Experte hält Angst vor Islamisierung Europas für unbegründet

Ein Spiel mit den Mythen

Werden Europa oder Deutschland islamisiert? Nach Ansicht des Stuttgarter Religionswissenschaftlers Michael Blume ist damit aus religionsdemografischer Sicht nicht zu rechnen. Was fehle, sei ein realistischerer Blick auf die Entwicklungen.

Frauen mit Kopftuch / © Oliver Berg (dpa)
Frauen mit Kopftuch / © Oliver Berg ( dpa )

Dieser könne "auch den Populisten ganz gewaltig Angstpotenzial abgraben", sagte Blume im Deutschlandfunk. Entgegen entsprechender Warnungen sei bei den Muslimen eine "massive Säkularisierung" und ein "massiver Geburtenrückgang" zu beobachten, betonte der Wissenschaftler: "Nur noch eine Minderheit der Muslime in Europa betet überhaupt noch regelmäßig, geschweige denn fünfmal täglich."

Deutlicher Geburtenrückgang

Und mit dieser Säkularisierung sei zugleich ein deutlicher Geburtenrückgang verbunden, ergänzte Blume. Denn die Religionsdemografie zeige, dass "religiöse Menschen im Durchschnitt mehr Kinder haben". Das gelte quer durch alle Religionen, am stärksten bei den Amish in den USA und bei den ultraorthodoxen Haredim vor allem in Israel.

Auch in Europa nehme man in der Öffentlichkeit kinderreiche Familien oft stärker wahr, betonte der Experte weiter: "Und wenn dann zum Beispiel Leute sehen, da ist eine Muslimin mit Kopftuch und die hat drei Kinder, dann wird das verallgemeinert." Was dagegen kaum wahrgenommen werde, sei "die Muslimin, die schon gar kein Kopftuch mehr trägt, sich vielleicht nicht mehr als Muslimin versteht und gar keine Kinder mehr hat. Und das hat tatsächlich massiv zugenommen."

Fortgesetzte Mythen

Der religionsdemografische Zusammenhang zwischen Religiosität und Kinderzahl werde seit Jahrhunderten zu wenig beachtet und führe daher häufig zur Legendenbildung, beklagte der Wissenschaftler: "Dann setzen sich irgendwelche Mythen fort, dann glauben die Leute: Die Muslime oder die Juden oder früher die Katholiken, die haben alle viele Kinder. Denn die dürfen ja nicht verhüten. Dann entstehen sozusagen so Allgemeinmythen, die sich dann oft sehr, sehr negativ auswirken."

In seinem aktuellen Buch "Islam in der Krise. Eine Weltreligion zwischen Radikalisierung und stillem Rückzug" schreibt Blume, es gebe  immer mehr Muslime, bei denen angesichts von Gewalt,  Korruption und Rückständigkeit ihrer Gesellschaften die Glaubenszweifel wachsen, so dass sich von der Religion abwenden. Allerdings geschehe dies aus Angst vor Sanktionen durch die Öffentlichkeit oder die Familie noch weitgehend im Verborgenen. Von Islamisierung könne aber keine Rede sein.


Quelle:
KNA