Im März 2021 sollen letztmalig die Uhren umgestellt werden

Europa droht das Zeitchaos

Generationen haben mit der umkämpften Umstellung auf die Sommerzeit leidige Erfahrungen gemacht. Vor 103 Jahren wurde erstmals an den Zeigern gedreht. Damit soll nun 2021 Schluss sein – und vielleicht auch mit der EU-weit einheitlichen Zeit.

 (DR)

Der Streit über die Sommerzeit ist uralt. 103 Jahre, um genau zu sein. Auch vor der erneuten Umstellung der Uhren an diesem Wochenende hat das umstrittene Verfahren für Diskussionen gesorgt. Immerhin bekommt die schier unendliche Geschichte der Zeitmanipulation jetzt ein abschließendes Kapitel.

Nach dem Willen der EU-Parlamentarier ist im März 2021 endgültig Schluss mit der Zeitumstellung. Doch ob die Sommerzeit dann dauerhaft gelten soll, ist völlig offen. Darüber entscheiden alle Mitgliedsländer in eigener Hoheit - doch sollen sie vorab ihre Pläne koordinieren.

1916 wurde das erste Mal an der Zeit gedreht

Die erste Umstellung gab es 1916, mitten im Ersten Weltkrieg.

Umstritten war das Drehen an der Uhr einst wie heute, denn die veränderte Zeit bringt den Biorhythmus des Menschen durcheinander. Zu Kriegszeiten sollte sie die Produktivität steigern und Energie sparen. Doch schon 1919 hatte das Intermezzo ein Ende: Im Weimarer Parlament kam nicht die nötige Mehrheit für eine Sommerzeit zustande.

Es galt zunächst wieder das ganze Jahr die Mitteleuropäische Zeit (MEZ).

Seit 1980 nutzen sämtliche EU-Staaten die Sommerzeit, die auch ein reibungsloses Funktionieren des Binnenmarktes sicherstellen sollte.

Wirtschaft als Motor der Vereinheitlichung

Neu waren solche ökonomischen Gründe nicht. Im 19. Jahrhundert war es der Ausbau des grenzüberschreitenden Eisenbahnnetzes, der die Harmonisierung der Uhrzeiten erzwang.

Selbst auf deutschem Boden existierten bis dato deutliche Zeitunterschiede, je nach Sonnenstand. Galt etwa in Bayern die "Münchener Ortszeit", so richtete man sich in Preußen nach der "Berliner Zeit" - und war damit den Bayern um sieben Minuten voraus.

1844 teilte dann eine Konferenz in Washington DC die Welt in 24 Zeitzonen ein. Seit dem 1. April 1893 gilt in Deutschland die MEZ.

Urvater der Zeitverschiebung ist der amerikanische Politiker und Forscher Benjamin Franklin (1706-1790). Er kritisierte 1784 in einer Denkschrift im Journal de Paris über "Die Kosten des Lichts" den unnötig hohen Verbrauch an Kerzen. Franklin riet zur Uhrumstellung, denn so lasse sich das natürliche Licht viel länger nutzen.

Doch es dauerte noch über 100 Jahre, bis 1907 der Brite William Willett mit seiner Abhandlung "The Waste of Daylight" (Die Verschwendung von Tageslicht) Franklins Ideen aufgriff und eine rege Debatte anstieß. Zunächst erfolglos. In Großbritannien wurde die Sommerzeit 1916 Realität, garniert mit dem programmatischen Titel "Daylight Saving Time", der das Optimum nutzbarer Tageszeit versprach.

Sommerzeit, Moskauer Zeit und "Hochsommerzeit"

In Deutschland führten die Nationalsozialisten zu Kriegsbeginn 1940 die Sommerzeit wieder ein. Eine Stunde mehr Tageslicht bedeutete auch eine Stunde mehr Arbeitszeit in den Rüstungsbetrieben.

Zwei unterschiedliche Zeiten galten dann nach Kriegsende im besetzten Deutschland. Denn die drei westlichen Besatzungszonen führten die Sommerzeit ein, während auf sowjetisch kontrolliertem Terrain und in Berlin Moskauer Zeit galt. Zwischen Ost- und Westdeutschland klaffte eine Zeitlücke von zwei Stunden.

Vollkommen chaotisch wurde es zwischen 1947 und 1949. Da wurden die Uhren nochmals eine Stunde vorgestellt zur "Hochsommerzeit", die vom 11. Mai bis zum 29. Juni galt. Wegen der weitgehend zerstörten Infrastruktur waren die Bürger besonders vom Tageslicht abhängig.

Zwischen 1950 bis 1979 verzichtete Deutschland dann wieder auf die Umstellung.

Nun entscheiden die Nationalstaaten

Eine EU-Richtlinie aus dem Jahr 2002 regelt, dass die Sommerzeit "dauerhaft" und "verbindlich" gilt. Doch das ist jetzt Schnee von gestern, denn nach Beschluss des EU-Parlamentes soll in zwei Jahren letztmalig an den Zeigern gedreht werden.

Wie die Nationalstaaten in der Zeitfrage nun entscheiden, ist offen. Sie können die Sommerzeit oder eben die MEZ dauerhaft festlegen. Es droht also womöglich wieder ein Flickenteppich an Zeitzonen innerhalb Europas. Unklar ist auch, ob Deutschland, wie von vielen Bürgern favorisiert, dauerhaft bei der Sommerzeit landet. In der Bundesregierung laufe noch die "interne Meinungsbildung", heißt es.


Quelle:
epd