DOMRADIO.DE: Am 23. Mai 1949 wurde das Grundgesetz in Bonn unterzeichnet. Die evangelische Kirche begeht dazu gleich eine ganze Gottesdienstreihe in allen 20 Landeskirchen. Für die Evangelische Kirche im Rheinland ist Bonn der Austragungsort. Warum sind 75 Jahre Grundgesetz auch für die Kirchen ein Grund zu feiern?
Dietmar Pistorius (Bonner Superintendent): Das Grundgesetz schafft Rahmenbedingungen des Zusammenlebens in unserem Land, die viel zu tun haben mit dem, was wir aus unserem christlichen Glauben heraus und aus jüdisch-christlicher Tradition für gut halten für das Zusammenleben.
Die Würde des Menschen als unantastbar zu bezeichnen, hat was mit der Gottesebenbildlichkeit, die wir bekennen, zu tun. Die Grundlagen von Recht, Gerechtigkeit und Erbarmen als Grundlage des Staates, die kennen wir aus unseren biblischen Traditionen.
Insofern sind wir gut mit dem Grundgesetz unterwegs und freuen uns darüber, dass dieses Gesetz uns stabile Rahmenbedingungen für ein gutes Zusammenleben über 75 Jahre möglich gemacht hat.
DOMRADIO.DE: Heute startet die Gottesdienstreihe der EKD in Hannover. Da wird der Präambel gedacht. Bei Ihnen in Bonn findet der Gottesdienst heute in der Lutherkirche. Warum ist die Lutherkirche wirklich der perfekte Ort?
Pistorius: Das hat historische Bezüge. Am 7. September 1949 wurde hier der evangelische Gottesdienst der Parlamentarier vor der ersten Plenarsitzung gefeiert. Im Münster in der Bonner Innenstadt fand der katholische Gottesdienst statt. Damals hat man noch nicht ökumenisch zusammen angefangen.
DOMRADIO.DE: Die amtierende Ratsvorsitzende der EKD, Bischöfin Kirsten Fehrs, hat kürzlich gesagt, das Grundgesetz sei ein Kunstwerk der klaren Sprache. In wenigen Sätzen würden die elementaren Grundlagen jeglichen friedlichen Zusammenlebens prägnant auf den Punkt gebracht. Wie sehr sehen Sie das gerade in Gefahr?
Pistorius: Ich sehe das Grundgesetz grundsätzlich in Gefahr. Die leichte Sprache im Grundgesetz schätze ich nach wie vor sehr. Aber wir haben aktuell einen anderen sehr dominanten Sprachgestus in unserer Gesellschaft: Dass man polarisiert, dass man beschimpft, dass man Formeln findet, mit denen man andere beleidigt und herabsetzt - das tangiert alles unser Grundgesetz. Und dafür müssen wir wachsam sein und als Demokratinnen und Demokraten einstehen.
DOMRADIO.DE: Unsere Demokratie zu sichern ist die Aufgabe eines jeden Einzelnen in Deutschland. Wie können die Kirchen dazu ihren Beitrag leisten?
Pistorius: Nach wie vor sind wir mit vielen, vielen Menschen vernetzt. Und ich glaube, dass es wichtig ist, in die Beziehungen zu gehen, mit den Menschen darüber zu reden, was die Grundlagen dieses Grundgesetzes für unser Zusammenleben bedeuten.
Wir haben gestern unsere Kreisynode gehabt, wo wir noch mal einen Wahlaufruf zur Europawahl gestartet und darin die Bedeutung von Demokratie und Recht unterstrichen haben. Wir lassen es aber nicht bei einem verabschiedeten Wort, sondern werden jetzt - und ich werde es konkret am kommenden Dienstag tun - auf die Straßen gehen und Menschen darauf ansprechen, mit ihnen ins Gespräch gehen. Ich glaube, dass wir das dringend brauchen, um das Grundgesetz und unsere Art eines freiheitlich demokratischen Zusammenlebens zu stützen.
Das Interview führte Carsten Döpp.