DOMRADIO.DE: Die vergangenen drei Päpste haben Ihre Kirche besucht, die lutherische Christuskirche in Rom. Hat sich der neue Papst Leo XIV. schon angekündigt?
Dr. Michael Jonas (Pfarrer der evangelisch-lutherischen Christuskirche in Rom): Nein, das wäre ein bisschen zu viel verlangt. Aber ich wurde von der Diözese Rom als ökumenischer Repräsentant zur Amtseinführung von Leo XIV. am Sonntag eingeladen. Das ist doch ein schönes Zeichen.

DOMRADIO.DE: Wäre Papst Leo XIV. denn bei Ihnen willkommen?
Jonas: Er wird zu gegebener Zeit von uns auch eine Einladung erhalten. Aber wir lassen ihm natürlich noch ein wenig Zeit, um sich in sein neues Amt einzufinden. Wir werden unsere Einladung dann aber auch offiziell kommunizieren.
DOMRADIO.DE: Mit Blick auf die Namenswahl des neuen Papstes haben viele Katholiken an die Päpste Leo den Großen und Leo XIII. gedacht. Ich habe aber aus dem protestantischen Bereich mitbekommen, dass es dort auch Assoziationen an den Renaissance-Papst Leo X. gab, mit dem Martin Luther heftige Auseinandersetzungen hatte. Wie war das bei Ihnen?
Jonas: Ich habe zuerst an Leo den Großen gedacht. Vor allem, weil Robert Prevost – also Leo XIV. – Augustiner ist und die Theologie des heiligen Augustinus sehr gut kennt, von der Leo der Große maßgeblich beeinflusst wurde. Nun hat der neue Papst erklärt, dass er seinen Namen aufgrund von Leo XIII. gewählt hat. Leo X. hat da sicher keine Rolle gespielt.
DOMRADIO.DE: Johannes Paul II., Benedikt XVI. und Franziskus – diese Päpste haben alle die Christuskirche besucht. Welchen Platz nimmt das in der kollektiven Erinnerung Ihrer Gemeinde ein?
Jonas: Man fühlt sich der römischen Kirche und ihrem Bischof verbunden. Diese große emotionale Nähe war auch beim Abschied von Papst Franziskus spürbar, weil mit ihm persönliche Erinnerungen und Erlebnisse verbunden sind. Er war kein Papst der Distanz, sondern ein Mensch, den man wirklich gesehen und gehört hat. Deshalb gibt es jetzt natürlich auch eine gewisse Erwartungshaltung und einige Gemeindeglieder haben mich schon gefragt, wann wir denn Leo XIV. einladen. Denn wir wollen diese Freundschaft zwischen uns Lutheranern und der Kirche von Rom fortsetzen.

DOMRADIO.DE: Ein Zeichen dieser römischen Freundschaft ist der Abendmahlskelch, den Franziskus Ihrer Gemeinde bei seinem Besuch geschenkt hat. Wird er regelmäßig verwendet?
Jonas: Er wird immer wieder im Gottesdienst benutzt, wie etwa unter großer emotionaler Wahrnehmung am Sonntag nach dem Tod von Franziskus. Ich habe das im Gottesdienst erwähnt und die Verbindung zu Franziskus wurde in der Gemeinde sehr dankbar wahrgenommen.
DOMRADIO.DE: Wie war Ihr Verhältnis zu Papst Franziskus?
Jonas: Mein persönliches Verhältnis zu ihm war sehr entspannt und herzlich. Ich konnte einige Male mit ihm sprechen und war sehr davon berührt, dass er mich kannte. Ich will damit sagen, dass er bei jeder Begegnung sofort im Bilde war und nach der Gemeinde fragte. Sein Besuch bei uns war sicher nicht nur ein formaler Akt, sondern hat auch einen tiefen Eindruck bei ihm hinterlassen.
DOMRADIO.DE: Nun heißt der Papst nicht mehr Franziskus, sondern Leo XIV. Welchen Eindruck haben Sie vom neuen Papst?
Jonas: Wir waren mit einigen Gemeindegliedern auf dem Petersplatz, als sich der neu gewählte Papst vorgestellt hat – und wir waren alle überrascht. Zunächst fragten sich alle, wer Robert Prevost überhaupt ist. Die Italiener – und auch ich selbst – hatten zudem mit einem italienischen Papst gerechnet. Es war eine Überraschung, aber keine Enttäuschung, denn er hat mich sofort durch sein menschliches Auftreten und die hervorragende und kluge Ansprache überzeugt.
DOMRADIO.DE: Was wünschen Sie sich von Leo XIV. mit Blick auf die Ökumene?
Jonas: Ich bin extrem optimistisch aufgrund der Tatsache, dass er Augustinerbruder und Augustinus-Kenner ist – auch wegen seines Papstnamens, denn das alles ist auch als ein Bekenntnis zur Theologie der Kirchenväter zu verstehen. Für die Reformatoren Martin Luther und Johannes Calvin waren Theologie und Lehre von Augustinus grundlegend. Und wenn ein Papst dieses gleiche theologische Zentrum bekennt – bei allen konfessionellen Unterschieden –, dann ist das eine hervorragende Basis für eine größere Annäherung. Davon erhoffe ich mir neue Entwicklungen in der Ökumene.

DOMRADIO.DE: Glauben Sie, dass Leo XIV. die Möglichkeit zum gemeinsamen Abendmahl von Katholiken und Lutheranern in die Wege leiten könnte?
Jonas: Ich möchte nicht mit einem ökumenischen Wunschzettel an den Papst herantreten. Ich erhoffe mir eher theologische Klärungen auf lange Sicht, damit wir einen Boden haben, auf dem wir als Kirchen verantwortet vorangehen können.
DOMRADIO.DE: Der neue Papst stammt aus den USA, ein Land, das eher protestantisch als katholisch geprägt ist. Wie wird das die Amtszeit von Leo XIV. prägen?
Jonas: Ich habe vor 20 Jahren hier in Rom bei den Augustinern studiert. In dieser Zeit hatte ich einen wunderbaren amerikanischen Dozenten, den Augustiner Robert Dodaro. Auf dem Petersplatz dachte ich bei der Vorstellung von Papst Leo, dass er wahrscheinlich zur gleichen Generation wie Dodaro gehört – und tatsächlich waren sie Studienfreunde und wurden beide miteinander geweiht.
Robert Dodaro und Robert Prevost haben viel gemeinsam und sind, wie ich gehört habe, auch in den römischen Pfarreien, in denen sie pastoral tätig waren, als "Robert 1" und "Robert 2" bekannt gewesen. Meine Augustinus-Rezeption ist sehr stark von Dodaro geprägt und deshalb glaube ich, dass sie der des neuen Papstes ähnlich sein könnte. Ich freue mich jedenfalls sehr, dass ich jemanden kenne, der den Papst sehr gut kennt. Auch, wenn ich Prevost noch nicht persönlich begegnet bin, fühle ich mich ihm doch durch die freundschaftliche Beziehung zu Dodaro sehr nahe.

DOMRADIO.DE: Der Augustiner Dodaro hat sie also sehr geprägt?
Jonas: Dodaro war der erste amerikanische Katholik, den ich kennengelernt habe und seitdem schätze ich die amerikanischen Katholiken sehr. Abgesehen vielleicht von derzeitigen internen Spannungen, zu denen ich nichts sagen kann. Denn sie sind alle sehr aufgeschlossen und nicht abwertend gegenüber dem Protestantismus, weil die Amerikaner ihn eben als starke gesellschaftliche Größe kennen. Und sie sind, wie alle amerikanischen Christen, sehr offen für die Evangelisierung, sie wollen ihren Glauben mit einer gewissen Fröhlichkeit in die Gesellschaft hineintragen. Das kann ich auch bei Leo XIV. erkennen und hoffe, dass er die amerikanische Glaubensfreude nach Europa bringt.
Das Interview führte Roland Müller.