Ex-Vatikanbotschafterin lobt Ukraine-Diplomatie des Papstes

Medialen Gegenwind aushalten?

Papst Franziskus steht seit Tagen in der Kritik wegen seiner Äußerungen zum Ukraine-Krieg. Die ehemalige Vatikanbotschafterin Annette Schavan hält die Vorwürfe für falsch und sieht Franziskus in einer langen Tradition der Diplomatie.

Papst Franziskus im Petersdom / © Paul Haring (KNA)
Papst Franziskus im Petersdom / © Paul Haring ( KNA )
Papst Franziskus und Annette Schavan / © Romano Siciliani (KNA)
Papst Franziskus und Annette Schavan / © Romano Siciliani ( KNA )

DOMRADIO.DE: Kritiker, wie die Verteidigungspolitikerin Strack-Zimmermann, werfen dem Papst vor, er würde die Opfer in der Ukraine vergessen. der Papst lasse sich von Moskau instrumentalisieren. Er solle sich lieber auf die Seite der Schwachen stellen. Die Befürworter sagen, wenn er sich auf eine Seite stellen würde, könnte er nicht mehr vermitteln. Wo liegt denn die Wahrheit Ihrer Meinung nach? 

Annette Schavan (ehemalige deutsche Botschafterin beim Heiligen Stuhl): Er hat sich ab dem ersten Tag klar geäußert, unmissverständlich in den Ansprachen über die Ostertage. Er ist am Tag Eins des Krieges in der russischen Botschaft gewesen, hat um ein Gespräch mit Putin gebeten. Er hat seine beiden Kardinäle Czerny und Krajewski mehrfach in die Ukraine geschickt zu Hilfslieferungen. Er hat einen humanitären Korridor versucht, auf den Weg zu bringen. Es ist also ganz klar, wo der Papst steht. Drastischer, als er es zu Ostern formuliert hat, kann man es nicht formulieren.

Annette Schavan, ehemalige Vatikan-Botschafterin

"Der Aggressor wird nicht mit Namen genannt, und es wird alles getan, um zu einer Lösung jenseits der Waffen zu kommen. Das ist alte Tradition. Das ist nicht nur Papst Franziskus."

Aber zur Diplomatie gehört schon auch, so zu reden und so zu handeln, dass Diplomatie möglich bleibt. Auch in Tagen, an denen wir alle - auch ich - uns kaum vorstellen können, wie denn diese diplomatischen Beziehungen aussehen. Der Papst verfolgt das, was zu der ältesten Diplomatie, nämlich der Diplomatie der Weltkirche, gehört. Der Aggressor wird nicht mit Namen genannt, und es wird alles getan, um zu einer Lösung jenseits der Waffen zu kommen. Das ist alte Tradition. Das ist nicht nur Papst Franziskus. 

Hintergrund: Debatte um Papst-Äußerungen

In einem Interview der italienischen Zeitung "Corriere della Sera" hatte der Papst zu bedenken gegeben, vielleicht habe "das Bellen der Nato an Russlands Tür" Wladimir Putin dazu gebracht, den Konflikt auszulösen.

Dieser Konflikt sei von außen geschaffen worden. Er könne nicht sagen, ob es richtig sei, die Ukraine jetzt mit Waffen zu versorgen, so Franziskus weiter. Zugleich hatte er in dem Interview den russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill I. kritisiert. Dieser dürfe sich "nicht zum Messdiener Putins machen".

Papst Franziskus
  / © Vatican Media/Romano Siciliani (KNA)
Papst Franziskus / © Vatican Media/Romano Siciliani ( KNA )

DOMRADIO.DE: Der Hintergrund ist, dass Franziskus letzte Woche in einem italienischen Interview anscheinend der NATO eine Mitschuld am Ukraine-Krieg gegeben hat. Aber den Ukrainern wird es vermutlich nicht gefallen haben. Die werden solche Schlagzeilen ja nicht als neutral sehen. Sowas müsste er doch eigentlich vermeiden, oder nicht? 

Schavan: Der Satz, um den es hier geht, ist aus seinem italienischen Interview. Es gibt überhaupt nur eine italienische Fassung und eine autorisierte englische Fassung. Den Kontext dieses Satzes, kennt niemand, der das Interview nicht gelesen hat. Er wirkt auf mich sehr viel eher wie eine Art Zitation dessen, was in dem Gespräch mit Kyrill gefallen ist. Es wird eine Aussage von Kyrill gewesen sein, die er sich damit nicht zu eigen macht. Dazu muss man das ganze Interview, das wie gesagt auf deutsch gar nicht vorliegt, lesen.

Ich finde darüber hinaus, dass wir uns in so einer Situation mal erinnern sollten an die vatikanische Ostpolitik - Papst Johannes Paul II. - sein damaliger Kardinalstaatssekretär Casaroli. Eine Ostpolitik zu einem Zeitpunkt, die auch in Deutschland höchst umstritten war. Will heißen: Diplomatie des Vatikans und des Heiligen Stuhls heißt nicht, dass gleichsam der Mainstream verfolgt wird. Der Vatikan, der Heilige Stuhl ist nicht Mitglied in irgendeinem Bündnis, nicht in der EU, nicht in der NATO. Er ist gleichsam ein Unikat. Und er leistet sich, das war bei der Ostpolitik ganz offenkundig, auch Reaktionen und Handeln, bevor andere das dann für richtig halten.

Übrigens: Genauso umstritten sind die Beziehungen zwischen Heiligem Stuhl und China. Auch das ist seit 20 Jahren in Gang. Auf Initiative von Papst Benedikt ist ein Vertrag zustande gekommen über die Bestellung von Bischöfen. Viele haben gesagt: Wie kann man mit Chinesen, wie kann man mit den Kommunisten überhaupt einen Vertrag schließen? Also es ist richtig, es gibt immer auch mal umstrittene Situationen. Aber die Parteinahme von Papst Franziskus für die Ukraine ist völlig klar. 

DOMRADIO.DE: Sie gehören ja auch zu den Befürwortern eines Dialogs mit China, um diesen Aspekt gerade noch mal aufzugreifen. Kann man denn diese Lage vergleichen? Also muss der Papst den medialen Gegenwind gerade aushalten, damit man dann in ein paar Jahren sieht, was sein Verhalten Positives bewegt und bewirkt hat. 

Annette Schavan, ehemalige Vatikan-Botschafterin

"Die Parteinahme von Papst Franziskus für die Ukraine ist völlig klar."

Schavan: Das weiß niemand von uns. Die damalige Ostpolitik und das Ergebnis 1989 zeigen aber, dass der Weg erfolgreich sein kann. 

DOMRADIO.DE: Wir bekommen ja mit, dass der Papst mit Kyrill redet. Sie haben auch erwähnt, dass seine Diplomaten im Austausch sind. Würden Sie ausschließen, dass da noch mehr hinter den Kulissen passiert? Dinge, die wir hinterher mitkriegen oder vielleicht auch nie erfahren. 

Schavan: Zur Diplomatie gehört immer, dass Dinge im Hintergrund passieren, die die Öffentlichkeit nicht mitbekommt. Das ist die Besonderheit der Diplomatie. Und ich bin davon überzeugt, das ist auch diesmal der Fall. 

DOMRADIO.DE: Noch mal allgemein gefragt: Was kann eine Vatikan-Diplomatie denn, was andere Länder nicht können? Schaut man nach Kuba oder nach Venezuela, dann hat die Vermittlung des Papstes auch da viel bewegt. Warum vermittelt gerade ein Kirchenstaat? 

Annette Schavan, ehemalige Vatikan-Botschafterin

"Die Internationalität, des sehr genauer Wissen, was sich in den Gesellschaften dieser Welt ereignet und entwickelt, das macht die Stärke dieser Diplomatie aus."

Annette Schavan: Er kann es vielleicht deshalb in ganz ausweglosen Situationen besonders gut, weil er eben nicht Teil eines Bündnisses ist. Es gibt keinerlei Bündnispflichten, es gibt keinerlei Erwartungen von Bündnissen. Er steht für sich. Und er ist eine Organisation, ein Völkerrechtssubjekt, präsent auf allen fünf Kontinenten. Die Internationalität, des "sehr genauer Wissen", was sich in den Gesellschaften dieser Welt ereignet und entwickelt, das macht die Stärke dieser Diplomatie aus.

Das Interview führte Tobias Fricke.

Quelle:
DR