der Corona-Pandemie ausgefallen war.

Heavy-Metal-Festival in Wacken / © Axel Heimken (dpa)
Heavy-Metal-Festival in Wacken / © Axel Heimken ( dpa )
Quelle:
DR