Fast 13 Jahre lang konnte Karadzic immer wieder seinen Verfolgern entwischen - Weltweite Erleichterung über Festnahme

"Osama Bin Laden Europas"

Er spielte mit seinen Verfolgern fast 13 Jahre lang Katz und Maus: Der frühere bosnische Serbenführer Radovan Karadzic, der in Den Haag vor dem UN-Tribunal für Ex-Jugoslawien wegen Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Bosnienkrieg von 1992 bis 1995 angeklagt ist. Karadzic wird zusammen mit seinem noch flüchtigen Kommandeur Ratko Mladic für das Massaker im ostbosnischen Srebrenica verantwortlich gemacht, bei dem am 11. Juli 1995 rund 8000 Muslime ermordet wurden.

Autor/in:
Friedrich Kuhn
 (DR)

Die UNO würdigte die Festnahme des 63-jährigen Karadzic in einem Vorort von Belgrad als einen «historischen Moment». Aus serbischen Geheimdienstkreisen war in Belgrad zu hören, Karadzic habe einen depressiven Eindruck gemacht. Er habe keinen Widerstand geleistet. Der frühere amerikanische Balkan-Beauftragte Richard Holbrooke meinte, ein «bedeutender Verbrecher ist von der Bühne entfernt worden». Holbrooke nannte Karadzic den «Osama Bin Laden Europas».

Das Ende des langjährigen Versteckspiels von Karadzic ist nach Einschätzung von politischen Beobachtern möglich geworden, nachdem sich der Wind in Belgrad zugunsten einer Hinwendung nach Europa und zum Westen gedreht hat. Die erst zwei Wochen amtierende neue serbische Regierung unter Führung pro-europäischer Parteien hatte die Verhaftung von Karadzic versprochen.

Der serbische Präsident Boris Tadic hat den russischen Einfluss auf Serbien zurückgedrängt und fährt einen Kurs in die EU. Die Auslieferung von Karadzic an das Tribunal in Den Haag und die noch ausstehende Festnahme des noch flüchtigen Mladic ist die wichtigste Bedingung der westlichen Staatengemeinschaft für die weitere Annäherung Serbiens an die EU. Mladic war die rechte Hand von Karadzic.

Karadzic steht für die grausamsten Verbrechen in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Grausamkeit passt eigentlich nicht in sein Lebensbild. Vor seiner politischen Laufbahn war Karadzic ein erfolgreicher Psychiater. Er schrieb in seiner Freizeit Kinderbücher und Gedichte. Auch komponierte er Volkslieder. Nach einem Zeitungsbericht hatte Karadzic im Untergrund eine Komödie verfasst. Das Stück soll von einem politischen Führer handeln, der aus unbedeutenden Personen erfolgreiche Politiker macht.

Jahrelang soll sich Karadzic in den Bergen und Klöstern in Ostbosnien versteckt haben. An seiner Verfolgung waren in den zurückliegenden Jahren neben verschiedenen NATO-Soldaten auch das deutsche «Kommando Spezialkräfte» (KSK) beteiligt. Karadzic soll mit rasierter Glatze, langem Bart und in schwarzen Priestergewändern gesehen worden sein. Durch NATO-Kontrollen kam er nach den Berichten schon mal in Krankenwagen mit Blaulicht.

Karadzic und Mladic wurden von Teilen der serbischen Bevölkerung als «Helden» gefeiert. Öffentlich wurden nicht nur in Belgrad T-Shirts mit dem Konterfei von Karadzic mit der Aufschrift «Srpski Heroj» - «Serbischer Held» - verkauft. Nach der Festnahme von Karadzic riefen seine Anhänger auf den Straßen: «Karadzic, du Held» und «Tadic, du Verräter».

UN-Chefankläger Serge Brammertz begrüßte die Verhaftung von Karadzic als «Meilenstein» in der Zusammenarbeit zwischen Serbien und dem UN-Tribunal. Die EU-Ratspräsidentschaft sprach von einer «wichtigen Etappe auf dem Weg zu einer weiteren Annäherung Serbiens an die EU». Sollte Karadzic nach Den Haag ausgeliefert werden, wäre er der 44. Serbe, der dem internationalen Gericht überstellt wird.

Prominentester Verdächtiger war bisher der frühere serbische Präsident Slobodan Milosevic, der 2000 gestürzt wurde und vor zwei Jahren in Untersuchungshaft in Den Haag starb. Dem Bosnien-Krieg fielen von 1992 bis 1995 rund 250 000 Menschen zum Opfer. Millionen Menschen wurden in die Flucht getrieben.